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Pakistan: Die Flut als Vorbote von Schlimmerem

Artikel-Nr.: DE20100825-Art.43-2010

Pakistan: Die Flut als Vorbote von Schlimmerem

W&E-Kolumne: Die Sicht des Südens

Nur im Web - Derzeit gibt es kein internationales System zur finanziellen Unterstützung von Ländern, die vom Klimawandel betroffen sind. Länder wie Pakistan sind auf Spenden angewiesen. Die pakistanische Flutkatastrophe sollte die Politik veranlassen, schnellstens einen Mechanismus zu installieren, der Ländern, die vom Klimawandel betroffen sind, finanzielle Hilfe bietet, meint Martin Khor.

All diejenigen, die immer noch glauben, Klima sei kein reales Problem, die hat hoffentlich die verheerende Flut in Pakistan eines Besseren belehrt.
Schätzungen zufolge sind 20 Millionen Menschen betroffen, 900.000 Häuser zerstört oder beschädigt, 4,6 Millionen Menschen obdachlos. Und das nur in zwei Provinzen des Landes. 6,5 Millionen Menschen brauchen Trinkwasser, Lebensmittel und Medikamente. In der Provinz Khyber Pakhtunkhwa wurden 70 % der Brücken und Straßen einfach weggespült. Am schlimmsten hat es die Landwirtschaft getroffen: 7 Millionen Hektar Acker- und Weideland sind überflutet, mehr als 200.000 Tiere wurden getötet und der Großteil der Baumwoll- und Weizenernte ist verloren.

* Schlimmste Naturkatastrophe der modernen Geschichte

Die Flut in Pakistan ist eine der schlimmsten Naturkatastrophen der modernen Geschichte. Das Ausmaß des Desasters, sowohl in Bezug auf die Anzahl der betroffenen Menschen, auf den Wert des Verlustes von Eigentum oder auf die Fläche sei schlimmer, so heißt es, als der Tsunami und das Erdbeben in Haiti zusammengenommen, auch wenn die Zahl der Todesopfer mit 1600 geringer ist. John Holmes, UN-Mitarbeiter für humanitäre Angelegenheiten war schockiert: „Die Katastrophe hat viel mehr Menschen betroffen als jede andere Naturkatastrophe vorher, die ich gesehen habe.“ Der pakistanische Außenminister Makhdoom Shah Mahmood Qureshi beschrieb die Flut vor der UN= in New York als eine „Naturkatastrophe von nie vorher dagewesenem Ausmaß.“

Die Flut wird jetzt dem Klimawandel zugeschrieben, obwohl sich ein Wetterereignis meist nur schwer einem Klimaphänomen zuordnen lässt, und die Frage, ob Katastrophen wie der Tsunami, die Taifune im letzten Jahr auf den Philippinen oder der Hurrikan Katrina, der New Orleans zerstörte, auf den Klimawandel zurückzuführen sind, kontrovers diskutiert wird. In Pakistan werden zum Teil auch lokale Faktoren wie Entwaldung und Fehlbewirtschaftung von Land und Wasser für die Überschwemmungen verantwortlich gemacht.

Die Regierung Pakistans sieht jedoch in der Katastrophe hauptsächlich eine Folge des Klimawandels. Der Außenminister des Landes betonte, dass der Klimawandel für 170 Millionen Pakistani Realität geworden ist und dass die derzeitige Lage Pakistans „die anhaltend extreme Verwundbarkeit“ gegenüber den negativen Auswirkungen des Klimawandels bestätigt.

* Die Frage der Verwundbarkeit gegenüber dem Klimawandel

Die Frage der Verwundbarkeit ist wichtig, da in jüngster Zeit in den Klimaverhandlungen ein Trend zu erkennen war, nur bestimmte Länder (die am wenigsten entwickelten Länder und die kleinen Inselstaaten) als besonders verwundbar gegenüber dem Klimawandel anzuerkennen. Andere Länder, einschließlich Pakistan, Nikaragua und andere mittelamerikanische Länder (die von Hurrikanen heimgesucht wurden), sehen sich aber ebenfalls als extrem verwundbar und stellen die Kriterien, nach denen ein Land als „verwundbar“ eingestuft wird, in Frage.

Ein leitender Wissenschaftler der in Genf ansässigen World Meteorological Organisation (WMO), dem obersten wissenschaftlichen UN-Gremium in dieser Frage, stellt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Flut in Pakistan und dem Klimawandel her. Nathanial Gronewold von ClimateWire wies in einem Artikel für die New York Times ebenfalls darauf hin, dass laut WMO die höheren Temperaturen des Atlantiks zweifelsfrei zu den Überschwemmungen beigetragen haben.

Außergewöhnliche Ereignisse in der Atmosphäre, die zu den Überschwemmungen geführt haben, werden auch direkt mit demselben Wetterphänomen in Verbindung gebracht, das die Rekord-Hitzewelle in Russland und die Überschwemmungen und Schlammlawinen in Westchina verursacht hat, so Ghassem Asrar, Direktor des WMO World Climate Research Programme. Er fügte hinzu, das Schreckliche, das Pakistan derzeit durchleide, sei nur ein Vorbote von Schlimmerem.

„Zweifellos ist der Klimawandel ein Faktor – ein wesentlicher Faktor“, so Asrar in einem Interview mit Gronewold. „Natürlich ist ein Fall kein Beleg, aber es gibt einige Fakten, die darauf hinweisen, dass der Klimawandel damit zu tun hat.” Die Oberflächentemperatur des Atlantiks hat neue Rekordhöhen erreicht, was dazu führte, dass eine enorme Menge an verdampfter Feuchtigkeit in die Atmosphäre stieg und über das betroffene Gebiet zog. Gleichzeitig verhinderte ein ungewöhnliches Luftströmungsmuster, dass sich die Wolken über ein größeres Gebiet ausbreiten konnten, wodurch sich, so Gronewold in seinem Artikel, der Regen über Pakistans Wasserscheide konzentrieren konnte. Gronewold zitiert Asrar mit der Aussage, dass die überdurchschnittlich hohen Atlantiktemperaturen und die Verhältnisse, die der Niedrigtemperaturzyklus von La Niña im zentralen Pazifik geschaffen hatte, die perfekten Bedingungen für den sintflutartigen Regen bildeten.

* Warum das Wetter verrückt spielt

Die Katastrophe wurde von der Entwaldung und den Veränderungen der Landnutzung in den betroffenen Gebieten begünstigt, aber Asrar betont, dass die schiere Masse an Feuchtigkeit, die die Wolken aufgenommen hatten und dann über Pakistan entließen, die Hauptursache seien.

Die Überschwemmung begann Ende Juli und beschleunigte sich im Laufe des Augusts. Sie betraf fast den ganzen Norden und einen Großteil der Zentralregion Pakistans. In der schlimmsten Phase fielen 30 cm Regen im Laufe von 36 Stunden, und in einigen Gegenden wurden Niederschläge gemessen, die 180% der Menge einer normalen Monsunsaison ausmachten. Die Pegelstände des Indus erreichten die höchsten Marken seit Beginn der Aufzeichnung vor 110 Jahren.

Gronewold weist darauf hin, dass Wissenschaftlern zufolge dieser Sommer einer der heißesten überhaupt ist, mit Rekordtemperaturen in den USA, in Europa und in Zentralasien. „Folglich war auch die Oberfläche des Atlantiks viel wärmer als sonst. Laut IPCC-Assessment-Reports führen höhere Meerestemperaturen dazu, dass mehr Dampf in die Atmosphäre aufsteigt. Dies deutete bereits darauf hin, dass sich Südasien auf eine außergewöhnlich starke Monsunsaison gefasst machen musste.“

Normale Luftströmungsmuster hätten diese Niederschläge über ein möglichst großes Gebiet verteilt. Aber die ungewöhnlichen Luftströme, die La Niña verursacht hatte, schufen eine Druckbarriere, die verhinderte, dass die warme und feuchte Luft wie immer von West nach Ost ziehen konnte. Diese Barriere verhinderte auch, dass die Regenwolken Westrussland erreichen konnten, wo eine schwere Dürre Waldbrände verursachte und 20 % der Weizenernte zerstörte. Da die regengesättigten Wolken nicht abziehen konnten, mussten Pakistan und Westchina mit den massiven Niederschlägen fertig werden,“ so Asrar.

* Notbehelf in der Katastrophe

Derzeit wird internationale Hilfe für Pakistan mobilisiert: Nach einem Appell der UN wurden fast 500 Mio. US-Dollar zugesagt. Aber benötigt wird wesentlich mehr. Laut dem pakistanischen Außenminister werden allein für die Landwirtschaft 2 Mrd. Dollar gebraucht, und der Volkswirt A.B. Shahid schätzt, dass 3 Mrd. Dollar allein für den Bau von Häusern und 7 Mrd. Dollar für die Erneuerung der Infrastruktur wie Straßen, Brücken, Kanäle und öffentliche Gebäude erforderlich sind.

Derzeit gibt es kein internationales System zur finanziellen Unterstützung von Ländern, die vom Klimawandel oder von extremen Wetterereignissen betroffen sind, und Länder wie Pakistan sind auf Spenden angewiesen. Die pakistanische Fluttragödie sollte die Politik veranlassen, die Klimakrise ernster zu nehmen und schnellstens einen Mechanismus zu installieren, der Ländern, die vom Klimawandel betroffen sind, finanzielle Hilfe bietet.

Martin Khor ist Direktor des South Centre in Genf.

Veröffentlicht: 25.8.2010

Empfohlene Zitierweise: Martin Khor, Pakistan: Die Flut als Vorbote von Schlimmerem, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 25. August 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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