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Südamerika: Ist die Krise wirklich schon vorbei?

Artikel-Nr.: DE20100822-Art.42-2010

Südamerika: Ist die Krise wirklich schon vorbei?

Boomstimmung am Rio de la Plata

Nur im Web - In manchen Ländern Südamerikas, so in Brasilien und in Uruguay, werden für 2010 Wachstumsraten von rund 7% prognostiziert. In Uruguay beispielsweise herrscht regelrechte Boomstimmung. Endlich gebe es wieder Arbeit, es würde mehr verdient und ausgegeben, und es sei alles viel besser als zu Anfang des letzten Jahrzehnts. Joachim Becker (z.Zt. Montevideo) fragt, ob die Krise an den südamerikanischen Staaten tatsächlich glimpflich vorbeigegangen ist.

Erst hieß es, es gibt keine Krise. Dann: Die Krise geht an der Region vorbei. Und zuletzt: Die Krise ist schon vorüber. So fasste Eduardo Gudynas vom Centro Latinoamericano de Ecología Social jüngst bei einer Podiumsdiskussion in Montevideo die am Rio de la Plata vorherrschende Sichtweise auf die Krise zusammen.

* Exportalternative China

Tatsächlich sind Brasilien, Argentinien und Uruguay von der Krise bislang relativ wenig betroffen worden. In Brasilien sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2009 um 0,2%, in Argentinien stieg es um 0,9% und in Uruguay sogar um 2,9%. Waren diese Länder Ende 2008 und im ersten Halbjahr 2009 von einem deutlichen Einbruch der Export und er wirtschaftlichen Aktivitäten betroffen worden, so setzte danach eine erkennbare wirtschaftliche Erholung ein. Der vorübergehende Abschwung zeitigte keine dramatischen sozialen Folgen, ganz im Gegensatz zur Finanzkrise in der Region in den Jahren 1998 bis 2002. Deutlich ist der Kontrast auch zu Mexiko und den zentralamerikanischen Ländern (aber auch Venezuela), die mit der US-Ökonomie eng verbunden sind und von deren Krise stark getroffen wurden.

Der Export in die USA und die EU ging auch in den Mercosur-Ländern stark zurück. Brasiliens Ausfuhren in die USA fielen 2009 um 43% und jene in die EU um 26%. Doch ist der Export der Mercosur-Länder geografisch relativ diversifiziert, was die Wucht des Exporteinbruchs abgemildert hat.

Speziell China erweist sich als immer wichtigerer Absatzmarkt. So ist der Anteil Chinas am brasilianischen Export zwischen 2000 und dem Krisenjahr 2009 von 2,0% auf 13,2% gestiegen, in Argentinien verzeichnete die Ausfuhr nach China immerhin eine Anteilsverdoppelung von 3,0% auf 6,6%.

* Spielräume in der globalen Finanzkrise

In den Jahren vor der Krise hatten die Mercosur-Länder Argentinien, Brasilien und Uruguay dank der Abwertung im Gefolge der Finanzkrise 1998-2002 und steigender Rohstoffpreise zumindest zeitweise Leistungsbilanzüberschüsse erzielen und Devisenreserven aufbauen können. Argentinien hatte bei den Gläubigern eine substanzielle Schuldenreduktion durchgesetzt, und Brasilien sowie Uruguay hatten zumindest das Schuldenprofil verbessert. Damit war die äußere Krisenverwundbarkeit gemindert worden.

Die Bankensektoren waren nicht stark von äußerer Refinanzierung abhängig. Die Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten betrafen die Finanzsektoren der drei Länder unmittelbar nicht besonders stark. Allerdings fuhren einige brasilianische Großunternehmen empfindliche Verluste bei Devisenspekulationen ein.

Die Regierungen der drei Länder hatten Spielräume für eine anti-zyklische Wirtschaftspolitik. Diese waren in Brasilien am größten und wurden von der Regierung Lula mit einer expansiven Kreditpolitik des öffentlichen Bankensektors, der Fortführung des öffentlichen Investitionsprogramms und gewissen fiskalischen Maßnahmen auch am konsequentesten genutzt.

Da die Ex- und Importquoten Brasiliens, Argentiniens und Uruguays nicht besonders hoch sind, konnten binnenwirtschaftliche Impulse auch eine reale Wirkung zeitigen. Die Währungsabwertungen nach der Finanzkrise hatten in den letzten Jahren zur Stabilisierung der binnenwirtschaftlichen orientierten Industrie beigetragen. Steigende Löhne und Beschäftigung – bei gleichzeitiger Ausweitung formaler Beschäftigungsverhältnisse – stimulierten die Binnennachfrage in den letzten Jahren. Die Regierung Lula hatte – als einzige in der Region – auch gezielte industriepolitische Maßnahmen ergriffen.

* Re-Primarisierung des Exports

Doch sind manche Stärken in der Krise gleichzeitig auch Schwächen. Im Verhältnis zu China reproduzieren die drei Länder ein Modell der Primärgüterproduktion mit einer starken Akzentsetzung bei landwirtschaftlichen Produkten. Selbst in Brasilien mit der relativ am stärksten industrialisierten und diversifizierten Ökonomie des Sub-Kontinents ist eine Re-Primarisierung des Exports zu verzeichnen. Laut Angaben der Federacao das Indústrias do Estado do Sao Paulo (Fiesp) ist der Anteil verarbeiteter Produkte am brasilianischen Export zwischen 2000 und dem letzten Jahr von 58,4% auf 45% zurückgegangen.



Im industriellen Bereich fährt Brasilien zunehmende Handelsbilanzdefizite ein, seine Leistungsbilanz verschlechtert sich. Hierzu trägt die Aufwertungstendenz des brasilianischen Real bei. Die Regierung Lula hat zwar erste, aber eben nur sehr begrenzte Maßnahmen ergriffen, um die Kapitalzuflüsse und den Aufwärtstrend des Real zu bremsen. Das sich ausweitende Leistungsbilanzdefizit, dem die Volatilität der ausländischen Kapitalzuflüsse (s. Grafik) nicht unbedingt entgegen wirkt, ist eine zentrale Achillesferse des brasilianischen Wirtschaftsmodells.

Für praktisch alle Staaten Südamerikas gilt, dass der Rohstoffexport ein zentraler Pfeiler des Wachstumsmodells der letzten Jahre war. Die Wirtschaftsgeschichte Lateinamerikas zeigt, wie wacklig dieser Pfeiler ist. Mit dieser Ausrichtung ist das Wirtschaftsmodell auch sehr eng an eine rohstoffintensive Form der Produktion mit aller ökologischen Problematik gebunden. Dies ist aber noch relativ wenig Gegenstand der öffentlichen Diskussion.

Joachim Becker ist ao. Professor an Wirtschaftsuniversität Wien und arbeitet eng mit dem Centro Latinoamericano de Ecología Social in Montevideo (Uruguay) zusammen.

Veröffentlicht: 19.8.2010

Empfohlene Zitierweise: Joachim Becker, Südamerika: Ist die Krise wirklich schon vorbei?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 19. August 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).