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Verantwortungsvolles globales Bauernlegen?

Artikel-Nr.: DE20100613-Art.31-2010

Verantwortungsvolles globales Bauernlegen?

Landnahme mit Verhaltenskodex

Nur im Web - Die Weltbank, die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO), der Internationale Fonds für Agrarentwicklung (IFAD) und das Sekretariat der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) haben kürzlich sieben “Prinzipien für verantwortliche Agrarinvestitionen” vorgestellt. Die Prinzipien sollen sicherstellen, dass große Investitionen in Land in Win-win-Situationen münden, die den Investoren und den direkt betroffenen Gemeinschaften gleichermaßen zu gute kommen. Doch trotz guter Intentionen sind die Prinzipien völlig ungeeignet, schreibt Olivier De Schutter.

Seit mehreren Jahren haben private Investoren und Staaten nun begonnen, weltweit Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zu kaufen oder zu pachten, um ihr heimisches Angebot an Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Pflanzentreibstoff zu sichern oder Zuschüsse für die Kohlenstoffspeicherung mit Hilfe von Plantagen zu bekommen. Westliche Investoren einschließlich von Wall-Street-Banken und Hedgefonds betrachten Direktinvestitionen in Land inzwischen als sicheren Hafen in einem ansonsten turbulenten finanziellen Klima.

* Ausmaß und Risiken der Landnahme

Das Phänomen hat ein enormes Ausmaß angenommen. Seit 2006 waren zwischen 15 und 20 Millionen Hektar Farmland, etwa so viel wie die gesamte landwirtschaftlich genutzte Fläche Frankreichs, Gegenstand von Verhandlungen mit ausländischen Investoren.

Die Risiken sind beträchtlich. Nur allzu oft werden Begriffe wie „agrarische Reserveflächen“ oder „ungenutztes Land“ in manipulatorischer Absicht verwendet, um Land anzueignen, von dem viele Menschen abhängig sind und für das langjährige Gewohnheitsrechte gelten. Das Erfordernis, dass Umsiedlungen nur zu einem anerkannten „öffentlichen Zeck“, gegen faire Entschädigung und nach Konsultation der Betroffenen stattfinden dürfen, wird öfter gebrochen als befolgt.

In Afrika wird der ländliche Boden generell als Staatseigentum angesehen und von den Regierungen behandelt, als wäre es ihr eigener. In Lateinamerika wird die Kluft zwischen Großgrundbesitzern und Kleinbauern immer größer. In Südasien werden viele Bevölkerungsgruppen von ihrem angestammten Land vertrieben, um Platz für große Palmölplantagen, Wirtschaftssonderzonen oder Wiederaufforstungsprojekte zu gewinnen.

* Unverbindliche Prinzipien

Die Prinzipien, die jetzt vorgeschlagen wurden, um diese Praktiken einzudämmen und zu disziplinieren, tragen rein freiwilligen Charakter. Dabei ist es notwendig, darauf zu insistieren, dass die Regierungen ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen vollständig befolgen, einschließlich des Rechts auf Nahrung, des Rechts aller Völker, über ihren nationalen Reichtum und ihre Ressourcen frei zu verfügen und des Rechts, dass ihnen die Subsistenzmittel nicht geraubt werden dürfen. Weil die Prinzipien die Menschenrechte ignorieren, vernachlässigen sie eine wesentliche Dimension von Verantwortlichkeit.

Auch gibt es eine deutliche Spannung zwischen der Übertragung von Land an Investoren zur Schaffung großer Plantagen und dem Ziel der Umverteilung von Land und der Gewährleistung von gerechterem Zugang zu Land. Die Regierungen haben sich wiederholt selbst zu diesen Zielen verpflichtet, zuletzt auf der Internationalen Konferenz über Agrarreform und Ländliche Entwicklung im Jahre 2006.

Das eigentliche Problem geht tiefer als die Frage, wie die Prinzipien formuliert wurden. Die Förderung großer Investitionen in Land beruht auf dem Glauben, dass der Kampf gegen den Hunger eine Steigerung der Nahrungsmittelproduktion erfordert bzw. dass das Nahrungsmittelangebot wegen mangelnder Investitionen in die Landwirtschaft rückläufig ist. In dieser Logik sollte man begrüßen, wenn Investitionen in den Agrarsektor fließen, welche Verhältnisse damit auch immer Einzug halten.

* Falsche Diagnose – falsche Therapie

Sowohl die Diagnose als auch die davon abgeleitete Therapie sind jedoch falsch. Hunger und Fehlernährung sind nicht vorrangig das Ergebnis unzureichender Nahrungsmittelproduktion; sie sind das Resultat von Armut und Ungleichheit, vor allem in ländlichen Regionen, wo immer noch 75% der Armen der Welt leben.

In der Vergangenheit wurden in der ländlichen Entwicklung große, kapitalintensive Formen der Landwirtschaft befürwortet und Kleinbauern, die die lokalen Gemeinschaften ernährten, vernachlässigt. Den Regierungen ist es nicht gelungen, Landarbeiter in einer zunehmend sich verschärfenden Konkurrenzsituation vor Ausbeutung zu schützen. Es ist somit kein Wunder, dass Kleinbauern und Landarbeiter heute zusammen über 70% derjenigen stellen, die nicht in der Lage sind, sich zu ernähren.

Die Beschleunigung des Trends zu großen, hoch mechanisierten Formen der Landwirtschaft wird das Problem nicht lösen, sondern vielmehr verschärfen. Die größten und bestausgerüsteten Farmen sind insoweit hochgradig konkurrenzfähig, dass sie zu niedrigeren Kosten für die Märkte produzieren können. Doch gehen mit ihnen auch soziale Kosten einher, die in die Marktpreise ihres Outputs überhaupt nicht eingehen.

Kleinbauern produzieren demgegenüber zu höheren Kosten. Sie erzielen oft sehr hohe Hektarerträge, da sie den Boden maximal nutzen und auch eine optimale Kombination der Nutzung von Pflanzen und Tieren erreichen. Doch die Formen von Landwirtschaft, die sie praktizieren und die weniger auf externen Inputs und Mechanisierung beruhen, sind hochgradig arbeitsintensiv.

Wenn Kleinbauern mit großen Farmen auf denselben Märkten konkurrieren, verlieren sie. Gleichwohl liefern sie unschätzbare Dienste in Form des Schutzes der Agro- und Biodiversität, der Widerstandsfähigkeit der lokalen Gemeinschaften gegen Preisschocks oder Wetterunbilden und des Umweltschutzes.

* Neue schöne Landwirtschaft

Die Zunahme von Großinvestitionen in die Landwirtschaft wird die Beziehungen zwischen diesen ländlichen Welten verändern. Sie wird die hochgradig ungleiche Konkurrenz verschärfen. Und sie könnte im ländlichen Raum zu massiven sozialen Verwerfungen führen.

Sicherlich, Agrarinvestitionen sollten verantwortungsvoll vorgenommen werden. Doch während viele die durch die steigenden Nahrungsmittelpreise der letzten Jahren provozierte Knappheit als Gelegenheit zu Investitionen gesehen haben, sollten solche Gelegenheiten nicht als Lösungen missverstanden werden.

Die Rehabilitierung der Landwirtschaft in der Entwicklungswelt würde schätzungsweise 30 Mrd. Dollar pro Jahr erfordern, ungefähr 0,05% des globalen Bruttoinlandsprodukts. Doch wie viel in die Landwirtschaft investiert wird, ist weniger wichtig als der Typ von Landwirtschaft, der unterstützt wird. Durch die anhaltende Unterstützung großer Monokulturen in der Hand mächtiger ökonomischer Akteure laufen wir Gefahr, die Kluft zur kleinbäuerlichen Familienlandwirtschaft weiter zu vertiefen, während ein Modell industrieller Agrarwirtschaft weiter gefördert wird, das heute schon für ein Drittel der menschengemachten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich ist.

Es ist bedauerlich, dass wir agieren, als könnten wir die Vernichtung der globalen Bauernschaft auf verantwortungsvolle Weise zu Ende führen, anstatt uns der Herausforderung zu stellen, die Landwirtschaft sozial und ökologisch nachhaltiger zu entwickeln.

© Project Syndicate

Olivier De Schutter ist UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.

Veröffentlicht: 13.6.2010

Empfohlene Zitierweise: Olivier De Schutter, Verantwortungsvolles Bauernlegen? Landnahme mit Verhaltenskodex, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 13. Juni 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).