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"Land grab": Fluch oder Segen für den Süden?

Artikel-Nr.: DE20100914-Art.48-2010

"Land grab": Fluch oder Segen für den Süden?

Der Landnahme-Report der Weltbank

Vorab im Web - Der mit Spannung erwartete Bericht der Weltbank über das steigende Interesse internationaler Investoren am verborgenen Agrarpotential des Südens bestätigt Vorbehalte von Entwicklungsorganisationen und Umweltgruppen, sieht darin aber auch gute Chancen für eine nachhaltige und gerechte Entwicklung. Das schon vor seiner Veröffentlichung umstrittene Dokument hat sich Uwe Hoering angesehen.

Seit die Lobbyorganisation GRAIN vor zwei Jahren mit ihrem Bericht „Seized!“ darauf aufmerksam gemacht hat, dass angesichts der Ernährungs- und Finanzkrise spekulatives und produktives Kapital Land und Landwirtschaft als Anlagemöglichkeiten entdeckt haben, gibt es eine Flut von Veröffentlichungen, die versuchen, Ausmaß und Auswirkungen dieser Entwicklung zu erfassen und Antworten darauf zu formulieren. Dem Bericht der Weltbank (s. Hinweis), die als wichtigste Entwicklungsinstitution verstärkt auch im Agrarbereich engagiert ist, kommt dabei eine besondere Bedeutung für die weitere Diskussion zu.

* Expansive Übernahme

Zum einen versucht der Bericht eine Bestandsaufnahme der globalen Trends der Landnutzung und der aktuellen Landnahme in 14 Ländern Lateinamerikas, Osteuropas, Afrikas und Südostasiens, in denen die größten Landreserven liegen und die das stärkste Interesse der Investoren auf sich gezogen haben. Demnach stieg im Jahr 2009 die Übernahme von Ländereien durch private Investoren auf 45 Millionen Hektar und damit um mehr als das Zehnfache gegenüber dem Durchschnitt der Vorjahre. Drei Viertel davon erfolgten in Afrika.

Zum anderen schätzt der Bericht, dass nur jede fünfte Vereinbarung auch tatsächlich zu landwirtschaftlicher Produktion geführt hat, u.a. aufgrund von Widerstand, aber auch aufgrund von unzureichender Infrastruktur oder politischer Risiken. Diese Bestandsaufnahme wird ergänzt durch eine Analyse der politischen Rahmenbedingungen für Agrarinvestitionen und eine Einschätzung der verfügbaren Landressourcen und Potentiale für landwirtschaftliche Produktivitätssteigerungen.

Es überrascht nicht, dass die Weltbank die Landnahme nicht etwa als „Form von Neokolonialismus“ sieht, wie z.B. FAO-Generalsekretär Jacques Diouf warnte. Zwar räumt sie ein, dass „die Risiken, die mit solchen Investitionen einhergehen, immens sind“. Investoren ziehe es besonders in Länder mit schwachen Landrechten, wodurch „die Gefahr, lokale Rechte zu vernachlässigen“, besonders groß sei. Auch stellt der Bericht fest, dass in vielen Vereinbarungen geringe oder gar keine Entschädigungen für den Verlust von Landnutzungsrechten geleistet wurden. Ebenso wenig wurden Vorkehrungen gegen negative ökologische Auswirkungen getroffen.

* Landnahme als Investitions- und Technologietransfer?

Grundsätzlich jedoch sieht der Bericht die Entwicklung positiv. Sie biete die Chance, dringend notwendige Investitionen in die Landwirtschaft bereit zu stellen, den Transfer von Technologie und Wissen voranzubringen, die landwirtschaftliche Produktivität zu steigern und die Armut zu verringern, vor allem in Ländern mit „reichlich vorhandenem und untergenutztem Land und niedrigen landwirtschaftlichen Erträgen“, also vor allem in Afrika.

Untermauert wird dieser Optimismus durch Beispiele, wie Investitionen „weitreichenden und nachhaltigen Nutzen für die einheimische Bevölkerung brachten“, z.B. partizipatorische Landnutzungsplanungen in Tansania, „transparente Mechanismen der Landübertragung“, wie Auktionen in Argentinien und Peru oder Mechanismen in Brasilien, die die „Einhaltung von Umweltstandards sicher stellten“. Durch Vertragslandwirtschaft und Gemeinschaftsunternehmen, so der Bericht, könnte die bäuerliche Landwirtschaft ebenfalls von großen Investitionen profitieren.

Für problematisch hält der Bericht vor allem den mangelnden Schutz lokaler, oft gemeinschaftlicher Landrechte, unzureichende Gesetze und Institutionen, um Investitionen zu lenken und zu kontrollieren und unzulängliche Planungen von Investoren selbst, die oft zu wenig auf technische oder wirtschaftliche Tragfähigkeit achten würden. Vielfach würden sich Regierungen auch nicht überlegen, ob die Investitionen überhaupt in die Entwicklungsstrategie passen. Ein zentrales Problem sieht der Bericht zudem in fehlenden Informationen und mangelnder Transparenz von Verhandlungen und Vereinbarungen. Die betroffene Bevölkerung sei meist bestenfalls oberflächlich beteiligt und werde vor vollendete Tatsachen gestellt.

* Alles eine Management-Frage

Damit die Investitionen die landwirtschaftliche und soziale Situation verbessern, sieht der Bericht drei Kernbereiche:

* Erstens müssten Regierungen sicherstellen, dass bei ausländischen Investitionen die bestehenden Landnutzungsrechte besser anerkannt werden: „Starke und klare Landrechte verbessern die Möglichkeiten für die Besitzer, direkt mit Investoren zu verhandeln und höhere Preise zu erzielen und stellen sicher, dass Investitionen der allgemeinen und der lokalen Wirtschaft nutzen“, heißt es in einem Beitrag der Weltbank vom 7. September 2010.

* Zweitens müssten Regierungen die politischen, rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen verbessern, Anreize für Investoren stärken und zielgerichtet einsetzen und die betroffene lokale Bevölkerung umfassend informieren. Vereinbarungen sollten stärker öffentlich gemacht werden, und der Zugang für nichtstaatliche Lobby- und Advocacy-Organisationen zu Informationen sollte erleichtert werden.

* Drittens sieht die Weltbank ihren eigenen Beitrag denn auch vor allem darin, Regierungen bei der Datenerfassung und Analyse von verfügbaren Landressourcen, Potenzialen für Produktionssteigerungen, bestehenden Landnutzungen und Landnutzungsrechten und dem Ausbau institutioneller und regulatorischer Kapazitäten zu helfen. In den vergangenen Jahren hat die Weltbankgruppe bereits ihre Unterstützung für Investitionen in die Landwirtschaft kräftig gesteigert.

Außerdem erstellte sie gemeinsam mit UN-Organisationen wie FAO, IFAD und UNCTAD sieben Prinzipien für „Verantwortliche Agrarinvestitionen“. Sie reichen von Rücksichtnahme auf bestehende Ressourcenrechte über Konsultation und Partizipation der Bevölkerung bis zur Wahrung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Außerdem regt sie die Schaffung einer Multistakeholder-Initiative nach dem Vorbild der Extractive Industry Transparency Initiative (EITI) an. Mehr als sechs Jahre nach seinem Start hat dieser Versuch, unter anderem die Verwendung von Einnahmen aus dem Bergbau offen zu legen, um Korruption zu vermeiden, allerdings erst wenig Wirkung gezeitigt.

* Kritik immer nur in der Retrospektive

Wie häufig bei Weltbank-Berichten liegt ihr Wert weniger in den politischen Aussagen, die sehr vorsichtig formuliert werden und sich vielfach auf Wünschen-Wollen-Sollten-Vorschläge beschränken, sondern in ihrem Zahlenmaterial. Interessant sind u.a. Angaben über die Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen, über das Ausmaß von Landnahmen in den einzelnen Ländern, über Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern bei den landwirtschaftlichen Erträgen und die kurzen Fallstudien über „Land grabbing“.

Zweitens sehen Weltbank-Berichte häufig in ablaufenden Prozessen lieber die Chancen und Möglichkeiten – kritische Aspekte werden eher im Rückblick angesprochen. So klagt auch dieser Bericht vorwiegend in der Vergangenheitsform über den Verlust von Wäldern durch große Agrarinvestitionen in Lateinamerika für Viehzucht oder in Südostasien für Ölpalmen, ihren geringen Beitrag zur Armutsminderung oder die hohen direkten und indirekten Subventionen, durch die die privaten Investitionen überhaupt erst profitabel werden: „In vielen Fällen waren Investoren von außen nicht in der Lage, vorhandenes Potenzial z.B. zur Armutsminderung zu nutzen, sondern trugen zur Beeinträchtigung von Lebensbedingungen bei. Zu den Problemen gehörten die Vertreibung lokaler Bevölkerungen von ihrem Land ohne ausreichende Entschädigung, die Vergabe von Land an Investoren weit unterhalb seines Werts, die Hinnahme nachteiliger ökologischer und sozialer Auswirkungen oder der zusätzlichen illegalen Aneignung von Land durch Investoren, um damit das Projekt wirtschaftlich einträglicher zu machen“.

Damit die Zukunft anders aussehen soll, setzt die Weltbank vor allem auf freiwillige Verhaltensregeln für Investoren, auf eine Stärkung staatlicher Institutionen, Gesetze und Regulierungen und auf die Einbeziehung von Betroffenen und Zivilgesellschaft.

Hinweis:
* World Bank, Rising Global Interest in Farmland. Can It Yield Sustainable and Equitable Benefits?, The World Bank: Washington D.C., September 2010. Bezug: über www.wordbank.org. In einer e-Diskussion kann man seit dem 13.9. Bericht nehmen.

Veröffentlicht: 14.9.2010

Empfohlene Zitierweise: Uwe Hoering, "Land grab": Fluch oder Segen für den Süden, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 09/September 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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