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Produktions- und Konsummuster im Umweltcheck

Artikel-Nr.: DE20100630-Art.35-2010

Produktions- und Konsummuster im Umweltcheck

UNEP-Report fordert Verzicht auf Tierprodukte

Vorab im Web - Ein neuer Report an das International Panel for Sustainable Resource Management des UN-Umweltprogramms (UNEP) untersucht die globalen Umweltwirkungen von Produktions- und Konsummustern, wobei er das Hauptaugenmerk auf die stofflichen Aspekte legt. Eine Erkenntnis des Berichts (s. Hinweis) lautet: Eine Reduzierung des Konsums von Tierprodukten ist wesentlich für Klimaschutz, Umwelt und Welternährung. Von Sarah Hellmerichs.

Im Jahr 2050 werden schätzungsweise 9,1 Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Alle diese Menschen müssen ernährt werden, was den Agrarsektor äußerst einflussreich in Bezug auf Wirtschaft und Umwelt macht. Bereits heute werden 38% der Erdoberfläche landwirtschaftlich genutzt, 2050 werden es 50% sein. Gleichzeitig hat sich herausgestellt, dass die Ressourcennutzung in der Agrarwirtschaft, verglichen mit dem Industriesektor, wenig effizient ist.

* Effiziente Welternährung?

Der Ressourcenverbrauch der Tierproduktion übersteigt den von pflanzlichen Alternativen bei weitem. Der Mangel an Nachhaltigkeit wird besonders deutlich, wenn man die globalen Ernährungsgewohnheiten betrachtet. Wie ineffizient ein hoher Konsum tierischer Produkte ist, wird allein dadurch sichtbar, dass bis 2050 die Hälfte der Weltgetreideernte als Futtermittel benötigt werden wird. Da Reichtum und Tierprodukte-Verzehr direkt korrelieren, überrascht es nicht, dass vor allem für Schwellenländer einen Anstieg des Fleischkonsums aufsteigender Wirtschaften prognostiziert wird, wofür der neue Agrarausblick von OECD und FAO (s. Hinweis) zahlreiche Beispiele liefert.

Im Schnitt braucht ein Mensch 2000 Kilokalorien täglich, um ausreichend ernährt zu sein. Im Vergleich zu pflanzlichen Alternativen ist der Konsum tierischer Produkte diesbezüglich wenig effizient, denn um eine Kalorie Rindfleisch zu erhalten, müssen zunächst zehn Getreidekalorien verfüttert werden, für Milch sind es fünf, bei Eiern vier und bei Schweinefleisch drei. In Anbetracht einer Milliarde von Hunger und Unterernährung bedrohter Menschen machen diese Zahlen nachdenklich. Unterernährung von Kindern und Schwangeren macht international gesehen immer noch den größten Anteil der Krankheitsursachen aus und steht damit vor Wohlstandskrankheiten wie Bluthochdruck und Genussmittelmissbrauch. Zusätzlichen Druck zur bestehenden Situation macht der Wandel der Ernährungsgewohnheiten in aufstrebenden Wirtschaften, denn der Futtermittelbedarf übersteigt bei weitem deren Getreideernte.

* Steigende Agrarpreise

Besorgniserregend im Hinblick auf die Welternährungssituation ist auch die OECD/FAO-Prognose zu steigenden Lebensmittelpreisen, aus denen sich nicht nur indirekt ein Zusammenhang zum übermäßigen Verzehr tierischer Produkte ableiten lässt. Schließlich ist die Tatsache, dass die Hälfte der Getreideernte als Futtermittel benötigt wird, ein nicht von der Hand zu weisender Nachfragefaktor. Die Getreidepreise werden in der kommenden Dekade um bis zu 40% steigen, Pflanzenölpreise werden sogar leicht darüber liegen. Als Resultat ergibt sich ein Anstieg der Preise für Fleisch, Milch- und andere tierische Produkte, der mit 45% den der pflanzlichen Alternativen noch übersteigt. Ein Wandel der Ernährungsgewohnheiten würde auch dieses Problem deutlich abmildern.

* Effekte industrieller Tierproduktion

Neben diesen rein rechnerischen Vorteilen einer veganen Ernährung verweist der Report auf zusätzliche Schädigungen durch industrielle Tierhaltung. Die Verunreinigung von Trinkwasser stellt ein großes Gesundheitsrisiko dar. Da 70% des globalen Wasserverbrauchs auf Kosten der Landwirtschaft gehen, bietet sich hier ein großer Handlungsspielraum. Insbesondere die Tierproduktion gilt hier als Verursacher von Verschmutzung: So gelangen z.B. große Mengen Nitrat ins Grundwasser, was nicht nur die direkte Umwelt bedroht, sondern zusätzlich im Trinkwasser als krebserregendes Nitrit erhebliche Gesundheitsschäden verursacht. Allein der Futtermittelanbau hat an der Verseuchung des Trinkwassers einen nicht zu verachtenden Anteil; in den USA beträgt dieser 15%. In Ländern mit Wassermangel kann dies schwerwiegende Folgen haben.


Der Abbau biotischer Ressourcen ist auf den ersten Blick wünschenswert, denn diese sind im Gegensatz zu fossilen Reserven und anderen abiotischen Ressourcen nachwachsende Rohstoffe. Allerdings ist hier die Umsetzung mehr als mangelhaft, und daran maßgeblich beteiligt sind sowohl die Produzenten der Agrarwirtschaft als auch der Konsument, der zu keinerlei Einschränkungen bereit ist. Der Report stellt hier Überfischung und Waldrodung als besonders bedeutend heraus. Eine Produktion von 93 Mio. Tonnen Fisch pro Jahr, die die Überfischung der Ozeane vorantreibt, und die Waldrodung zur Gewinnung landwirtschaftlicher Nutzflächen lassen die genannten Ökosysteme kollabieren. Hier genügt kein langsames Umdenken mehr, denn jede weitere Schädigung ist irreversibel.

Auch wenn die Industrie mit 19% der größte Verursacher von Treibhausgasen ist, können Veränderungen im Agrarsektor, der immerhin 14% der weltweiten Emissionen verursacht, helfen, die Klimaproblematik zu entschärfen. Auch industrieller Fischfang ist keineswegs CO2-neutral. Weiterhin werden die Produktion von Biomasse und Futtermitteln von den Verfassern des Reports als genauso schädlich gesehen wie die Nutzung fossiler Brennstoffe.

* Schlüsselfaktor Ernährungsgewohnheiten

Natürlich wäre es falsch, das alleinige Augenmerk auf eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten zu legen, und es ist auch nicht die einzige Aussage des UNEP- Reports. Die Produktionsbedingungen betreffend, sollte vor allem die Frage der Nutzung fossiler Brennstoffe weiter auf der Agenda stehen, allerdings ist hier die Alternativenfindung bzw. ein Umdenken bereits im Gange. Dies führt aber nicht nur zu positiven Effekten: Die aktuelle Debatte um Agrosprit macht deutlich, dass auch dies mit dem Agrarsektor zusammenhängt, denn nach dem FAO-Ausblick ist die Produktion von Biokraftstoffen eng mit dem Anstieg der Lebensmittelpreise verbunden.

Als großes Ziel haben sich die Verfasser des UNEP-Reports gesetzt, Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung zu entkoppeln. Die Einfachheit der Forderungen besteht darin, dass jeder nur einen kleinen Lebensbereich, nämlich sein Ernährungsverhalten, ändern muss, um einen Schritt in die richtige Richtung zu machen. Aber hier liegt ebenso auch die Schwierigkeit: Es müssen rund sieben Milliarden Menschen überzeugt werden, Tendenz steigend.

Hinweise:
* UNEP (2010): Assessing the Environmental Impacts of Consumption and Production: Priority Products and Materials. A Report of the Working Group on the Environmental Impacts of Products and Materials to the International Panel for Sustainable Resource Management, 112 pp, Nairobi
* OECD/FAO (2010): Agricultural Outlook 2010-2019, Paris-Rome

Veröffentlicht: 30.6.2010

Empfohlene Zitierweise: Sarah Hellmerichs, Produktions- und Konsummuster im Umweltcheck, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 07/2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).