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Können die MDGs doch noch erreicht werden?

Artikel-Nr.: DE20100623-Art.33-2010

Können die MDGs doch noch erreicht werden?

UN-Jahresbericht mit optimistischen Untertönen

Nur im Web - Die globale Wirtschaftskrise gefährdet nicht unbedingt das Erreichen der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) bis zum Jahr 2015, obwohl sie weltweit viele Arbeitsplätze und Einkommen vernichtet hat. Das schreiben die Vereinten Nationen in ihrem neuen Jahresbericht zu den MDGs (s. Hinweis). Der MDG-Bericht 2010 präsentiert etliche Erfolge, benennt aber auch die Bereiche, in denen bislang keine ausreichenden Fortschritte erzielt werden. Eine W&E-Zusammenfassung mit kritischen Rückfragen.

Der Bericht dient der Vorbereitung auf den UNO-Sondergipfel im September und erschien nur wenige Tage vor dem G8- und dem G20-Gipfel in Kanada. Auf dem G8-Gipfel, der unmittelbar am Vorabend des G20-Gipfels am 25./26. Juni zusammentritt, werden die Vertreter der sieben großen Industrienationen über ihre Hilfszusagen diskutieren. Der UNO-Sondergipfel zu den MDGs tagt vom 20. bis 22. September 2010 in New York. Dort soll ein Plan verabschiedet werden, um die Ziele weltweit schneller zu erreichen. Mehr als 100 Staats- und Regierungschefs werden erwartet, ebenso Vertreter von Unternehmen, Stiftungen und der Zivilgesellschaft.

* Gemischte Ergebnisse

Der Bericht dient der Vorbereitung dieser Ereignisse. Er zeigt, „dass die Ziele erreichbar sind, wenn nationale Strategien zur Entwicklungszusammenarbeit durch internationale Partner unterstützt werden“, schreibt UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in seinem Vorwort. „Es ist aber auch klar, dass wir das Leben der Armen nur inakzeptabel langsam verbessert haben. Einige hart errungene Erfolge sind durch den Klimawandel sowie die Nahrungs- und Wirtschaftskrise gefährdet worden. Milliarden Menschen blicken auf die internationale Gemeinschaft, die die MDGs umsetzen soll. Wir müssen dieses Versprechen einhalten.“

In dem UN-Bericht werden einige große Fortschritte beschrieben: Immer mehr Kinder können Grundschulen besuchen, vor allem in Afrika. Es gibt Fortschritte bei der Bekämpfung von AIDS und Malaria. Außerdem hat sich die Gesundheit von Kindern verbessert. Aber in vielen anderen Bereichen gibt es keine Fortschritte. Das hat vor allem Folgen für die Ärmsten, die Landbevölkerung, Behinderte und Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts diskriminiert werden.

Nur die Hälfte aller Menschen in den Entwicklungsländern hat Zugang zu ausreichenden Sanitäranlagen, wie Toiletten oder Latrinen. Mädchen, die zum ärmsten Fünftel gehören, haben eine 3,5mal geringere Wahrscheinlichkeit, eine Schule besuchen zu können, als diejenigen aus den reichsten Haushalten. Weniger als die Hälfte aller Frauen in einigen Regionen erhalten bei der Geburt angemessene medizinische Hilfe durch Fachpersonal.

Die Zahl der Menschen in den Entwicklungsländern, die mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag leben müssen, ist von 46% (Ausgangsjahr 1990) auf 27% im Jahr 2005 gesunken. Grund sind Fortschritte in China, Süd- und Südostasien. Es wird erwartet, dass diese Zahl bis 2015 auf 15% sinken wird.
 
Der Jahresbericht zeigt auch, dass der Kampf gegen Hunger durch die Wirtschaftskrise erschwert wurde. Die Fähigkeit der Ärmsten, ihre Familien zu ernähren, wurde beständig erschwert: 2008 durch steigende Nahrungsmittelpreise, 2009 durch sinkende Einkommen. Die Zahl der Unterernährten ist nach 2008 schneller gestiegen, diese Entwicklung ist bereits seit Beginn dieses Jahrzehnts zu beobachten.

* Düstere Prognosen für Entwicklungszusammenarbeit
 
Die Untersuchung von Ziel 8 (Globale Partnerschaft für Entwicklung) belegt, dass trotz der wirtschaftlichen Probleme die internationale Kooperation bislang nicht geschwächt worden ist. Die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) stieg sowohl 2008 als auch 2009 und beträgt insgesamt knapp 120 Mrd. US-Dollar pro Jahr. Die Entwicklungsländer haben einen besseren Marktzugang in reichen Ländern durchgesetzt. Durch weiteren Schuldenerlass konnten die Schuldenprobleme der Entwicklungsländer verringert werden.


„Trotz sinkender Exporte in Folge der weltweiten Wirtschaftskrise ist 2008 das Verhältnis zwischen Schuldendienst und Exporten stabil geblieben oder sank in den meisten Entwicklungsregionen weiter“, konstatiert der Bericht. „Die Verschuldung wird keinen historischen Höchststand erreichen, obwohl die Exporteinnahmen weiter sinken und in einigen Ländern das Wachstum zurückgeht.“

Über die allgemeine Entwicklung der Globalen Partnerschaft ist aber noch nicht das letzte Wort gesprochen. Aus dem UN-Bericht geht hervor, dass die Zunahme der ODA 2009 in realen Werten lediglich 0,7% gegenüber 2008 beträgt. Gemessen am gegenwärtigen Kurs des US-Dollars bedeutet das sogar einen Rückgang um 2%. In dem Bericht werden die Prognosen für die ODA 2010 mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Grund sind die wirtschaftlichen Probleme der Geberländer. Es klaffen noch große Lücken beim Versprechen von 2005, die Hilfe für Afrika zu verdoppeln. Außerdem haben sich die Hoffnungen, die Doha-Entwicklungsrunde abzuschließen, bisher nicht erfüllt.

* Jedes Jahr werden 13 Millionen Hektar Wald vernichtet

Alarmierende Entwicklung sieht der Bericht bei Ziel 7 (Ökologische Nachhaltigkeit sichern). Im letzten Jahrzehnt sind auf der Welt jedes Jahr 13 Millionen Hektar Wald vernichtet worden. Ein Jahrzehnt zuvor waren es jährlich 16 Millionen Hektar. Der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid ist zwischen 1991 und 2007 um fast 50% gestiegen. Zahlen für 2008 zeigen, dass sich dieser Anstieg zwar verlangsamt hat, vor allem wegen der Rezession. Es ist sogar möglich, dass der Gesamtausstoß an Emissionen 2009 gesunken ist. Klar ist aber, dass er rasant steigen wird, wenn die Weltwirtschaft wieder wächst und keine geeigneten Maßnahmen getroffen werden.

* Mütter- und Kinder-Sterblichkeit sinkt weltweit

Die Sterblichkeitsrate von Müttern und Kindern sinkt weltweit. Dennoch genügen diese Erfolge nicht, um die Millennium-Entwicklungsziele bis 2015 zu erreichen. Die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren ist von 12,6 Millionen (1990) auf geschätzt 8,8 Millionen (2008) gesunken. Das Sterbeverhältnis betrug 1990 100 tote Kinder auf 1000 Lebendgeburten. 2008 betrug es 72:1000. Das ist ein Rückgang von 28%, der aber nicht ausreicht, um MDG 4 zu erreichen: Danach soll die Sterblichkeitsrate von Kindern zwischen 1990 und 2015 um zwei Drittel sinken. Bei der Sterblichkeit von Müttern gibt es in vielen Ländern Fortschritte. Nötig wäre aber ein Rückgang von jährlich 5,5%, um MDG 5 zu erreichen: Zwischen 1990 und 2015 soll die Sterblichkeitsrate von Müttern um drei Viertel sinken.

Die Gesundheit von Müttern ist schwierig zu messen, häufig kann die Todesursache nicht eindeutig bestimmt werden. Der Jahresbericht 2010 belegt aber, dass die Unterschiede bei der Geburtshilfe zwischen Städten und ländlichen Gebieten geringer geworden sind und mehr Frauen während ihrer Schwangerschaft fachkundig betreut werden.

* HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria

Der gemeinsame Kampf gegen HIV/Aids gilt als einer der erfolgreichsten Bereiche der MDG-Umsetzung. Die Zahlen des Jahresberichts belegen das. „Die Verbreitung von HIV hat sich in den meisten Regionen stabilisiert und mehr Menschen haben bessere Überlebenschancen“, heißt es in dem Bericht. Ziel ist es, die Verbreitung von Aids zu stoppen und allmählich umzukehren. Die höchste Sterberate wurde 2004 mit 2,2 Millionen AIDS-Toten verzeichnet. 2008 betrug die Rate 2,0 Millionen.

In den Entwicklungsländern geht insgesamt auch die Tuberkulose zurück. 1990 war das Verhältnis 310: 1000. 2008 betrug es 210:1000. Im südlichen Afrika ist die Rate aber im selben Zeitraum von 300:1000 auf 490:1000 gestiegen. Die Sterberate war bis 2003 gestiegen. Seither ist eine Wende zu verzeichnen.

Die Hälfte der Weltbevölkerung hat das Risiko, sich mit Malaria anzustecken. Der Jahresbericht 2010 zeigt, dass 2008 daran 243 Millionen Menschen erkrankten und 863.000 starben. 89% der Fälle traten in Afrika auf. Die Zahl der Kinder in Afrika unter fünf Jahren, die unter Moskitonetzen schlafen, hat sich zwischen 2000 und 2009 vervielfacht. Auch das ist ein Grund, weshalb die Sterblichkeitsrate von Kindern gesunken ist.

* Einspruch gegen Engführung der Debatte

Der jährliche MDG-Bericht der Vereinten Nationen wird von über 25 UN-Agenturen und –Programmen zusammengestellt, darunter auch IWF und Weltbank. Herausgegeben wird er von der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (UN-DESA). Nicht alle UN-Gliederungen teilen freilich den darin enthaltenen Grundton, der bei allen Hinweisen auf die Schwächen der MDG-Umsetzung Optimismus versprüht.

Erst kürzlich sagte der Generalsekretär der UNCTAD, es sei nahezu unmöglich, alle MDGs in der vorgesehenen Zeitspanne bis 2015 zu erreichen (>>> Report on the Second UNCTAD Public Symposium). Der 2. UN-Bericht „Voices of the Vulnerable“ unterstreicht, dass die Kosten der Krise gerade für die ärmeren Haushalte im Süden besonders hoch sind, selbst wenn die makroökonomischen Daten auf die relative Widerstandsfähigkeit diverser Entwicklungsländer gegenüber der internationalen Krise verweisen. Und eine kürzlich ebenfalls erschienene Einschätzung des UN-Entwicklungsprogramms (>>> What will it take to achieve the Millennium Development Goals) gibt einen Eindruck davon, welche enormen Kosten aufgebracht werden müssen, um die Ziele noch zu erreichen.

Am interessantesten in der gegenwärtigen MDG-Debatte ist aber vielleicht die Position des UNCTAD-Sekretariats, das auf eine prinzipielle Beschränkung des MDG-Ansatzes hinweist. Danach würden die MDGs primär durch eine sektorale Sicht der Entwicklungsziele geprägt, statt durch einen umfassenden und integrierten bzw. ganzheitlichen Ansatz. Die MDGs sollten daher in eine breiter angelegte Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung integriert werden, statt lediglich auf die Schließung von Finanzierungslücken oder die Erreichung von Einzelzielen zu orientieren. Auch im Süden gehe es um „nachhaltige Entwicklung“. Notwendig sei deshalb nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Rückbindung der MDGs an die Entwicklungsagenda (>>> Reconnecting the MDGs to the development agenda: A four-pronged approach).

Hinweis:
* The Millennium Development Goals Report 2010, 80 pp, United Nations: New York, June 2010. Bezug: über http://www.unric.org/html/MDG_Report_2010_Eng.pdf