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Nicht Griechenland, Deutschland ist das Problem

Artikel-Nr.: DE20100215-Art.06-2010

Nicht Griechenland, Deutschland ist das Problem

Zur Finanzkrise in Südeuropa

Vorab im Web – Großen Wirbel hat es in letzter Zeit um das Budgetdefizit und die Staatsschuld Griechenlands gegeben. Von einem angeblich drohenden Staatsbankrott war die Rede, und die Zinsaufschläge für griechische Schulden stiegen. Auch Portugal und Spanien wurden als Wackelkandidaten genannt. Doch eigentlich geht es weniger um das Budget- als um das Leistungsbilanzdefizit. Und hier steht den Defizitländern im Süden und im Osten ein großes Überschussland gegenüber: Deutschland. Eine Analyse von Joachim Becker.

Das griechische Budgetdefizit kam ins Gerede, als bekannt wurde, dass die griechische Statistik geschönt worden war und das reale Budgetdefizit sich 2009 auf 12,7% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) belaufen würde. Dies ist zwar einer der europäischen Spitzenwerte, aber auch das Euro-Land Irland mit einem Defizit von 12,5% des BIP sowie, außerhalb der Euro-Zone, Großbritannien mit einem Defizit von 12,1% des BIP bewegen sich in dieser Größenordnung, ohne dass sie eine vergleichbar Publizität genossen hätten. Diese beiden Länder liegen zwar deutlich unter dem Niveau der griechischen Staatsschuld von 113,4% des BIP, sind aufgrund ihres maroden Finanzsektors aber enorme Eventualverbindlichkeiten durch die Vergabe von Staatsgarantien eingegangen. Diese belaufen sich in Irland auf 214,8% des BIP. Auch die private Verschuldung ist in Großbritannien und Irland deutlich höher als in Griechenland.

Risikoaufschläge auf Staatsanleihen


Beim Defizit der öffentlichen Haushalte liegen Spanien (11,2% des BIP) und Portugal (8,0%) zwar über dem Schnitt der Euro-Zone, aber unter den britischen oder irischen Werten. Das relative Gewicht ihrer Staatsschuld entspricht im Fall Portugals in etwa dem europäischen Schnitt und liegt im Fall Spaniens deutlich darunter. Die Daten zur öffentlichen Verschuldung dieser drei Mittelmeerländer stechen also – mit Ausnahme Griechenlands – weder in der EU noch in der Euro-Zone ganz besonders heraus. Beim Ausmaß der privaten Verschuldung, die im Fall einer Sozialisierung von Verlusten während einer Finanzkrise ja schnell eine öffentliche Schuld werden kann, liegen die Mittelmeerländer deutlich unter den Spitzenwerten der angelsächsischen Länder oder der Niederlande.

* Bruchlinie Leistungsbilanzdefizit

Griechenland, Spanien und Portugal haben allerdings sehr wohl eine Gemeinsamkeit – und das ist ihr großes Leistungsbilanzdefizit. Dies bewegte sich bei allen drei Ländern im Jahr 2008 bei ungefähr 10% des BIP und muss über äußere Kapitalzuflüsse – meist Verschuldung – finanziert werden. Während das Leistungsbilanzdefizit in Griechenland und Spanien in den letzten Vorkrisenjahren weiter gewachsen war, beläuft es sich in Portugal eigentlich schon seit Beginn dieses Jahrzehnts auf fast 10% des BIP.

Wolfgang Münchau über Ungleichgewichte

Ich bin immer erstaunt, wie selbst intelligente Menschen oft nicht verstehen, dass ein Ungleichgewicht - ob nun im Euro-Gebiet oder international - logischerweise eine Entwicklung ist, die zwei Parteien betrifft. Das Problem der Weltwirtschaft im letzten Jahrzehnt war nicht allein das amerikanische Leistungsbilanzdefizit, sondern genauso die chinesischen und deutschen Überschüsse. Die Ungleichgewichte im Euro-Gebiet bestehen aus südeuropäischen Defiziten, spanischen vor allem, und deutschen Überschüssen. In Deutschland tendiert man immer dazu, Ungleichgewichte mit Defiziten gleichzusetzen.

Haushaltsdefizite, so sollte man wissen, sind nur ein Teil der gesamten Ungleichgewichte. In den 90er-Jahren dachte man, mit dem Stabilitätspakt würde man das Problem in den Griff bekommen. Der Pakt bezieht sich allerdings nur auf die öffentlichen Defizite, nicht die privaten, und es waren die privaten Defizite und Überschüsse, die das Euro-Gebiet ins Wanken brachten. Dafür haben wir weder einen Pakt noch eine politische Strategie, auch jetzt nicht.

Die Leistungsbilanz eines Landes ist die Summe aus Haushaltsdefizit (oder -überschuss) sowie den Defiziten oder Überschüssen des privaten Sektors. Vor der Krise hatte Spanien ein Leistungsbilanzdefizit von zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Deutschland hatte einen Leistungsbilanzüberschuss von mehr als acht Prozent. In der Krise sind die Defizite und Überschüsse etwas zurückgegangen. Aber sie werden wieder ansteigen.

Wenn wir diese Entwicklung nicht in den Griff bekommen, wird es zu irreparablen Verzerrungen im Euro-Raum kommen. Deshalb müssen beide Seiten korrigieren.

Quelle: www.ftd.de vom 17.2.2010

In Spanien und Portugal war es bereits im Verlaufe des Beitrittsprozesses zur EU zu einer teilweisen Deindustrialisierung gekommen. In Spanien wuchs kompensierend zumindest die Automobilproduktion deutlich, die Industriestruktur ist aber einseitiger und damit verletzlicher als früher. Die Regionalförderung der EU beschleunigte zeitweise das Wirtschaftswachstum.

Der Beitritt zur Euro-Zone brachte für die Mittelmeerländer eine Reduktion der Zinssätze. Niedrige Zinsen stimulierten Wohnungskäufe und Konsum auf Pump. In Spanien wurden Immobilienspekulation und überhitzter Wohnungsbau zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einem Hauptwachstumsfaktor – und der Einbruch der Immobilienwirtschaft in der aktuellen Krise zu einem Hauptkrisenfaktor. In Portugal vermochten allerdings auch die niedrigen Zinsen das Wachstum in den letzten Jahren nicht mehr wirklich zu stimulieren. Die produktiven Sektoren waren dem äußeren Konkurrenzdruck unter den Bedingungen der Währungsunion sichtbar nicht gewachsen. Etwa seit Einführung des Euro bleibt Portugal hinter den Wachstumsraten der EU-15 zurück. In Spanien und Griechenland wurden die strukturellen Probleme der peripheren Ökonomien durch kreditfinanziertes Wachstum länger – nämlich bis zur aktuellen Krise – überdeckt. Der hohe äußere Finanzierungsbedarf macht die drei Mittelmeerländer sehr verwundbar in der Krise.

* Aggressive deutsche Exportpolitik

Die strukturellen Spannungen zwischen Überschuss- und Defizitländern in der Euro-Zone wurden durch die aggressive deutsche Exportpolitik deutlich verschärft. Die extrem restriktive Lohn- und Sozialpolitik der BRD war in neo-merkantilistischer Manier auf die Erzielung hoher Exportüberschüsse gerichtet. Sie war darin auch erfolgreich. Wies Deutschland im Jahr 2001 noch eine ausgeglichene Leistungsbilanz auf, so belief sich der Leistungsbilanzüberschuss im Jahr 2006 bereits auf 5,1% des BIP.

Die Verbesserung der deutschen Leistungsbilanz ist spiegelbildlich zum Steigen der Defizite in den Mittelmeerländern, aber auch in Frankreich. Das deutsche Exportwachstum ging zu Lasten anderer EU-Länder, aber auch der Binnennachfrage und dem Lebensstandard vieler abhängig Beschäftigter im Inneren. Deutsche Banken finanzierten die Exportüberschüsse der BRD faktisch durch hohe Kreditvergaben an die Mittelmeerländer. Allein Spanien steht bei deutschen Banken mit 240 Mrd. US-Dollar in der Kreide.

* EU-Politik in traditioneller IWF-Manier

In der aktuellen Diskussion werden allein die Defizite der Mittelmeer-Länder, aber nicht die deutschen Überschüsse diskutiert. Die EU verlangt in ultimativer Form starke Einschnitte bei den griechischen Staatsausgaben, speziell bei den Gehältern im öffentlichen Dienst und Sozialausgaben. Der Einnahmeseite, die in Griechenland bei der Steuereinhebung große Mängel aufweist, wird keine vergleichbare Priorität beigemessen. Griechenland wird faktisch unter Kuratel der Europäischen Kommission gestellt.

Im Fall Griechenlands möchte die EU eine direkte, maßgeblich Beteiligung des IWF an der Stabilisierungspolitik vermeiden. Vor allem werden eine direkte Einflussnahme der USA und ein weiterer Terrainverlust des Euro in der internationalen Währungskonkurrenz mit dem US-Dollar befürchtet. Die Währungskonkurrenz zwischen Euro und Dollar dürfte auch dem jüngsten Vorschlag des deutschen Finanzministers, Wolfgang Schäuble, für die Schaffung einer Art Europäischen Währungsfonds zugrunde liegen. Die Idee eines kurzfristigen Stabilisierungsfonds in der EU ist vielleicht ein halber Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeitig greift die Idee Schäubles aber viel zu kurz. Sie setzt nicht an den strukturellen Ursachen der Leistungsbilanzüberschüsse und –defizite an, speziell zielt sie nicht auf die Reduktion der Überschüsse. Das wirtschaftspolitische Modell würde sich nach Schäubles Vorstellung auch nicht von der traditionellen Form der IWF-Politik unterscheiden. Ebenso wenig ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der wirtschaftspolitischen Konditionierung Griechenlands (ohne maßgebliche Beteiligung des IWF) und der osteuropäischen Ländern (mit IWF-Programmen) erkennbar.

Ansonsten fiel die Erklärung der EU vom 11. Februar zu einer möglichen Stützung Griechenlands sehr allgemein und ziemlich substanzlos aus. Der griechische Premier, George Papandreu, beklagte den „Mangel an Wagemut“ in der EU angesichts der Spekulationsattacken.

Wie der liberale Kolumnist Martin Wolf in der „Financial Times“ vom 20. Januar 2010 eingestand, werden die drastischen Ausgabenkürzungen in Griechenland die Rezession verschärfen und ihrerseits zu weiteren Steuerausfällen führen. So wird eine rezessive Spirale – ähnlich wie in den Baltischen Ländern und Ungarn – in Gang gesetzt. Weder wird die Verschuldungsproblematik gelöst noch werden die Schwächen in der Produktionsstruktur auf diese Weise behoben.

Allerdings werden starke Rückgänge im Privatkonsum und ausbleibende Investitionen das Leistungsbilanzdefizit drücken. Lohnsenkungen in den Mittelmeerländern, wie sie der IWF-Chefökonom Olivier Blanchard kürzlich in der französischen Wirtschaftszeitung „Les Échos“ forderte, werden dann auch Druck auf die Löhne in anderen EU-Ländern ausüben. Der Zweck dieser Politik scheint daher auch in verallgemeinertem Lohn- und Sozialabbau zu bestehen.

Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass gerade drei sozialdemokratische Regierungen unter Druck stehen, auf eine pro-zyklische Politik einzuschwenken. Die griechischen Sozialdemokraten hatten kürzlich die Wahlen nicht zuletzt mit dem Versprechen sozialen Schutzes gewonnen. Die Regierung Zapatero in Spanien hat bislang nach heftigen inneren Auseinandersetzungen eine eher anti-zyklische Politik betrieben. Diesen Regierungen steht ein beschleunigter Legitimitätsverlust ins Haus. In Griechenland stehen die Zeichen auf sozialen Protesten. Diese könnten die griechischen Kürzungspläne zumindest erschweren, fürchten die rechtsliberalen Kräfte in der EU.

* Mögliche Alternativen

Eine Alternativpolitik müsste speziell bei den deutschen Überschüssen und der deutschen Binnenkonjunktur ansetzen. Deutlich überdurchschnittliche Konjunkturimpulse und Lohnerhöhungen in Deutschland würden den Druck auf die eher peripheren Euro-Länder reduzieren. Statt „Budgetsünder“ sollte die EU Länder mit chronischem Überschuss der Leistungsbilanz negativ sanktionieren – ähnlich wie es Keynes, damals vergeblich, für die internationale Nachkriegswirtschaftsordnung vorgeschlagen hatte. Die Kräfteverhältnisse in der EU deuten allerdings nicht auf eine solche Lösung hin. Wird die bisherige Politik fortgesetzt, so werden die sozialen Spaltungen wie auch der Graben zwischen Zentrums- und Peripherieländern in der EU vertieft.

Dr. Joachim Becker ist a.o. Professor am Institut für Außenwirtschaft und Entwicklung der Wirtschaftsuniversität Wien.

Veröffentlicht: 15.2.2010; aktualisiert: 8.3.2010.

Empfohlene Zitierweise: Joachim Becker, Nicht Griechenland, Deutschland ist das Problem. Zur Finanzkrise in Südeuropa, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 03-04/März-April 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).