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Mit dem Handy die Armut bekämpfen?

Artikel-Nr.: DE20101014-Art.54-2010

Mit dem Handy die Armut bekämpfen?

UNCTAD-Report zur Informationsökonomie 2010

Vorab im Web - Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) sieht im Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) neue Chancen für die Armutsbekämpfung. Ihr jüngster Bericht zur Informationsökonomie (s. Hinweis) beschreibt, wie im Süden Mikrounternehmen aus dem Boden schießen, die den Boom der Mobiltelefon-Industrie anfeuern, aber auch den Armen neue Hoffnung bieten. Eine W&E-Zusammenfassung.

Vor dem Hintergrund der immer weiteren Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien, vor allem von Mobiltelefonen, schießen in den Entwicklungsländern neue Mikrounternehmen wie Pilze aus dem Boden, und manchmal gehen damit auch neue Lebenschancen für die Armen einher. In Kenia beispielsweise gibt es inzwischen über 18.000 Agenten, die für den auf Mobiltelefone gestützten Nachrichtenservice M-PESA tätig sind. In Bangladesch gibt es rund 350.000 „village phone ladies“. Für die Autoren des jüngsten Information Economy Report der UNCTAD (Titel: „IKT, Unternehmen und Armutsminderung“) belegt dies, dass mit IKT-Gütern und –Dienstleistungen wichtige Chancen für die Armen einhergehen. Einschränkend weisen sie jedoch darauf hin, dass die Chancen ungleich verteilt und nicht immer nachhaltig sind.

* Arbeitsplatzeffekte

Für die Fertigung von IKT-Ausrüstungen ergibt sich allerdings ein sehr gemischtes Bild: In nur wenigen Ländern mit niedrigem Einkommen gibt es überhaupt derlei Industrien. Auch die extensive Auslagerung von Dienstleistungen wie Programmierung und Büroarbeiten und –prozesse im Rahmen von IKT-Netzwerken ist immer noch auf wenige Entwicklungsländer beschränkt und bietet nur relativ qualifizierten Beschäftigten Chancen.

Besonders boomen derzeit Mikrounternehmen (oft könnte man auch einfach „Selbstbeschäftigte“ sagen) im IKT-Sektor, die in vielen Ländern mit niedrigem Einkommen stark expandieren und auch Menschen mit wenig Ausbildung und knappen Ressourcen zu wertvoller Arbeit verhelfen können. Dazu gehören Tätigkeiten wie der Verkauf von Telefonierzeit auf der Straße, die Instandsetzung von Mobiltelefonen, die Reparatur von PCs und das Betreiben von Internet-Cafés. Einige dieser kommerziellen Aktivitäten haben eine niedrige Einstiegsschwelle: Die erforderlichen Kosten und Qualifikationen sind niedrig, was die Armen begünstigt. In Gambia etwa wurden vormalige Straßenbettler von der Firma Gamcel, einer der wichtigsten Mobiltelefon-Betreiber des Landes, als Verkaufsagenten angeheuert. Andere Beispiele, die der Report zitiert, sind der Verkauf von Telefonierzeit in Bangladesch, Ghana und Uganda, der Betrieb von Cybercafés in Nigeria und Venezuela und die Gründung von IKT-basierten Unternehmen in den Slums von Mumbai/Indien.

UNCTAD unterstreicht allerdings auch, das IKT-Mikrounternehmen typischerweise in einem volatilen und risikoreichen Umfeld agieren und dass die Investitionserträge oft niedrig sind. Mikrounternehmer brauchen viel Kraft, um sich anzupassen und auf Veränderungen zu reagieren. Der Bericht stellt fest, dass die Überlebens- und Wachstumschancen für IKT-Mikrounternehmen in einem städtischen Umfeld besser sind, da es dort einfacher ist, wichtige Kontakte zu anderen Unternahmen zu knüpfen. In ländlichen Gegenden ist es dagegen viel schwerer, langfristige Arbeitsplätze mit Hilfe von IKT zu schaffen.

* Konzentration auf wenige Länder

Die Fertigung von IKT-Gütern wie Mobiltelefonen und Computern ist die große economies of scale und globale Produktionssysteme gekennzeichnet. Indessen ging die schnelle Expansion dieses Sektors nur in wenigen Ländern mit Chancen für die Armen einher. Der Export von IKT-Gütern ist geografisch hochgradig konzentriert: Die wichtigsten zehn Exportländer kamen 2008 für mehr als drei Viertel der Weltexporte auf (s. Tabelle).

Die Top 20 des IKT-Exports


In China, das bei weitem größte Exportland für IKT-Güter, hatte die schnelle Expansion dieses Sektors signifikante Auswirkungen auf die Einkommenssituation der Armen. Nach UNCTAD-Schätzungen wurden so rund 25 Mio. Arbeitsplätze für Wanderarbeiter aus ländlichen Regionen geschaffen. Bis zu 18 Mrd. Dollar ihres Jahreseinkommens überwiesen diese Arbeiter zurück in ihre Dörfer. Auf der anderen Seite leiden diese ArbeiterInnen oftmals unter verheerenden und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen – eine Dimension des IKT-Sektors, die in dem Bericht zu kurz kommt. Hier konstatieren seine Autoren lediglich große Forschungslücken, die geschlossen werden sollten, um den Zusammenhang zwischen IKT-Fertigung und Armutsbekämpfung korrekter erfassen zu können.

* IKT beflügelt Auslagerungsstrategien

Die UNCTAD-Autoren analysieren ebenfalls den möglichen Beitrag der IKT-gestützten Auslagerung von Dienstleistungen, etwa die Auslagerung von Programmierung und verschiedenen geschäftlichen Tätigkeiten, zur Armutsreduzierung. Viele Entwicklungsländer betrachten solcherlei Outsourcing und Offshoring als potentielle Quellen für Beschäftigung und Exporteinkommen. Beispielsweise hofft Kenia, dass die Zahl der Jobs in Outsourcing-Bereich von derzeit 8.000 auf 120.000 im Jahr 2020 ansteigt. Ghana peilt die Schaffung von 40.000 solcher Jobs bis 2015 an. Inwieweit dies realistisch ist, bleibt jedoch offen.

Outsourcing und Offshoring mögen zur Armutsreduzierung beitragen; dies geschieht jedoch nicht notwendigerweise automatisch, sagen die Autoren. Außer Indien und den Philippinen haben bislang wenige Entwicklungsländer erfolgreiche Offshore-Industrien aufgebaut. Hinzu kommt, dass sich die in diesen Ökonomien geschaffenen Jobs zumeist in den Städten konzentrieren und ein relativ hohes Ausbildungsniveau erfordern. Der potentielle Beitrag für die Armen liegt, wenn überhaupt, hauptsächlich in nachgeordneten Effekten, etwa in der steigenden Nachfrage nach Tätigkeiten niedriger Qualifikation in privaten Haushalten.

Der Bericht macht aber auch ein neues Phänomen aus, das „soziales Outsourcing“ genannt wird, und durchaus zur Reduzierung von Armut, sogar auf dem Lande, beitragen kann. Dabei geht es um neue Formen der Heimarbeit, die Auslagerung von Dienstleistungen in arme Gemeinschaften in Entwicklungsländern mit dem expliziten Ziel der Armutsminderung oder der Erreichung anderer Entwicklungsziele. „Source for Change“ nennt sich beispielsweise ein sozial engagiertes Unternehmen, das arme Frauen aus dem ländlichen Rjasthan in Indien beschäftigt. Für die betroffenen Frauen hat dies zu höheren Einkommen und einem besseren sozialen Status in ihren Gemeinden geführt. Die Firma will bis Ende 2012 die Zahl der so beschäftigten Frauen in ländlichen Regionen Indiens auf 5.000 erhöhen.

* Politische Herausforderung

Der neue Bericht ruft die Politiker in den Entwicklungsländern auf, dem IKT-Sektor einen größeren Stellenwert in ihren Strategien zur Armutsbekämpfung einzuräumen. Er behauptet, durch intelligente staatliche Unterstützungsmaßnahmen könnten die Vorteile der Schaffung von Kleinunternahmen vor Ort optimiert werden. Zumindest sei ein florierender IKT-Sektor wichtig für die Verbreitung von IKT-Technologien in anderen Bereichen der Volkswirtschaft. Besonderes Augenmerk sollten staatliche Unterstützungsmaßnahmen auf Unternehmen auf den unteren ökonomischen Ebenen legen, da die Bedingungen dort in der Regel am schwierigsten sind. Um die Mikrounternehmen der Armen zu erreichen, müssen staatliche Initiativen auf die Besonderheiten des informellen Sektors Rücksicht nehmen, wo Unternehmen oftmals gar nicht registriert sind.

Auch sollten unternehmensbezogene IKT-Politiken besser in die nationalen Entwicklungsstrategien integriert werden, ebenso in Abkommen wie die Development Assistance Frameworks der Vereinten Nationen (UNDAFs), die die Nehmerlander mit den Gebern und den internationalen Finanzinstitutionen abgeschlossen haben. Eine Übersicht über 20 UNDAFs, die für 2009 in Afrika von der UN-Wirtschaftskommission für Afrika erstellt wurde, ergab, dass IKT-relevante Projekte nur in zwei Fällen überhaupt vorkamen.

Hinweis:
* UNCTAD, Information Economy Report 2010: ICTs, Enterprises and Poverty Alleviation, 171 pp, United Nations: New York and Geneva 2010. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 14.10.2010

Empfohlene Zitierweise: Mit dem Handy die Armut bekämpfen? UNCTAD-Bericht zur Informationsökonomie 2010, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 10/2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).