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Neuer makroökonomischer Ansatz beim IWF?

Artikel-Nr.: DE20100222-Art.07-2010

Neuer makroökonomischer Ansatz beim IWF?

Die Selbstkritik des Chefökonomen

Vorab im Web – In einem neuen Papier mit dem Titel “Rethinking Macroeconomic Policy” konzediert der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), Olivier Blanchard, dass die makroökonomische Politik, die der Fonds in den letzten drei Jahrzehnten vertreten hat, in mancherlei Hinsicht falsch war. Dazu gehören die extrem niedrigen Inflationsziele, die Vernachlässigung der entscheidenden Rolle der Fiskalpolitik und die Deregulierung im Finanzsektor, die oft als Bedingungen an Kredite für Entwicklungsländer geknüpft waren und viele Krisen nur verschärft haben. Von Núria Molina.

Dieses öffentliche Eingeständnis unterstreicht, wie Recht Wissenschaftler und NGOs hatten, die schon sehr früh darauf hinwiesen, dass die Empfehlungen des IWF Wachstum und Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern behinderten. Gleichwohl ist dies nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Hauptherausforderung für den IWF-Chefökonomen liegt darin, den Fonds aus seiner alten politischen Zwangsjacke zu befreien und die Notwendigkeit eines differenzierteren makroökonomischen Ansatzes anzuerkennen, der den Entwicklungsländern die Umsetzung politischer Alternativen gestattet, um Stabilität und ausgewogenes Wachstum sicherzustellen.

* Falsche Ratschläge

Die jetzt veröffentlichte „Staff Position Note“ (s. Hinweis) ist eines der offensten Eingeständnisse durch den Fonds in den letzten 30 Jahren, dass er nicht unfehlbar ist, und zugleich die implizite Anerkennung, dass die Kritiker nicht so irregeleitet waren, wie sie noch vor wenigen Jahren dargestellt wurden. Das Paper beginnt mit der schockierenden Feststellung, auf die die Kritiker so lange gewartet haben, dass „es eine Versuchung für Makroökonomen und Politiker gleichermaßen war, sich den Rückgang der zyklischen Fluktuationen seit Beginn der 1980er Jahre größtenteils selbst zuzuschreiben und zu schlussfolgern, dass wir wissen, wie makroökonomische Politik angelegt werden müsse. Wir widerstanden dieser Versuchung nicht … und wir lagen falsch.“ Das ist das offizielle Eingeständnis des Fonds, dass der Washington Consensus abgedankt hat.

En détail erkennt das Papier an, dass der geldpolitische Ansatz des IWF zu eng auf Inflation und Schuldendienstfähigkeit ausgerichtet war und die Bedeutung der Fiskalpolitik und der finanziellen Regulierung vernachlässigte. „Wir dachten, zur Geldpolitik genüge ein Ziel, die Inflationsbekämpfung, und ein Instrument, die Zinspolitik… Wir dachten, die Fiskalpolitik spiele eine sekundäre Rolle… und die finanzielle Regulierung gehöre nicht zur makroökonomischen Rahmensetzung“, heißt es in dem Papier. Das bedeutet, der IWF war blind für Probleme, die in den fortgeschrittenen Ökonomen als in die Geschichte gehörend angesehen wurden, etwa die „Liquiditätsfallen der Großen Depression“; die IWF-Ökonomen vernachlässigten die Steuerpolitik, da sie dachten, diese sei „wahrscheinlich durch politische Zwänge verzerrt“; und ebenso verwarfen sie „angesichts des Enthusiasmus‘ für finanzielle Deregulierung“ die systemische Bedeutung der Regulierung des Finanzsektors. Die Autoren des Papiers geben auch zu, dass erst die globale Krise diese grundlegenden Mängel des IWF-Ansatzes ans Tageslicht brachte und insbesondere klar machte, dass solche begrenzten Politikinstrumente auch in den fortgeschritteneren Ländern für eine Reaktion auf die Krise unzureichend waren.

Gleichwohl versäumt es das Papier anzuerkennen, dass die einseitige Geldpolitik, die Vernachlässigung der Fiskalpolitik und der finanziellen Regulierung die Entwicklungsländer ernsthaft darin behindert haben, die entwicklungspolitisch notwendigen Ressourcen aufzubringen und zu bewahren. Für die ärmsten Länder der Welt hatte dies in den letzten drei Dekaden tödliche Konsequenzen.

* Teure Versuchungen

Die makroökonomischen Ratschläge des IWF waren nicht nur oft falsch, wie es jetzt zugegeben wird; vor allem in den Entwicklungsländern berücksichtigte der Fonds nicht, dass diese Politik maßgeschneidert an die vor Ort herrschenden Umstände angepasst werden muss. Auch sind Geld- und Steuerpolitik nicht neutral, wie der IWF anzunehmen scheint, sondern haben in Wirklichkeit eine enorme Bedeutung für Gerechtigkeit und Entwicklung.

NGOs und wissenschaftliche Studien haben während der letzten zehn Jahre wiederholt davor gewarnt, dass restriktive Geld- und Fiskalpolitik (wie ein Inflationsziel von 2%, die Deckelung von Löhnen und restriktive Ziele für die Schuldenaufnahme von Regierungen) eine Bedrohung für die Aufstockung der Entwicklungshilfe und die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele darstellen.

Der ActionAid-Bericht “Contradicting Commitments” (s. Hinweis) zeigt, dass die restriktive Geldpolitik des IWF eine ernsthafte Herausforderung für die Fähigkeit der Länder darstellt, höhere Einkommen zu schaffen und entsprechend die Ausgaben für Gesundheit und Bildung zu steigern. Ein Beamter aus dem Bildungsministerium in Sierra Leone erklärt in diesem Bericht, dass „die IWF-Politiken Armut schaffen und aufrecht erhalten. Die Politiken von IWF und Weltbank sind völlig widersprüchlich, so dass der erste die Verwirklichung der letzteren verhindert.“

Untersuchungen des International Policy Center von UNDP („Pro-Growth Alternatives for Monetary and Financial Sector Policies in Sub-Saharan Africa“; s. Hinweis) zeigen, dass „eine Inflationsgrenze von 5% von sich aus das Wachstum verlangsamt, da die vorrangig zur Zurückdrängung des inflationären Drucks empfohlenen Maßnahmen in der Anhebung der nominalen Zinssätze und der Streichung der öffentlichen Ausgaben bestehen”. Doch die IWF-Beratung hat sich stets darauf konzentriert, die Inflation niedrig zu halten und die damit verbundenen Umverteilungsaspekte ausgeblendet.

Eine Eurodad-Studie („Bail out or blow out? ”; s. Hinweis) hat herausgefunden, dass selbst im Kontext der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise die Mehrzahl der IWF-Programme die Länder immer noch anweist, die Inflation unter 5% zu halten und die Ersparnisbildung gegenüber Ausgaben zu bevorzugen. Natürlich sind gewisse Reserven wichtig im Falle externer Schocks. Doch eine gemeinsame Studie von Eurodad, Solar und dem Global Network („Doing a decent job?“) weist darauf hin, dass „die Last des Wechselkursmanagements und der notwendigen Anpassungen erwartungsgemäß vollständig auf die einzelnen Defizitländer fällt, während die anhaltenden globalen Ungleichgewichte ignoriert werden. Wechselkursschwankungen und Volatilität werden einfach als gegeben akzeptiert, und von den Ländern wird erwartet, dass sie sich an die Wechselfälle des Marktes anpassen. Nichts wird unternommen, um die strukturellen Ungleichgewichte der Weltwirtschaft durch die Etablierung von Mechanismen der multilateralen Wechselkurskoordination anzugehen.“

* Welchen Weg wird der IWF jetzt gehen?

Eine berühmte Aussage von Keynes lautete, er würde seine Meinung ändern, wenn sich die Tatsachen ändern. Es muss sich erst herausstellen, ob der IWF solchen keynesianischen Standards gerecht werden wird. Der Geist des neuen Papiers und seine Reformversprechen sind hoch willkommen. Dennoch ist es misslich, dass der Fonds trotz der Kritik von NGOs und heterodoxen Ökonomen bis zum Debakel der gegenwärtigen globalen Krise warten musste, um einzusehen, dass komplexe Ziele – von makroökonomischer Stabilität über Wachstum und Beschäftigung bis hin zu adäquater Kreditversorgung – einen komplexen Mix aus politischen Instrumenten erfordern, der sich nicht in übersimplifizierter Inflationsbekämpfung wie in der Vergangenheit erschöpfen kann. Vor allem anderen muss der Fonds verstehen, dass den Entwicklungsländern gestattet werden sollte, makroökonomische Politiken einzuschlagen, die sich an ihrem Bedarf an ausgewogenem Wachstum und Armutsbekämpfung orientieren.

Der Ruf des Fonds nach einer flexibleren Geldpolitik, die das Inflationsziel gerade mal von 2 auf 4% anhebt und unterstreicht, dass Preisstabilität der Hauptfokus der Geldpolitik bleibt, wird einer ernsthaften Abkehr von der alten Orthodoxie nicht gerecht. Wie bei der halbherzigen Unterstützung des Fonds für Konjunkturprogramme im Jahre 2009 (nur für einige Länder und nur für eine kurze Zeit) versäumt es das neue Papier immer noch anzuerkennen, dass es den Entwicklungsländern möglich sein muss, politische Alternativen – jenseits bloßer makroökonomischer Stabilität – in Betracht zu ziehen.

Gleichwohl: Selbst wenn viel zu wünschen übrig bleibt, tragen die derzeitigen Veränderungen dazu bei, den politischen Spielraum zu schaffen, den die Entwicklungsländer brauchen, um breitere politische Ziele zu verfolgen – jenseits der einstmals ehernen IWF-Gesetze in der Geld- und Fiskalpolitik. Was Irene Grabel kürzlich als „produktive Inkohärenz“ des IWF in einer unsicheren Welt (s. Hinweis) bezeichnet hat, könnte den Boden für die definitive Abdankung des Washington Consensus bereiten.

Núria Molina ist Direktorin des Europäischen Netzwerks für Schulden und Entwicklung (Eurodad) in Brüssel.

Hinweise:
* Oliver Blanchard/Giovanni Dell’Ariccia/Paolo Mauro, Rethinking Macroeconomic Policy, 19 pp, IMF Staff Position Note, Washington DC, 12 Feb 2010. Bezug: über www.imf.org
* ActionAid, Contradicting Commitment. How the Achievement of Education for All is Undermined by the International Monetary Fund, 48 pp, September 2005. Bezug: über www.actionaid.org
* Ilene Grabel, Productive Incoherence in an Uncertain World: Financial Governance, Policy Space and Development after the Global Crisis, PERI Working Paper 214, 46 pp, Massachusetts, Jan 2010. Bezug: über www.peri.umass.edu
* Núria Molina-Gallart, Bail-out or blow-out? IMF policy advice and conditions for low-income countries at a time of crisis, 21 pp, Eurodad: Brussels 2009. Bezug: über www.eurodad.org
* Núria Molina/Marta Ruiz, The cost of reserves. Developing countries pay the price of global financial instability, 28 pp, Eurodad: Brussels, Jan 2010. Bezug: über www.eurodad.org
* Robert Pollin/Gerald Epstein/James Heintz, Pro-Growth Alternatives for Monetary and Financial Sector Policies in Sub-Saharan Africa, Policy Research Brief, International Poverty Centre, No. 6/Jan 2008. Bezug: über www.ipc-undp.org
* Rick Rowden, Doing a decent job? IMF policies and decent work in times of crisis, 32 pp, Solidar-The Global Networt-Eurodad: Brussels, October 2009. Bezug: über www.eurodad.org

Veröffentlicht: 21.2.2010

Empfohlene Zitierweise: Núria Molina, Neuer makroökonomischer Ansatz beim IWF? Die Selbstkritik des Chefökonomen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 03-04/März-April 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).