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Frauenrechte: Stillstand so weit das Auge reicht

Artikel-Nr.: DE20100224-Art.08-2010

Frauenrechte: Stillstand so weit das Auge reicht

15 Jahre nach Peking

Nur im Web – Bei der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking verabschiedeten die Regierungen einen globalen Masterplan zur Umsetzung von Frauenrechten: die Aktionsplattform von Peking. Seitdem müssen sie alle fünf Jahre Umsetzungsberichte bei den UN vorlegen. 15 Jahre nach der Peking-Konferenz findet vom 1.-12. März die dritte Bilanzsitzung der Frauenrechtskommission statt. Eine Zusammenschau von fünf Regionalberichten der Vereinten Nationen (s. Hinweise) von Christa Wichterich.

Im Jahr 2000 berichteten die Regierungen über Umsetzungsstrategien und -pläne und vom Aufbau von Gleichstellungsstellen und –mechanismen in der Verwaltung. 2005 lag das Schwergewicht auf Gesetzesänderungen, mit denen sie bürgerliche und politische Rechte von Frauen stärken und sie vor Gewalt schützen wollten. Insgesamt lautete die Bilanz: es gibt Fortschritte, vor allem im Bildungs- und Beschäftigungssektor, aber Geschlechtergleichheit ist immer noch ein Fernziel und es bleibt viel zu tun.

* Ernüchterung vor allem

Die fünf Regionalberichte, die nun nach 15 Jahren von den UN-Regionalbüros aus den Einzelberichten der Länder zusammengestellt wurden, strahlen vor allem Ernüchterung aus. Die Muster der Berichterstattung wiederholen sich. Die Regierungen identifizieren Fortschritte und bedauern Defizite. Als größtes Problem nennen sie die Umsetzungslücke: Gesetze, die auf Geschlechtergleichheit und Frauenrechte zielen, werden nicht in gesellschaftliche Praxis umgesetzt, politische Programme und Willenserklärungen übersetzen sich nicht in wirkliche Veränderungen im Leben von Frauen. Lediglich aus dem Bericht über Lateinamerika und die Karibik spricht eine Zufriedenheit über das in den vergangenen 15 Jahren Erreichte.

Ganz oben auf der Agenda stand 1995 das Thema Frauenarmut. Überhaupt sind Frauen die Hauptakteurinnen in Armutsbekämpfungsprogrammen. Das vergrößert ihre zeitliche und Arbeitsbelastung, heißt aber nicht zwangsläufig, dass die Programme gendersensibel sind. Während Lateinamerika eine Reduktion von Frauenarmut verbucht, lautet das bittere Ergebnis für Afrika, dass „es bisher keine Anzeichen gibt, dass die existenten Politiken und Strategien die Feminisierung der Armut in Afrika beenden konnten“.

Die meisten Länder hatten auf Mikrokredite als Wundermittel zur Armutsbekämpfung gesetzt. Die Kleinkredite helfen, unmittelbare Engpässe in den Haushalten zu überwinden. Sie reichen aber nicht zum ökonomischen Empowerment der Frauen und öffnen wenig neue Einkommensmöglichkeiten jenseits traditioneller Tätigkeiten wie Nähen und Kochen. Zwar sind Frauen überall in Afrika höchst aktiv am Wirtschaftsleben beteiligt und sichern damit das Überleben. Auf der Ebene wirtschaftlicher Entscheidungsmacht sind sie jedoch völlig unterrepräsentiert und von Steuer-, Handels- und anderer Wirtschaftspolitik ausgeschlossen.

* Die Krise höhlt Erreichtes aus

Frauen in der Wirtschaft war ein Themenschwerpunkt der Gleichstellungsbemühungen in Europa. Die Analyse ist eindeutig: Frauen unterliegen einem besonderen Armutsrisiko wegen ihrer hohen Belastung durch unbezahlte Familien- und Sorgearbeit, ihrer geringeren Erwerbsbeteiligung und der Konzentration in geringbezahlter und prekärer Beschäftigung. Zwar gelang es in der Boomphase der Globalisierung häufig, die „Beschäftigungsfähigkeit“ und die tatsächliche Beschäftigungsrate von Frauen zu erhöhen und die Barrieren für junge Unternehmerinnen abzusenken. Doch das Instrumentarium, um Armut, das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen, die Marktsegmentierung und das Vereinbarkeitsproblem durch die Einbeziehung von Männern zu reduzieren, ist offenbar nicht ausreichend oder ungeeignet, um einen Ausgleich zu schaffen. Vielmehr droht die Krise, die Fortschritte wieder umzukehren.

Wirtschaftswachstum hat keineswegs automatisch Geschlechtergleichheit erzeugt. Die weltweit höchsten Wachstumsraten in Süd- und Ostasien gehen einher mit der weltweit größten Zahl von Armen, hohe Beschäftigungszahlen von Frauen gehen einher mit dem größten Lohngefälle zwischen Männern und Frauen. Die Lohnlücke in Australien ist gewachsen, die Beschäftigung von Frauen in Südost- und Ostasien ist bereits wieder rückläufig.

Überall hat die Krise eindeutig negative Auswirkungen auf Frauen. Nicht eindeutig ist dagegen, dass nationale Konjunkturpakete gendersensibel sind. Für Lateinamerika lautet das Fazit: Die Krise höhlt Erreichtes aus. MigrantInnen schicken weniger Rücküberweisungen, die Jobmöglichkeiten für Frauen schrumpfen, die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich.

* Bildung: Erfolgsbereich mit Haken

Bildung gilt als Erfolgsbereich in Sachen Gleichstellung, die Alphabetisierungsrate von Mädchen und Frauen konnte verbessert werden. In Lateinamerika und der Karibik haben junge Frauen sogar auf der Sekundar- und Tertiärstufe junge Männer überholt. Schulabgänger sind dort im Unterschied zu anderen Regionen mehrheitlich männlich. Allerdings zahlt sich mehr Bildung auch für Lateinamerikanerinnen nicht automatisch in gute Jobs und Einkommen aus, weil sie sich in frauenspezifischen Ausbildungsgängen vor allem im Gesundheits- und Bildungsbereich konzentrieren.

Ein Haken bei der Messung von Bildungserfolgen sind allerdings die Indikatoren. Wo Gleichheit - wie bei den MDGs – an Parität bei der Einschulung abgelesen wird, weiß man weder, wie viel Prozent einer Altersgruppe eingeschult werden (Gleichheit kann es auch bei 40% geben), noch wie viele der Eingeschulten eine Schulstufe beenden. Außerdem stehen die relativen Fortschritte in Afrika und Asien im Kontext einer kontinuierlichen Verschlechterung der Bildungsqualität.

Auch das Instrument des Gender Mainstreaming, das seit der Peking-Konferenz als Wunderwaffe der Gleichstellung gehandelt wurde, ist an seine Grenzen gestoßen. Im Gesundheitsbereich kann es helfen, besonderen Frauenbedürfnissen gerecht zu werden. Neuerdings ist jedoch in vielen Ländern die Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen das Haupthindernis für Frauen, weil medizinische Versorgung dadurch für sie unbezahlbar wird. Daran aber ändert ein Mainstreaming-Ansatz nichts. Dies ist ein Grund dafür, dass die hohe Müttersterblichkeit in Asien, Afrika und Lateinamerika immer noch nicht signifikant gesenkt werden konnte.

Erstaunlich ist auch, wie wenig das große Themenfeld Umwelt „gegendert“ wurde. Der für viele Länder überlebensbedeutsame Klimawandel ist weitgehend ein blinder Fleck auf der Gender-Karte geblieben.

In der Politik wächst die Partizipation von Frauen nur sehr langsam. Zwar gibt es überall Ausnahmefrauen: die erste Regierungschefin Afrikas in Liberia, drei Präsidentinnen in Lateinamerika. Allerdings zeigt sich, dass Quoten als Hilfsmittel für eine Gleichstellung bei weitem nicht ausreichen. In vielen Ländern Afrikas und in arabischen Ländern werden Quoten einfach ignoriert oder von Alibi-Frauen wahrgenommen, sodass sich der Anteil von Frauen in politischer Macht nicht signifikant verbesserte.

* Schwerpunkt Gewaltschutz

Anders als vor 15 Jahren behandeln Regierungen in den meisten Ländern Gewalt gegen Frauen als Schwerpunktthema. In Lateinamerika wurde kürzlich bereits die dritte Generation von Gewalt-Schutz-Gesetzen verabschiedet, obwohl Gesetze aus den 1990er Jahren noch nicht umgesetzt sind. Djibouti, Ägypten und Jemen haben Genitalverstümmelung gesetzlich verboten, der Libanon hat Ehrenmorde kriminalisiert.

In diesem Bereich machen Frauenorganisationen Betroffenen Hilfs- und Schutzangebote und entlasten damit den Staat. So würdigen denn auch die UN das Engagement von Frauenorganisationen. Sie üben weiter Druck auf die Regierungen aus, die Pekinger Aktionsplattform umzusetzen und übernehmen öffentliche Aufgaben, während es den staatlichen Gleichstellungsstrukturen meist an finanzieller und personeller Ausstattung fehlt, um durchsetzungsfähig zu sein.

* Kein Fortschritt erfolgt automatisch

Zudem trocknet die globale Krise derzeit sowohl nationale Gleichstellungsmaßnahmen als auch die Millennium-Entwicklungsziele aus und verschlechtert damit die Aussichten für Frauenrechte und Geschlechtergleichheit. Allerdings nutzen Regierungen die Krise auch manchmal als Killerargument, um die eigene Handlungsschwäche zu rechtfertigen. Ähnlich wird das Fehlen von geschlechtsdisaggregierten Daten nunmehr seit Jahrzehnten als Entschuldigung dafür angeführt, dass Regierungen keine geschlechtergerechten Programme planen und keine konkreten Zustandsbeschreibungen liefen können.

Inzwischen zeigen alle Erfahrungen: Kein Fortschritt erfolgt automatisch, sondern es gehören politischer Wille, finanzielle Mittel und ein technisches Instrumentarium dazu. Veränderungen sind zäh und nicht gesichert. Fünfzehn Jahre nach der Peking-Konferenz wissen die Regierungen das nur zu gut. Aber ihre Berichte enthalten keine neuen Konzepte, Strategien und auch keinen neuen Schwung. Genau das – dies bemerkt die ECE – ist aber vonnöten, wenn es mit Geschlechtergleichheit und Frauenrechten wirklich noch einmal signifikant vorwärts gehen soll.

Hinweise:
* United Nations Economic Commission for Europe (ECE): Beijing +15 Regional Review Meeting, Geneva, 2-3 November 2009, Regional Review of Progress, ECE/AC.28/2009/3
* United Nations Economic Commission for Africa (ECA): Fifteen-Year Review of the Implementation of the Beijing Platform for Action in Africa (BPfA)+ 15, Synthesis Report 1995-2009, Eighth Africa Regional Conference on Women (Beiing+15), 16-20 November 2009, Banjul, the Gambia, E/ECA/ARCW/8/5
* Economic and Social Commission for Asia and the Pacific (ESCAP): Highlights of Progress and Challenges in Implementing the Beijing Platform for Action: Good Practices, obstacles and New Challenges, High-level Intergovernmental Meeting to Review Regional Implementation of the Beijing Platform for Action and its Regional and Global Outcomes, 16-18 November 2009, Bangkok, E/ESCAP/BPA/2009/3
* United Nations Economic Commission for Latin America and the Caribbean (ECLAC): Review of the Implementation of the Beijing Declaration and the Platform for Action and the Outcome of the Twenty-Third Special Session of the General Assembly in Latin American and Caribbean Countries, LC/L.3175
* United Nations Economic and Social Commission for Western Asia (ESCWA): Consolidated Arab Report on the Implementation of the Beijing Platform for Action: +15, E/ESCWA/ECW/2009/IG.I/3

Veröffentlicht: 23.2.2010

Empfohlene Zitierweise: Christa Wichterich, Frauenrechte: Stillstand so weit das Auge reicht. 15 Jahre nach Peking, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 23.2.2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).