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Krise und Asymmetrien in der Eurozone

Artikel-Nr.: DE20100413-Art.18-2010

Krise und Asymmetrien in der Eurozone

Eine faire und nachhaltige Währungsunion?

Vorab im Web - Die Europäische Union ist in der größten Krise ihrer Geschichte. Die Probleme der öffentlichen Finanzen in Griechenland und anderen peripheren Ländern haben die Eurozone ernsthaft in Frage gestellt und den Euro, der vor wenigen Monaten noch als Alternative zum amerikanischen Dollar als neue Weltwährung gehandelt wurde, unter ernsthaften spekulativen Druck gebracht, schreibt Annina Kaltenbrunner.

Die Krise der Europäischen Union ist allerdings Resultat der tiefliegenden strukturellen Asymmetrien des europäischen Projekts, die in der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007-2009 in grelles Tageslicht getaucht wurden. Leidtragende dieser Asymmetrien ist die Arbeiterschaft: Auf der einen Seite die Arbeiter Deutschlands, auf deren Rücken das in der Europäischen Union fortgeführte merkantilistische Wirtschaftmodell Deutschlands ausgetragen wurde, und auf der anderen Seite die Arbeiter der Peripherie, die nun als Resultat der drastischen Sparmaßnahmen mit Lohnkürzungen, Arbeitslosigkeit und Sozialabbau konfrontiert sind.

* Gespaltene Währungsunion

Die Europäische Währungsunion hat den Spielraum der Nationalstaaten für autonome Geld- und Fiskalpolitik drastisch reduziert, wenn nicht sogar, wie im Falle der Geldpolitik, ganz abgeschafft. Die Unmöglichkeit einer nationalen Geld- und Wechselkurspolitik aber hat den wirtschaftlichen Anpassungsdruck auf den nationalen Arbeitsmarkt verlagert. Die fixierten Wechselkurse haben eine Anpassung des nominellen Außenwerts der einheimischen Währung unmöglich gemacht und damit das lokale Preisniveau, das vor allem durch das Lohnniveau bestimmt wird, zum Hauptinstrument der Aufrechterhaltung externer Wettbewerbsfähigkeit gemacht.

Das Resultat war ein „race to the bottom“, ein Wettlauf in den Abgrund, in dem versucht wurde, die Wettbewerbsfähigkeit durch die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und Lohnbeschränkungen zu erhalten. In einer Währungsunion kann dieses Rennen aber nur von wenigen Ländern gewonnen werden, während die anderen die Nachfrage bereitstellen müssen. Nicht überraschend traf ersteres auf Deutschland zu, das aufgrund seines historisch exportorientierten Wirtschaftmodells und des hohen Angebots an Arbeitskraft im Zuge der Wiedervereinigung am besten in der Lage war, den notwendigen Lohndruck auszuüben. Das Resultat war eine Eurozone mit strukturellen Leistungsbilanzüberschüssen und Deflation in Deutschland auf der einen Seite und strukturellen Leistungsbilanzdefiziten in der Peripherie auf der anderen Seite.

Dann kam die internationale Krise von 2007-2009, die die strukturellen Schwächen der peripheren Länder verstärkte und offensichtlich machte. Die fiskalischen Kosten der Rettungspakete für Banken, die in der Krise in Schwierigkeiten geraten waren, belasteten Länder mit schwächeren Fiskalpositionen. Zusätzlich wurden die öffentlichen Haushalte angesichts der Rezession durch fallende Steuereinkommen und steigende Staatausgaben belastet.

* Spekulative Welle gegen die Peripherie

Zur selben Zeit stellte die Europäische Zentralbank (EZB) den Banken Liquidität in großem Ausmaß zur Verfügung, damit diese ihre Bilanzen in Ordnung bringen und das wirtschaftliche Wachstum durch erneute Kreditvergabe unterstützen konnten. Und obwohl teilweise erfolgreich in ihrem ersten Ziel, verfehlten die Maßnahmen der EZB ihr zweites Anliegen weit. Anstatt in langfristige Kredite oder Staatstitel, die traditionell von längerer Laufzeit sind, zu investieren, zogen es die Banken vor, ihr Geld in kurzfristige Anlagen und spekulative Geschäften zu stecken. Dies wurde gerade durch die EZB, die dem Markt kurzfristige Titel und sichere Anlagen in großem Ausmaß zur Verfügung stellte und damit in direkter Konkurrenz zu den längerfristigen Titeln peripherer Staaten stand, ermöglicht. Das heißt, obwohl mit ausreichender Liquidität versorgt, weigerten sich die Banken, die längerfristigen Staatstitel zu halten – Staatstitel, die zum Großteil das Resultat der Rettungsaktionen für die Banken selbst waren. Und mehr als das, Banken weigerten sich nicht nur, die Staatstitel peripherer Staaten zu halten, sondern begannen aktiv gegen diese Staaten zu spekulieren.

Zusätzlich zu den eingangs dargestellten Asymmetrien in der realen Ökonomie brachten diese Entwicklungen noch zwei weitere strukturelle Asymmetrien der Währungsunion europäischen Stils ans Tageslicht:

Erstens sollte die Integration peripherer Länder in die Währungsunion zur ökonomischen Konvergenz und zur permanenten Reduktion der Kreditkosten dieser Länder führen. Und während dies in den ersten Jahren der Währungsunion auch erreicht wurde, als die Zinssätze der peripheren Länder sich denen der Kernländer anpassten, wurde in der Krise klar, dass die strukturellen Asymmetrien der Eurozone nicht beseitigt wurden. Die Zinssätze der peripheren Länder stiegen in einem Ausmaß, das kaum mit objektiven Kriterien gerechtfertigt werde konnte, sondern die bestehenden Hierarchien und Asymmetrien in der Eurozone widerspiegelte.

Zweitens zeigte die Krise in aller Deutlichkeit die Schwierigkeiten einer Währungsunion ohne gemeinsame Fiskalpolitik. Obwohl die Europäische Zentralbank Milliarden von Euros in den Markt pumpte, um einen Bankrott der Banken zu vermeiden, gab es keine europäische Institution, die den Staaten Liquidität zur Verfügung stellte.

* Alternativen innerhalb und außerhalb der Eurozone

Diese strukturellen Asymmetrien der Eurozone werden ausführlicher in einem aktuellen Report der Forschungsgruppe „Research on Money and Finance“ von der University of London unter dem Titel „Eurozone Crisis: Beggar Thyself and Thy Neighbour“ beleuchtet (s. Hinweis). Der Report diskutiert darüber hinaus auch mögliche zukünftige Strategien für die europäischen Peripherieländer innerhalb und außerhalb der Eurozone:

* Die erste Möglichkeit ist eine Beibehaltung des „Status quo“, der eine Anpassung durch Austerität, Liberalisierung und Stabilisierung auf dem Rücken der Arbeiterschaft zur Konsequenz hat. Es überrascht nicht, dass dies die bevorzugte Option der Eurozone und der Eliten der Peripherie ist.

* Die zweite Möglichkeit, die der Report unter dem Schlagwort eines „good euro“ diskutiert, ist eine radikale Reform der Eurozone, die versucht die Asymmetrien innerhalb der Währungsunion zu lösen. Dies beinhaltet eine viel stärkere Rolle für europaweite Fiskalpolitik durch größeren fiskalischen Spielraum für die Nationalstaaten, ein größeres gesamteuropäisches Budget und stärkere Transfers von den reichen zu den ärmeren Mitgliedsländern. Die Lohndruckspirale nach unten sollte durch eine aktive Lohnpolitik und den Schutz der Arbeitsplätze gelöst werden. Diese Strategie würde dem Report zufolge aber die internationale Rolle des Euros schwächen und somit eine Gefahr für die Nachhaltigkeit der Währungsunion selber darstellen.

Die letzte und wahrscheinlich bevorzugte Option, die in dem Report diskutiert wird, ist ein radikaler Bruch und ein dauerhafter Austritt der peripheren Länder aus der Eurozone. Neben einer Abwertung der Währung, einem Moratorium und der Restrukturierung der Schulden schlägt der Report eine Nationalisierung der Banken und strategischer Industrien als bestmögliche Entwicklungsstrategie vor. Gezielte Industriepolitik, vor allem in umweltfreundlichen Sektoren, soll nachhaltiges und faires Wachstum zugunsten der Arbeiter schaffen, während anhaltender Zugang zu internationalen Märkten ein Abdriften in die Autarkie vermeiden soll. Ob diese Option realisiert werden kann ist wohl eine Frage der Realpolitik, aber sie erinnert uns daran, dass ein Umdenken in Richtung eines fairen, gerechten und nachhaltigen Wachstums mehr denn je notwendig ist.

Annina Kaltenbrunner ist PhD Candidate an der School of Oriental and African Studies (SOAS), University of London, und Mitglied der Forschungsgruppe „Research on Money and Finance“ (ak82@soas.ac.uk).

Hinweis:
* C. Lapavitsas/A. Kaltenbrunner/D. Lindo/J. Michell/J.P. Painceira/E. Pires/J. Powell/A. Stenfors/N. Teles, Eurozone Crisis: Beggar Thyself and Thy Neighbour, 63 pp, RMF occasional report, London, March 2010. Bezug: über www.researchonmoneyandfinance.org.

Veröffentlicht: 14.4.2010

Empfohlene Zitierweise: Annina Kaltenbrunner, Krise und Asymmetrien in der Eurozone. Eine faire und nachhaltige Währungsunion?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E-Hintergrund April 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).