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IWF-Frühjahrstagung: Einstürzende Dogmen

Artikel-Nr.: DE20100421-Art.20-2010

IWF-Frühjahrstagung: Einstürzende Dogmen

Doch zu einer grundlegenden Reform gehört mehr

Nur im Web - Mit der drastischen Aufwertung, die der Internationale Währungsfonds (IWF) im Zuge der Finanzkrise erfahren hat, ist auch die Frage nach seinem zukünftigen Mandat verbunden. Wie soll er aussehen, der „Fonds des 21. Jahrhunderts“? Einen Überblick über die umstrittenen Eckpunkte des Selbstverständnisses des IWF, die auch auf der Frühjahrstagung in dieser Woche zur Debatte stehen, geben Rainer Falk und Barbara Unmüßig.

Als der Geschäftsführende Direktor des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, kürzlich während einer Rede in Cambridge von protestierenden Studenten unterbrochen wurde, rief er: „Haben Sie nicht in der Presse gelesen, dass es den alten IWF nicht mehr gibt?“ Strauss-Kahn liebt es, von einem „neuen IWF“ zu reden, der unter seiner Führung Gestalt annehme. In Cambridge verwies er auf die Rolle des Fonds, der während der jüngsten Krise nun antizyklische Konjunktur- und expansive Fiskalpolitik propagiert. Und dennoch haben auch die Studenten Recht, auf deren Transparenten stand, dass der IWF noch immer Teil des Problems und nicht der Lösung ist.

* Neue Töne in der Makropolitik

Kein Zweifel: Seit der „Reformdirektor“ (Strauss-Kahn über sich selbst) sein Amt angetreten hat, ist beim IWF einiges anders geworden. Die große Finanzkrise und die sich anschließende Große Rezession haben viele ökonomische Dogmen, die der Fonds im Zeichen des Washington Consensus lange Jahre vor sich her getragen hat, über den Haufen geworfen. Erst vor kurzem hat ein Autorenteam mit dem Chefökonomen des IWF, Olivier Blanchard, an der Spitze eingeräumt, dass die makroökonomische Politik des Fonds in den letzten Jahrzehnten schlicht falsch war. Dies gelte insbesondere für die extrem niedrigen Inflationsziele, die der IWF stets zum Dogma erhob. Als falsch wird nun auch die Vernachlässigung der Rolle der Fiskalpolitik und die Deregulierung des Finanzsektors betrachtet. Insbesondere die Infragestellung des Inflationsziels ist starker Tobak – nicht zuletzt für die Stabilitätsfanatiker bei der Deutschen Bundesbank.

Im Bemühen um eine andere Makropolitik hat der IWF auch seine Politik in Sachen Kapitalverkehrskontrollen korrigiert. Wie jetzt auch der Financial Stability Report bestätigt hat, gehören Kapitalverkehrskontrollen als Option für krisengeschüttelte Länder wieder offiziell zum wirtschaftspolitischen Instrumentarium des IWF.

Über diesen Wandel hinaus hat die globale Wirtschafts- und Finanzkrise den IWF auch in seinen ökonomischen Interventionsmöglichkeiten enorm gestärkt. Soeben wurden die Verhandlungen über eine Verelffachung der finanziellen Ressourcen des Fonds im Rahmen der sog. Neuen Kreditvereinbarung (NAB) abgeschlossen, die der Londoner G20-Gipfel im letzten Jahr auf den Weg gebracht hatte. Dem Fonds stehen jetzt 550 Mrd. US-Dollar zur Verfügung, die er an notleidende Mitgliedsländer weiterverleihen kann. Die in London ebenfalls beschlossene Aufstockung der Sonderziehungsrechte des Fonds ist dabei noch nicht mitgerechnet.

* Der Fonds ist wieder wer, doch immer noch Teil des Problems

Vorbei also sind die Zeiten, als dem IWF das Geld auszugehen drohte, nachdem die Großschuldner reihenweise, teils vorzeitig, ihre Kredite zurückgezahlt hatten, um der bevormundenden Kuratel des Fonds zu entkommen. Der Fonds ist wieder wer und erklärt erneut bei jeder Krise – von Afrika bis Asien, von Osteuropa bis Griechenland: We stand ready! Wir sind zur Hilfe bereit.

Doch genau hier beginnt das Problem. Erstens muss sich paradigmatischer Wandel noch nicht unbedingt in realen Veränderungen niederschlagen. Zweitens: Eine solch gewaltige Aufstockung seiner Finanzressourcen müsste eine Reform der Institution an Haupt und Gliedern mit sich bringen. Denn der IWF hat nach wie vor ein Glaubwürdigkeitsproblem. Drei Beispiele:

* Doppelte Standards: Es ist richtig, dass der IWF in der jüngsten Krise antizyklische Konjunkturpolitik ermutigt hat. Dies ist aber höchstens die halbe Wahrheit. Richtig ist, dass der Fonds damit ein zusätzliches Glaubwürdigkeitsproblem bekommen hat. Denn offenkundig gibt es jetzt einen neuen Doppelstandard: Während den reichen Mitgliedsländern in der Krise expansive Haushaltspolitik gepredigt wurde, ist vielen ärmeren Ländern diese nach wie vor verwehrt.

* Ungleichgewichte: Ähnliches gilt für einen Konstruktionsfehler, mit dem der IWF seit seiner Gründung leben musste: Bis heute hat der Fonds keine Lösung für seine zahlreichen Asymmetrieprobleme gefunden. So kann er immer nur Defizitländer disziplinieren; gegenüber den reichen oder neureichen Überschussländern sind seine Waffen stumpf. Ermahnt er wie jüngst China zur Währungsaufwertung, wird dies schnell und zu Recht als Bashing im Interesse des stärksten Mitgliedslands, der USA, empfunden.

* Machtverteilung: Eng damit zusammen hängen die gravierenden demokratischen Governance-Defizite, die der IWF mit sich herumschleppt. Wenn auf der bevorstehenden Frühjahrstagung erneut über eine Reform der Stimmrechtsverhältnisse verhandelt wird, geht es höchstens um Trippelschritte für eine bessere Vertretung der Schwellenländer. Ein wirklicher Interessenausgleich zwischen Nord und Süd, zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern im Fonds würde die Einführung eines Systems doppelter Mehrheiten erfordern, bei dem bei Grundsatzentscheidungen Mehrheiten in allen Gruppen gegeben sein müssen. Strauss-Kahn hat im Rahmen seiner Bewerbung für das Amt selbst für ein solches System plädiert. Geschehen ist in dieser Richtung bislang aber nichts.

Wir könnten diese Defizitliste fortführen. Wie die Durchsicht der bestehenden und der neuen Kreditverträge des Fonds (s. Hinweis) ergibt, enthalten zwar einige inzwischen Klauseln, dass soziale Sicherheitsnetze nicht beschädigt werden dürfen, werden aber ansonsten weiterhin von prozyklischen Maßnahmen und einer unsozialen und oft auch ökologisch fragwürdigen Sparpolitik geprägt. Bis heute nicht in Angriff genommen ist auch der Rückzug des IWF aus der Entwicklungsfinanzierung in dutzenden armer Länder, in die er vor dem Hintergrund der Schuldenkrise der 1980er/90er Jahre geraten war.

* Mit den Finanzinteressen im Bunde

Ein Ärgernis der besonderen Art ist schließlich die Beratungstätigkeit des Fonds in der laufenden Diskussion um eine Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Finanzkrise. Statt unvoreingenommen die verschiedenen Optionen, darunter die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, zu prüfen und diese dann auf der Frühjahrstagung vorzustellen, haben sich Sprecher des Fonds, nicht zuletzt Strauss-Kahn selbst, ohne Not voreilig und einseitig auf das Modell einer Bankenabgabe festgelegt, wie es auch von Teilen des Finanzsektors bevorzugt wird. Der IWF mag in mancher Hinsicht nicht mehr jener Zuchtmeister wie in der Vergangenheit sein. Die Interessen der Finanzmärkte sind ihm immer noch viel Wert.

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Rainer Falk ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung. Der Beitrag ist in gekürzter Version auch in der "Financial Times Deutschland" v. 21.4.2010 erschienen.

Hinweis:
* EURODAD/Third World Network/Heinrich Böll Foundation: Standing in the way of development? A critical survey of the IMF's crisis response in low income countries, 46 pp, Brussels 2010. Bezug: >>> hier.

Veröffentlicht: 21.4.2010

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk/Barbara Unmüßig, IWF-Frühjahrstagung: Einstürzende Dogmen. Doch zu einer grundlegenden Reform gehört mehr, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 21.4. 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).