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Gemeinwohl-Ökonomie als Zukunftsmodell

Artikel-Nr.: DE20101002-Art.51-2010

Gemeinwohl-Ökonomie als Zukunftsmodell

Diskussionsanstöße für ein anderes Wirtschaften

Vorab im Web – Aktuelle Krisen wie Finanzblasen, Arbeitslosigkeit, Hunger, Umweltzerstörung oder Demokratieverfall hängen miteinander zusammen, ja mehr noch, sind auf eine gemeinsame Wurzel zurückzuführen, nämlich auf Gewinnstreben und Konkurrenz als „fundamentale Anreizstruktur unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems“, so die Ausgangsthese von Christian Felber in seinem neuen Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“ (s. Hinweis), mit dem sich Hans Holzinger befasst.

Felbers Befund kurz gefasst: Dieses Wirtschaften gefährdet den seelischen, sozialen und ökologischen Frieden. Die „Gemeinwohl-Ökonomie“ hingegen fördere und belohne dieselben Verhaltensqualitäten und Werte, die unsere menschlichen und ökologischen Beziehungen gelingen lassen: „Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen“.

* Gemeinwohlmatrix und Gemeinwohlpunkte

So weit, so gut – doch wie soll die Gemeinwohl-Ökonomie in der Praxis aussehen? Im Zentrum der Überlegungen steht eine neue Unternehmensbilanz, die neben dem wirtschaftlichen Ergebnis auch soziale und ökologische Belange integriert. Über für alle geltende Mindeststandards hinaus erhalten jene Unternehmen, die besonders sozial und ökologisch agieren, sog. Gemeinwohlpunkte. Mit „rund 30 UnternehmerInnen aus Österreich und Deutschland“ hat Felber eine Art „Gemeinwohlmatrix“ (32f) entworfen. Diese umfasst so unterschiedliche Aspekte wie „Selbstorganisation der Arbeitszeit“, „Transparenz aller Entscheidungen und Zahlen“, „Rückverfolgbarkeit aller Produktteile“ oder „Begrenzung der Einkommensspreizung“. Selbstverständlich werden soziales Engagement und ökologische Vorbildhaftigkeit honoriert. Zusatzpunkte gibt es aber auch für MitarbeiterInnenbeteiligung, den Verzicht auf Werbung, regionale Verankerung oder „kooperative Marktplanung“.

* Anreizsystem für Gemeinwohlorientierte

Und damit sich das Ganze auch lohnt, muss eine gute Gemeinwohlbilanz auch finanzielle Vorteile bringen. Gedacht wird an einen niedrigeren Steuersatz und Zolltarif, an günstigeren Kredit bei der „Demokratischen Bank“ (ihr ist ein eigenes Kapitel gewidmet, www.demokratische-bank.at) sowie an den Vorrang bei öffentlichem Einkauf und Auftragsvergabe (welche laut Buch immerhin ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung ausmacht). „Diese Belohnungen helfen den Gemeinwohlorientierten, ihre (höheren) Kosten zu decken.“ (34) Zusätzlich wird vorgeschlagen, auf allen Produkten die „Gemeinwohlstufe“ des Unternehmens, von dem diese stammen – sozusagen als Entscheidungshilfe für die KonsumentInnen – mittels einer Farbskala anzugeben. Das Ziel dabei: „Durch das Zusammenwirken von rechtlichen Vorteilen, Konsumentscheidungen und der Präferenz ´erfolgreicher´ Zulieferbetriebe entsteht eine mächtige Spirale in Richtung Gemeinwohl.“ (34) Die politischen Rahmenbedingungen werden sozusagen von individuellem Gewinnstreben auf das Gemeinwohl „umgepolt“.

* Begrenzung des Eigentums

Über diese neue Unternehmensbilanz hinaus schlägt Felber weitere Änderungen vor, die das Wirtschaften grundlegend umgestalten würden: Gewinn soll nur mehr im Betrieb investiert und an im Betrieb Beschäftigte ausgeschüttet werden (was de facto das Ende von Aktiengesellschaften bedeuten würde). Nicht erlaubt wären überdies Firmenaufkäufe, Finanzspekulationen sowie Parteispenden. Neu wäre auch die „kooperative Marktplanung“ (46), die branchenbezogen gemeinsam die Produktion an den Bedarf von Gütern festlegt (anstatt sich gegenseitig zu zerstören), sowie eine originelle Verkürzung der Arbeitszeit durch Freijahre („alle Menschen [dürfen] sich pro Dekade ihres Berufslebens ein Jahr Auszeit nehmen und anderwärtig verwirklichen“ - 48).

Tiefgreifend aber folgerichtig verlangt Felber schließlich auch Veränderungen in der Eigentumsordnung. „Die Absolutstellung des Eigentumsrechts“ sei heute „zur größten Gefahr für die Demokratie geworden“, warnt der Autor (61) und beschreibt den Kapitalismus als „positiv rückgekoppeltes System, weil es mit fortschreitendem Reicherwerden und Größerwerden für Individuen und Unternehmen immer leichter wird, noch reicher und größer zu werden.“ (62) Auf den Punkt gebracht: Die erste Million sei die schwierigste!

Dieser systemischen Fehlentwicklung entgegnet die Gemeinwohl-Ökonomie mit vier Begrenzungen: der „Begrenzung der Einkommensungleichheit“ (auf das Verhältnis von maximal 1:20), der „Begrenzung des Rechts auf Aneignung von Privatvermögen“ (erlaubt sind maximal 10 Mio. €), der „Begrenzung der Größe von Unternehmen in Privatbesitz“ (gestaffelt nach Betriebsgröße sollen die Belegschaften Stimmrechte erhalten) und schließlich der „Begrenzung des Erbrechts“. 500.000 € bei Privatvermögen bzw. 10 Mio. € bei Firmenvermögen wären die Obergrenzen, was darüber hinausgeht, wird „dekonzentriert“ (68), sprich umverteilt.

* Wirtschaftsdemokratie

Insbesondere plädiert Felber für genossenschaftlich geführte Betriebe bzw. solche mit hohen MitarbeiterInnenbeteiligungen (bereits existierende Beispielsunternehmen werden im vorletzten Kapitel vorgestellt). Dass aus dem Erbrecht nicht ein „automatischer Besitz- und Führungsanspruch“ abgeleitet werden dürfe, begründet der Autor gerade mit dem Leistungsprinzip. Unternehmen sollten von den Besten geführt werden, von jenen, die Verantwortung übernehmen wollen und diese von den Belegschaften übertragen bekommen; das müssten nicht immer die Söhne und Töchter der Voreigner sein.

Diese für viele wohl radikal anmutenden Maßnahmen würden jedoch, so Felber, eine tatsächliche Demokratisierung der Wirtschaft einleiten: „Mehr Menschen könnten mitbestimmen und mitgestalten, die Meinung und Kompetenz von mehr Menschen wäre gefragt, der Wert von mehr Menschen als bisher würde geschätzt – nicht nur durch anerkennendes Schulterklopfen, sondern durch materielle Eigentums- und Mitbestimmungsrechte.“ (74)

* Ein anderes Wirtschaften denken

Christian Felber eröffnet Denk- und Handlungsräume für ein partizipatives Wirtschaftssystem, das er um ein dreigliedriges Demokratiesystem, bestehend aus repräsentativer, direkter und partizpativer Demokratie, ergänzt (91ff). Wohl nur auf den ersten Blick erscheinen die Überlegungen als unrealistisch. Konditioniert in der Konkurrenzlogik mag dieses „Wirtschaftsmodell der Zukunft“ zunächst Abwehr hervorrufen (der Autor geht im letzten Kapitel gleich vorweg auf „häufig gestellte Fragen“ ein). Die sich mehrenden Krisenphänomene legen jedoch einen Systemwandel nahe, der über rein reaktives Reparieren hinausgeht. Wenn Adam Smith für individuelles Leistungsstreben und Eigennutz plädiert hat, dann ist dies vor dem Hintergrund des ökonomisch völlig ineffizienten (und ausbeuterischen) Feudalsystems seiner Zeit verständlich. Die Pervertierung der Marktwirtschaft im entfesselten globalen Kapitalismus hat eine neue Feudalschicht hervorgebracht, die ebenfalls nichts mehr mit Leistungsgerechtigkeit und Verantwortung (etwa von Aktionären oder Finanzspekulanten) zu tun hat.

Christian Felber gibt die zeitgemäße Antwort auf diese Schieflage: Er plädiert für die Begrenzung der Vermögensakkumulation und – was nicht weniger wiegt – für die Einbettung wirtschaftlichen Tuns in die Lebenszusammenhänge der Menschen, indem er Mitbestimmung und Kooperation zu den zentralen Prinzipien erhebt. Vieles an der hier vorgestellten „Bedarfswirtschaft“ ist noch im Detail zu klären. Das Spannende dabei aber ist: Dieses neue Wirtschaften kann in vielen kleinen Experimenten erprobt werden (im Anhang sind bereits an die 70 Unternehmen angeführt, die an der Umsetzung arbeiten möchten) und zielt doch auf die demokratische Umsetzung im Größeren (der Autor ist „Republikaner“ im ursprünglichen Wortsinn, in dem er die „res publica“ ernst nimmt).

Die Vorschläge sind gedacht als Diskussionsgrundlage, die Ausgestaltung der Gemeinwohl-Ökonomie soll ja demokratisch durch einen „Wirtschaftskonvent“, ihre Verankerung in der Verfassung am besten per Volksentscheid erfolgen. Dass es derlei zumindest theoretisch bereits gibt, zeigt ein Verweis auf die Bayrische Verfassung, in der es heißt „Alle wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“. Und der neue Trinkspruch existiert auch bereits: „Zum Gemeinwohl!“ Jedenfalls ist dem Buch zu wünschen, dass es breite Diskussionen über die Ziele und die Orientierung von Wirtschaften auslöst. Denn die Wirtschaftswelt ist derzeit wohl jener Bereich, in der Demokratie und Mitbestimmung am wenigsten verankert sind. Mit diskutieren kann man/frau auch unter www.gemeinwohl-oekonomie.org.

Hinweis:
* Christian Felber, Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft, 159 S., Deuticke: Wien 2010. Bezug: Buchhandel.

Veröffentlicht: 3.10.2010

Empfohlene Zitierweise: Hans Holzinger, Gemeinwohl-Ökonomie als Zukunftsmodell, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 10/2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).