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Klimaschutz und industrielle Viehzucht - geht das?

Artikel-Nr.: DE20100303-Art.09-2010

Klimaschutz und industrielle Viehzucht - geht das?

Der FAO-Bericht zu Ernährung und Landwirtschaft

Vorab im Web – Mit mehrmonatiger Verspätung ist der neue FAO-Bericht zum Stand von Ernährung und Landwirtschaft erschienen (Schwerpunkt: Viehwirtschaft). Nach dem Desaster von Kopenhagen hätte man Hinweise zur Rettung des Planeten vor dem weiteren Anstieg der Treibhausgase erwarten können. Die industrielle Viehzucht verursacht nämlich mehr Emissionen als der Transportsektor. Doch die FAO-Vorschläge lesen sich so, als sollten lediglich die Liegestühle auf der Titanic neu arrangiert werden, schreibt Susanne Gura.

Vor allem das Worldwatch-Institut kam mit neuen Zahlen heraus. Diese korrigierten die 18%, auf die die FAO den anthropogenen CO2-Anteil der Tierproduktion schätzt, nach oben auf 51%. Zugleich machte das Institut eine Reihe von Vorschlägen, wie dieser Anteil schnell zu reduzieren sei. Die Tatsache, dass Methan eine Halbwertzeit von nur sieben bis acht Jahren hat, spricht für die Idee weniger Fleisch zu essen, um dem Energie- und Transportsektor die notwendige Zeit zur Umstellung auf eine nachhaltigere Betriebsweise zu geben.

* Besteuerung von Emissionen der Viehwirtschaft?

Die FAO indessen betreibt Business as usual. Schon heute stellt die industrielle Viehwirtschaft die meisten Tierprodukte der Welt bereit, wobei erwartet wird, dass sie angesichts der wachsenden Bevölkerung und der veränderten Ernährungsgewohnheiten weiter wächst. Die FAO stützt sich auf Projektionen, nach denen die steigende Nachfrage zu einem wachsenden Viehbestand führen wird – wobei die Anzahl der Rinder zwischen 2000 und 2050 von 1,5 Mrd. auf 2,6 Mrd. Stück, die der Ziegen und Schafe von 1,7 auf 2,6 Mrd. anwachsen soll (S. 24). Wieso sollte ein derartiges Wachstum keine Konsequenzen für das Klima, das Wasser, die Böden und die Biodiversität nach sich ziehen? Die Rezepte der FAO bleiben jedenfalls ziemlich allgemein.

Mehrere Medien haben den folgenden Satz aus dem Schlusskapital aufgegriffen: „Maktgestützte Politiken wie Steuern und Abgaben für die Nutzung von natürlichen Ressourcen sollten die Produzenten veranlassen, die Kosten der durch die Tierproduktion verursachten Umweltschäden zu internalisieren.“ (S. 99) Die Financial Times von 19.2.2010 machte sogar einen Ruf nach der Reform der Tierindustrie aus, obwohl die Vorschläge auf diesem allgemeinen Niveau nicht neu sind.

Hinzu kommt: Nach Folkhard Isermeyer, Ökonom am Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut in Zürich, der am 21. Februar in einem Bundestagshearing auftrat, wären steuerliche Maßnahmen das ungeeignete Mittel. Steuern, etwa auf Nitrogen-Emissionen, würden nicht den Konsum beeinflussen, da die Produzenten in Nachbarländer ausweichen könnten. So hat die Begrenzung der Zahl der Schweinemastbetriebe wegen deren exzessiver Nitrogen-Belastung von Böden und Wasser in Holland dazu geführt, dass holländische Landwirte in Polen oder Ostdeutschland investiert haben – mit dem Ergebnis einer insgesamt gestiegenen Ferkelproduktion. Schon vor einiger Zeit hatte die deutsche Bioland-Vereinigung vorgeschlagen, die reduzierte Mehrwertsteuerregelung von Nahrungsmittel (7 statt 19%) im Fall von Fleisch außer Kraft zu setzen.

Die verschiedenen Arten der Besteuerung und Abgaben werden in dem FAO-Bericht überhaupt nicht diskutiert, auch wenn er mehr Regelungsbedarf konstatiert. Er bedauert fälschlicherweise, dass die Revolution der Viehwirtschaft in einem institutionellen Vakuum stattfand (s. Vorwort) – fälschlicherweise weil reichliche finanzielle (etwa durch steuerliche Sonderregelungen) und regulatorische Unterstützung dem Industriezweig zu seiner „Dynamik“ verholfen hat. Klar gefördert wurde der Sektor durch Subventionen und Entwicklungshilfe, was kaum erwähnt oder gar durch Zahlen belegt wird. Vor allem im Fall von Exportindustrien gibt es große regulatorische Unterstützung, die der Report allerdings detailliert darlegt.

* Reduktion von Infektionsrisiken?

Tierkrankheiten nehmen zu, wenn die Zahl der Tiere, die in beengten Verhältnissen gehalten werden, steigt. Trotz aller Biosicherheit schafft es ihr schwaches Immunsystem nicht, Infektionen zu widerstehen. Um die Infektionsrisiken zu verringern, empfiehlt die FAO die Auslagerung von Tierfabriken, um Kontakte von Mensch und Tier zwischen traditionellen und modernen Systemen zu vermeiden (S. 86). Lokale Tierrassen sind in der Regel Überträger von Krankheitserregern, während sie selber oft nicht krank werden. Das Keulen lokaler Geflügelbestände in großem Stil, um die Vogelgrippe zu bekämpfen, hatte katastrophale Folgen für die Ernährungssicherheit, die Armutsminderung und den Erhalt genetischer Ressourcen; einige Jahre nach der Vogelgrippe lautet die Empfehlung, „exzessives Keulen“ (S. 90) zu vermeiden.

Die wachsende Zahl und Ausbreitung von Epidemien infolge der industriellen Viehwirtschaft – dazu liefert die Bericht eine gute Datensammlung – führt zu der Forderung nach mehr öffentlicher Unterstützung für Forschung und Versicherung gegen die mit der Erkrankung von Tieren verbundenen Schäden. In Deutschland trägt der Steuerzahler bereits die Hälfte der Versicherungskosten, und die Industrie fordert dies auch in anderen Ländern. Auf der anderen Seite wurde die veterinäre Versorgung privatisiert, und unabhängige Beratung auf diesem Gebiet ist schwer zu bekommen, da diese in zunehmendem Maße Bestandteil der Verträge ist, aufgrund derer die Bauern auch alle anderen Inputs von einer Firma beziehen. Ob solche Arrangements den Landwirten und der Öffentlichkeit dienen, ist höchst fraglich, wird aber in dem Bericht nicht diskutiert.

Ernährungsgewohnheiten im Süden


Vertragsproduktion wird hingegen ausführlich erörtert, trotz des Datenmangels in diesem Bereich. Nur in einem Land (in den USA) werden solche Verträge überhaupt registriert, und in den meisten Ländern enthalten sie eine Klausel, aufgrund derer der Vertragsinhalt geheim bleiben muss. Praktiken der unfairen Teilung des Risikos und die daraus resultierende Verschuldung wurden von anderen berichtet, nicht jedoch von der FAO. Der FAO-Bericht beschreibt die Vertragsproduktion als Ansatz, der dazu dient, Kleinbauern in den Markt zu integrieren, der aber „gemischte Ergebnisse“ aufweist (S. 49). Man sollte hinzufügen, dass die multinationalen Nahrungsmittelkonzerne ihre Rohmilch (bzw. ihren Fisch, wenn es sich um Aquakultur handelt) mehr und mehr von Kleinproduzenten beziehen. Die Ansiedlung von Tierfabriken in der Schweine- oder Geflügelzucht führt indessen normalerweise zur Verdrängung von Kleinbauern. Denn diese industrielle Produktionsweise erfordert ständig wachsende Investitionen in die Biosicherheit, um Infektionen vorzubeugen.

Das Wohlbefinden der Tiere, eines der größten ungelösten Probleme der industriellen Viehwirtschaft, wird in dem Bericht nur in einer Box (S. 93) behandelt.

* Ein Beitrag zur Nahrungsmittelsicherheit und Armutsbekämpfung?

Mit Blick auf die Ernährungssicherheit und Armutsbekämpfung empfiehlt die FAO Maßnahmen
* zur Förderung der Kleinbauern, damit diese die Wachstumschancen des Sektors wahrnehmen können;
* zum Schutz der Armen, für die der Besitz von Vieh oft ein entscheidendes Überlebensinstrument ist; und
* zur Verfolgung einer breiter angelegten Politik der ländlichen Entwicklung, um für Viehhalter den Übergang in andere Sektoren zu erleichten.

Die FAO verweist auf die Notwendigkeit, die industrielle Tierproduktion durch eine Politik der ländlichen Entwicklung zu begleiten, macht dazu aber nur vage Vorschläge. 70% der städtischen und ländlichen Armen halten Tiere; dies sollte man „im Kopf behalten“ (S. 5). „Zumindest darf das Sicherheitsnetz, das die Tierhaltung darstellt, nicht ohne Entschädigung oder die Schaffung alternativer Sicherheitsnetze zerstört werden.“ (S. 95) Die Kleinbauern auf Wachstumschancen zu verweisen, klingt ziemlich hohl, da Tierfabriken von den Investoren oft errichtet werden, sobald eine bestimmte Größe aus Konkurrenzgründen geboten ist. Und wenn der Sektor schnell wächst, wächst die Größe der Betriebe konkurrenzbedingt ebenfalls schnell.

Die entscheidende Frage, warum die Menschheit auf dem Planeten Erde die industrielle Tierhaltung ausweiten muss, wo deren Anzahl doch heute schon die Grenzen der Tragfähigkeit überschreitet, beantwortet der Bericht nur ungenügend. Sicherlich – „geringe Mengen tierischer Nahrungsmittel können wesentliche Nährstoffe bereitstellen, die gut sind für die Gesundheit der Mütter und die physische und mentale Entwicklung von Kleinkindern“ (S. 40); Fleisch enthält Eisen und Zink in leicht verzehrbarer Form (und gibt’s auch aus Bioproduktion). Die globale Produktion von proteinreicher Pflanzenkost – wie Gemüse – ist derzeit aber rückläufig, teilweise aufgrund der Konkurrenz um Land und Wasser für Agrotreibstoffe und – perverserweise – für die Tierfütterung. Der FAO-Bericht hätte sich besser dieses Problems angenommen, also der Verdrängung klimaeffizienter pflanzlicher Proteine durch weit weniger klimaeffiziente Tierproteine.

Doch das Gegenteil ist der Fall: „Die Viehwirtschaft hat ein enormes Potential zur Minderung des Klimawandels“, behauptet der Bericht (S. 100). Statt aufzuzeigen wie das exzessive Wachstum der Tierproduktion reduziert werden kann, schlägt die FAO „neue und umfangreiche Initiativen auf nationaler und internationaler Ebene (vor), darunter die Förderung der Forschung zur Entwicklung neuer Technologien zur Minderung (des CO2-Ausstoßes), effektive und erweiterte Instrumente zur Finanzierung der Viehhaltung, Einsatz, Verbreitung und Transfer von Technologien zur Minderung von Treibhaus-Emissionen, erweiterte Kapazitäten zur Überwachung, zur Berichterstattung und zum Nachweis von Emissionen in der Viehwirtschaft“ (S. 100). Solche Lösungen liegen in weiter Ferne, sind theoretisch und, was die Kosten betrifft, sogar prohibitiv.

Hinweis:
* FAO, The State of Food and Agriculture 2009: Livestock in the balance, 176 pp, Food and Agriculture Organisation of the United Nations, Rome 2009. Bezug: über www.fao.org

Veröffentlicht: 3.3.2010

Empfohlene Zitierweise: Susanne Gura, Klimaschutz und industrielle Viehzucht - geht das? Der FAO-Bericht zu Ernährung und Landwirtschaft, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 03-04/2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).