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Vereint im Kampf gegen den Welthunger

Artikel-Nr.: DE20100613-Art.32-2010

Vereint im Kampf gegen den Welthunger

Mit allen "Stakeholdern" an einem Strang?

Nur im Web - „Alle Stakeholder“ war möglicherweise der am häufigsten benutzte Begriff bei einer internationalen Konferenz, die das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter dem Titel „Policies against Hunger VIII. Improving Governance for Food Security and Nutrition“ vom 9.-11. Juni 2010 in Berlin ausrichtete. Zentrale Themen waren die Rolle des Committee on World Food Security (CFS) als neue globale Plattform zur Ernährungssicherung und die Rolle der Privatwirtschaft – zwei Themen, die auch der Zivilgesellschaft eine Positionierung abverlangen. Ein Bericht von Uwe Hoering.

Die Zahl der Menschen, die Hunger leiden, steigt. Doch es gibt Hoffnungen: Mit dem reformierten und aufgewerteten CFS, angesiedelt in Rom bei der FAO, gibt es ein neues Global-Governance-Instrument, an das hohe Erwartungen gerichtet werden, auch von zivilgesellschaftlicher Seite. Zum zweiten sehen Entwicklungsorganisationen und Regierungen in dem wachsenden Interesse von Investoren an der Landwirtschaft – auch als land grabbing bekannt geworden - Chancen, die landwirtschaftliche Entwicklung aus der durch die Politik selbst mit verschuldeten Investitionslücke zu befreien, ohne selbst zu viel Geld in die Hand nehmen zu müssen. Neben Global Governance und der Rolle der Privatwirtschaft als Helferin im Kampf gegen den Hunger als den beiden dominierenden Diskussionssträngen trat das Thema Ernährung etwas in den Hintergrund.

* Ein runderneuertes Komitee

Mit der Reform des CFS wurde im Herbst vergangenen Jahres in der globalen Governance-Architektur eine Art Kreuzstein geschaffen (???042ae69cc90d4780d???), so hoffen zumindest manche Beobachter. „Alles wird anders, neu sein“, freute sich Noel De Luna, Vorsitzender des CFS: Mehr Mitglieder seitens Regierungen und UN-Organisationen, Abstimmung mit regionalen Organisationen, dazu Vertreter von Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft – eben „alle Stakeholder“. Das Komitee soll sich weitaus häufiger treffen als bislang, ein Beratergremium nach dem Vorbild des International Panel on Climate Change (IPCC), um hochwertige – und wie jemand scherzhaft sagte: hoffentlich nobelpreiswürdige – wissenschaftliche Expertise bereitzustellen.

Die ersten Monate seit seiner neuen Rollendefinition hat das CFS-Sekretariat mit dem Aufbau zugebracht. Allerdings sei die Finanzierung noch nicht richtig angelaufen, klagte Noel De Luna. „Anscheinend wurde bei den Verhandlungen verpasst, dafür zu sorgen, dass das Komitee über eigene Mittel verfügt“. Im Oktober wird es mit seiner ersten Sitzung in neuer Besetzung seine erste Nagelprobe erleben. Bis dahin werden die „Kinderkrankheiten“, so hofft De Luna, auskuriert sein.

Internationale zivilgesellschaftliche Organisationen sehen das neu formierte Gremium als Chance. Sie wollen unter anderem eine eigene Organisationsstruktur, einen Civil Society Mechanism (CSM) schaffen, um den Einfluss der Zivilgesellschaft auf die Arbeit der CFS zu koordinieren. Zum „Herzstück der CFS“ erklärte Maryam Rahmanian vom zivilgesellschaftlichen Netzwerk IPC for Food Sovereignty die Ausarbeitung einer neuen Strategie zur Ernährungssicherung. Allerdings ist nicht klar, wie weit die Kompetenzen der CFS über die einer Globalen Plattform für Koordination und Kommunikation hinausgehen und wirklich „Entscheidungsbefugnisse“ beinhalten, wie sie Maryam Rahmanian fordert.

* Die Privatwirtschaft als Helfer gegen Hunger

„Die Förderung verantwortlicher Aktivitäten des Privatsektors in der Landwirtschaft im Interesse von Ernährungssicherheit und Ernährung“ war das zweite zentrale Thema der Konferenz, das als Wunschthema des Ministeriums auf die Agenda gekommen war.

Die Erwartungen erinnern an die anfängliche Euphorie, als die Beteiligung der Privatwirtschaft im Wassersektor („Öffentlich-Private Partnerschaften“) propagiert und vorangetrieben wurde: Private Wasserunternehmen sollten nicht nur Investitionen, sondern auch Technologie und Management bringen, kurzum alles, was der Staat öffentlichen Unternehmen nicht mehr bereitstellen wollte oder konnte. Dadurch sollte ein entscheidender Beitrag zur Beseitigung der Wasserkrise und zur Versorgung der armen Bevölkerung mit Trinkwasser und Kanalisation geleistet werden.

Auch in Berlin versprühten einige privatwirtschaftliche Vertreter und Vertreterinnen der Idee, dass Privatsektor und marktwirtschaftliche Mechanismen Königswege zur Beseitigung des Hungers seien, ihren „Yes, we can“-Enthusiasmus. Sie fühlten sich sichtlich wohl in der Situation, nicht als böses Agrobusiness attackiert zu werden, sondern als Helfer für die Einlösung des Rechts auf Nahrung umworben zu sein. Ihr Konzept: „Befolgt die Grundsätze des Privatsektors“, so z.B. der Rat von Maggie Kigozi von der Uganda Investment Authority.

Da alle Bauern gleichermaßen Unternehmer seien, lediglich unterschieden durch ihre Größe, so ihre Analyse, würden „alle“ - also Kleinbauern, agroindustrielle Betriebe und exportorientierte Plantagen - das Gleiche brauchen, nämlich Stabilität, Marktzugang, verlässliche Rahmenbedingungen, Anreize, Good Governance, auch ein wenig Regulierung, kurzum: ein günstiges Investitionsklima und Aussichten auf gute Gewinne.

Der private Sektor, so ergänzte Keith Jones den versuchten Schulterschluss zwischen Agroindustrie und Klein- oder gar Subsistenzbauern, biete nicht nur Güter, Dienstleistungen, Kenntnisse und Training, sondern könne auch als Anwalt für die Kleinbauern fungieren. Und im Unterschied zu flatterhaften Regierungen und Entwicklungsprogrammen, so versicherte der Direktor von CropLife International, dem Verband der Agroindustrie, „verschwindet der private Sektor nicht wieder, sondern bleibt“.

* Grenzen der Verantwortung

Dagegen wies der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter (s. auch ???042ae69d960d91f0d???), darauf hin, dass Landwirtschaft ihre „eigene politische Ökonomie“ besitze, dass Land und Wasser nicht nur als „ökonomische Güter“ zu betrachten und zu behandeln seien, und dass marktwirtschaftliche Mechanismen nur eine enge Form von produktivitätssteigernder Effizienz belohnen würde, auf Kosten von sozialen und ökologischen Belangen. Die Transformation der globalen Wertschöpfungsketten im Ernährungssektor, so sein Hinweis auf die ungleichen Interessen von Kleinbauern und Agrobusiness und auf die Übermacht der globalen Agrarindustrie, würden immer mehr Kleinbauern verdrängen. Und Vertragslandwirtschaft als der Kitt, der den Schulterschluss stärken soll, könne zwar durchaus „im gegenseitigen Interesse“ sein, berge aber auch „große Gefahren“ wie Überschuldung und Abhängigkeit. Erforderlich ist daher unter anderem eine Stärkung des wirtschaftlichen Gegengewichts durch Produzenten-Organisationen, zum Beispiel Genossenschaften, und der politischen Einflussnahme durch „Empowerment“ der ländlichen Bevölkerung.

Bei der Frage, wie die Privatwirtschaft zu zügeln sei und negative Auswirkungen großer Investitionen verhindert werden könnten, ist das Mittel der Wahl für Politik und internationale Organisationen allerdings eher die Formulierung von Verhaltensregeln und Richtlinien. Vorschläge liegen auf dem Tisch, wie die Priciples for Responsible Agricultural Investments, die als Antwort auf land grabbing und die dadurch ausgelöste Empörung durch FAO, Weltbank und UNCTAD ausgearbeitet wurden. Sie konkurrieren mit den Voluntary Guidelines on Responsible Governance of Tenure of Land and Natural Resources, die die FAO bereits im Januar 2009 vorschlug und in die zivilgesellschaftliche Organisationen wie FIAN und Via Campesina viele Hoffnungen setzen, obwohl sie nicht bindend sind. Auch UN-Berichterstatter De Schutter legte inzwischen eine Liste von „Kernprinzipien und Maßstäben“ vor, um die menschenrechtlichen Verpflichtungen angesichts der großflächigen Landnahme zu bekräftigen.

Wieweit die Privatwirtschaft am Ende das von den Veranstaltern in sie gesetzte Vertrauen, zu größerer Ernährungssicherheit und zu Fortschritten beim Recht auf Nahrung beizutragen, rechtfertigt, war natürlich in Berlin nicht abschließend zu klären. Klar und unmissverständlich dagegen die Ansage von Maggie Kigozi von der Uganda Investment Authority. Der Suche nach Instrumenten, die sicherstellen sollen, dass privatwirtschaftliche Investitionen „verantwortlich“ sind, stellte sie die privatwirtschaftlichen Realitäten gegenüber – dass der private Sektor nämlich nur dort investiert, wo er den höchsten Profit erwarten kann, und nicht dorthin geht, wohin ihn Regierungen, „nationale Prioritäten“ wie Ernährungssicherheit oder zivilgesellschaftliche Organisationen haben wollen. Und an diesem „Grundsatz des privaten Sektors“ ist bereits der Versuch, die Privatwirtschaft zur Helferin bei der Einlösung des Menschenrechts auf Wasser einzuspannen, gescheitert.

Veröffentlicht: 13.6.2010

Empfohlene Zitierweise: Uwe Hoering, Vereint im Kampf gegen den Welthunger. Mit allen "Stakeholdern" an einem Strang?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 13. Juni 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).