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Minister Niebels Leitmotiv: Deutsche Interessen

Artikel-Nr.: DE20100414-Art.17-2010

Minister Niebels Leitmotiv: Deutsche Interessen

Provinzialismus statt politischer Weitsicht

Nur im Web - Entwicklungsminister Dirk Niebel setzt, kaum im Amt, kräftige Akzente. So will er dafür sorgen, dass sich die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wieder stärker an deutschen Interessen orientiert. Diese Positionierung provoziert – vermutlich gewollt – den Protest eines großen Teils der entwicklungspolitisch engagierten Öffentlichkeit. Für sie soll das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Konzert der Ministerien vielmehr Anwalt der Entwicklungsländer sein. Ein Kommentar von Roger Peltzer.

Die Heftigkeit des Streits suggeriert, dass es ein einigermaßen klares Verständnis davon gäbe, was denn nun deutsche und was die Interessen der Entwicklungsländer seien. Nur: Ist das so klar? Nehmen wir als Beispiel den Streit um die 2007 beschlossene Reform des EU-Zuckermarktes. Damals ging es – auch als Folge eines Urteils der WTO gegen die EU – darum, die Produktion von Rübenzucker in Europa so herunterzufahren, dass die Praxis des EU-Dumping-Exportes von Zuckerüberschüssen beendet wird.

* Was sind eigentlich „deutsche Interessen“?

Auf deutscher Seite waren sechs Ministerien (Kanzleramt, Auswärtiges Amt, BMZ, Umweltministerium, Landwirtschafts- und Verbraucherministerium sowie Wirtschaftsministerium) in die Entscheidung involviert. Während das Wirtschaftsministerium die Interessen der deutschen Rübenbauern und der Zuckerfabriken im Blick hatten, lagen dem Kanzleramt und dem AA die langfristigen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Schwellenländern wie Brasilien am Herzen. Das BMZ wollte exemplarisch das Dumping von EU-Agrarüberschüssen auf dem Weltmarkt beenden, und das BMU nutzte den Konflikt, um mit Brasilien über Umwelt- und Sozialstandards im Bereich Zucker- und Ethanolproduktion zu diskutieren.

Die entwicklungspolitische Öffentlichkeit wiederum war gespalten. Während die einen in der Zuckermarktreform einen Schritt in Richtung einer etwas gerechteren Weltwirtschaft sahen, fürchteten die anderen Nachteile für einige Länder Afrikas und der Karibik, die direkt und indirekt von den hohen, geschützten EU-Zuckerpreisen profitierten. Ausschlaggebend dafür, dass es dann zu der Reform kam, war nicht zuletzt die Tatsache, dass die Angelegenheit unter Federführung einer grünen Verbraucherschutz- und Landwirtschaftsministerin in der EU verhandelt wurde. Die gewichtete die Interessen der deutschen Verbraucher, aber auch die strategische Kooperation mit Brasilien höher als die Interessen der deutschen Rübenbauern. Nur: Was waren in dem Fall genuine deutsche und was genuine Entwicklungsländerinteressen?

Im Abstand spricht Einiges dafür, dass die Bundesregierung gut daran getan hat, sich über kurzfristige Lobbyinteressen betroffener Wirtschaftsverbände hinwegzusetzen, und dass dies auch der übergroßen Mehrheit der Entwicklungsländer zu Gute gekommen ist. Während die Zuckerproduktion in Europa ziemlich zurückgefahren wurde, steigt sie in fast allen Entwicklungsländern der Welt, auch den armen, deutlich.

* Nicht die Artikulation von Interessen ist das Problem

Das Beispiel zeigt aber auch, dass es auch entwicklungspolitisch wenig Sinn macht, in den Beziehungen zum allergrößten Teil der Entwicklungs- und Schwellenländer so zu tun, als wäre eine Reflektion über die involvierten deutschen Interessen nicht angebracht.

So hat die Wirtschafts- und Währungspolitik Chinas signifikante Auswirkungen auf die Konjunktur und Arbeitsplätze in Deutschland. Die Umweltpolitik der Chinesen beeinflusst das Weltklima, und die chinesische Außenpolitik hat entscheidenden Einfluss auf die Dynamik regionaler und internationaler Konflikte. Dass deutsche Entwicklungspolitik in diesem Kontakt nicht nur unter dem Aspekt des Beitrags zur Armutsbekämpfung betrachtet werden kann, musste Minister Niebel schon nach wenigen Tagen im Amt lernen.

Die Berücksichtigung „deutscher Interessen“ in der Entwicklungspolitik macht aber nicht nur bei einer Großmacht wie China Sinn. Dies gilt auch, wenn es z.B. um die Gestaltung der deutsch-nigerianischen Beziehungen geht. Zum einem kann Nigeria über eine vernünftige Nutzung seiner Öl- und Gasreserven deutlich mehr Mittel für die Armutsbekämpfung mobilisieren als die internationale Gemeinschaft über EZ jemals bereitstellen kann. Zum anderen stellt ein fragiler nigerianischer Staat eine erhebliche Bedrohung für die internationale Wirtschaftsgemeinschaft dar. Dies gilt mit Blick auf die Drogen- und Wirtschaftskriminalität, aber auch hinsichtlich der Gefahr der Ausbreitung fundamentalistisch islamischer Tendenzen. Dies gilt aber auch mit Blick auf West- und Zentralafrika, wo Nigeria sowohl das Potential hat, zur Stabilisierung regionaler Konflikte beizutragen wie auch im negativen Falle die gesamte Region zu destabilisieren.

Macht es Sinn, in der Konzipierung einer Entwicklungs- und Wirtschaftskooperation mit Nigeria diese Fragestellungen und ihre potentiellen Rückkoppelungen mit deutschen und EU-Interessen auszuklammern? Ist es nicht vielmehr so, dass ein partnerschaftlicher, nicht paternalistischer Dialog auf gleicher Augenhöhe auch eine gründliche Reflektion der eigenen Interessen einschließt. Und ist es nicht genau das, was die meisten Partner in den Entwicklungs- und Schwellenländern von ihren deutschen Partnern erwarten?

Das eigentliche Problem einer Reihe von schwarzgelben Entwicklungspolitikern ist nicht, dass sie „deutsche Interessen“ thematisieren, das Kernproblem ist vielmehr dass sie eine an deutschen Interessen orientierte Entwicklungspolitik zu oft als eine Politik begreifen, die sich an den kurzfristigen Interessen einiger interessierter deutscher Lobbys orientieren sollte. Dabei ist dieser „Provinzialismus“ so ziemlich das genaue Gegenteil von einer Politik, die sich im ureigensten deutschen Interesse daran orientiert, weltweit bessere Voraussetzungen für eine friedliche Austragung von Konflikten, für mehr soziale Gerechtigkeit und für die Bewahrung der Schöpfung zu schaffen.

* Die Fahnen flattern – das Gewicht sinkt

Das relative Gewicht Deutschlands in der Welt sinkt laufend, politisch und wirtschaftlich. China löst Deutschland als Exportweltmeister ab. Brasiliens Bruttoinlandsprodukt macht schon heute 40% des deutschen aus. Deutschlands Anteil am Weltsozialprodukt wird schon bald von den aktuellen 6% auf 2, 3 % fallen. Und diese Verschiebung der wirtschaftlichen und politischen Gewichte wirkt sich schon heute in der Entwicklungskooperation aus. Welches Gewicht bringen die Abgesandten des BMZ auf die Waagschale, wenn sie mit einem afrikanischen Land über einige Millionen Euro im Bereich des Schutzes natürlicher Ressourcen verhandeln, während die Abgesandten Chinas 150 Mio. Euro für die Finanzierung eines Staudammprojektes anbieten?

Es zeugt vor diesem Hintergrund nicht von politischer Weitsicht, wenn nicht wenige schwarz-gelbe Parlamentarier im Rückzug auf die bilaterale EZ ein wohlfeiles Instrument zur Wahrung deutscher Interessen sehen.

Ein kluge deutsche Außen- und Entwicklungspolitik muss den umgekehrten Weg gehen und versuchen, sowohl über eine Verstärkung der Zusammenarbeit in der EU als auch über das gezielte Setzen von Akzenten in der multilateralen Kooperation das relativ geringer werdende Gewicht Deutschlands so zu hebeln, dass nicht nur deutsche Interessen im Bereich der Konfliktprävention, der Klimaschutzes oder auch der Armutsbekämpfung besser gewahrt werden können. Das ist nur über mehr internationale Kooperation und nicht dadurch zu erreichen, dass über möglichst vielen Projekten die deutsche Fahne weht.

Roger Peltzer ist seit Jahren in der staatlichen Förderung privater Investitionen in Afrika tätig.

Veröffentlicht: 13.4.2010

Empfohlene Zitierweise: Roger Peltzer, Minister Niebels Leitmotiv: Deutsche Interessen. Provinzialismus statt politischer Weitsicht, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 13.4. 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).