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Versinken die MDGs in einem Schwarzen Loch?

Artikel-Nr.: DE20100831-Art.44-2010

Versinken die MDGs in einem Schwarzen Loch?

Die Haushaltslücken armer Länder nach der Krise

Vorab im Web - Die Finanzkrise hat viele Entwicklungsländer hart getroffen. In den Ländern mit niedrigem Einkommen (LICs) hängt das Schicksal der ärmsten Menschen stark davon ab, welcher Haushaltsspielraum den Regierungen bleibt, um den Kampf gegen die Armut zu finanzieren. Ein neuer Report (s. Hinweis) untersucht die Haushaltssituation von 56 Ländern in den Jahren 2009/2010. Eine W&E-Zusammenfassung.

Der Bericht, den Katarina Kyrili und Matthew Martin von Development Finance International im Auftrag von Oxfam erstellt haben, untersucht erstmals die Budget-Dokumente von 56 LICs, die in den Monaten Juni-Dezember 2009 publiziert wurden, und kann deshalb relativ zeitnah die aktuellen Umsetzungsperspektiven der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) beurteilen.

* Das Ausmaß der Lücke

Ein Hauptergebnis der Studie, die rechtzeitig zum Millennium+10-Gipfel der Vereinten Nationen im September 2010 erschienen ist, lautet: Die Krise hat in den 56 ärmsten Ländern der Welt riesige Haushaltslöcher hinterlassen. 2009 macht diese Lücke insgesamt 53 Mrd. US-Dollar aus. 2010 wird noch einmal mit 12 Mrd. US-Dollar gerechnet, so dass sich das Haushaltsloch in zwei Jahren auf 65 Mrd. Dollar summiert. Gegenüber der Vorkrisen-Situation entspricht dies 2009 einem Rückgang der staatlichen Einnahmen von 60%.

Für fast die Hälfte der LICs wird damit gerechnet, dass sich die staatlichen Einnahmen Ende 2010 immer noch unter dem Niveau von 2008 bewegen werden. Selbst wenn sich die Erholung in den Industrieländern beschleunigen sollte, wird sich an dieser Situation wenig ändern, da sich dies im Süden erst zeitversetzt auswirken wird.

* Die Reaktion der LICs

In deutlichem Gegensatz zu den Reaktionen auf die Asienkrise Ende der 1990er Jahre haben zwei Drittel der untersuchten Länder ihre Haushaltsdefizite erhöht und so einen lobenswerten ersten Beitrag zur Krisenbekämpfung geleistet. Doch nur ein Viertel hat diese fiskalische Konjunkturstimulierung 2010 fortgesetzt. Länder mit IWF-Programmen setzten 2009 mehr Konjunkturprogramme um als andere. Doch lässt sich vorhersagen, dass sie 2010 umso mehr Kürzungen vornehmen werden. Das heißt: Während der IWF zu Beginn der Krise Ausgaben für soziale Sektoren vor Kürzungen schützte, weist er die Länder inzwischen wieder an zu kürzen.
In Lateinamerika, in Afrika und in Ländern mit IWF-Programmen wuchs das Defizit hauptsächlich wegen Ausgabensteigerungen. Drei Viertel der afrikanischen Länder mit IWF-Programmen steigerten 2009 ihre Ausgaben – zumeist zugunsten von Anti-Armutsprogrammen. In anderen Ländern und in Ländern ohne IWF-Programme wurden die Ausgaben stark gekürzt und an die fallenden Staatseinnahmen angepasst.

Aber für das Jahr 2010 ist eine Halbierung der Defizite programmiert, und dies nicht wegen sich erholender oder steigender Einnahmen. In buchstäblich jeder Region – ungeachtet der Existenz oder Nichtexistenz von IWF-Programmen – wird es Ausgabenkürzungen geben. Allerdings kürzen Länder mit IWF-Programmen schneller und drastischer als andere. Die Hälfte der afrikanischen Länder (und 75% der anderen LICs) mit einem IWF-Programm kürzen ihre Ausgaben, obwohl eine massive Steigerung notwendig wäre, um die MDGs bis 2015 noch zu erreichen.

* Auswirkungen auf MDG-spezifische Haushaltsausgaben

Es gab zwar einige Bemühungen, die Ausgaben für MDG-spezifische Sektoren anzuheben, aber insgesamt ist das Bild eher gemischt. Gesundheit war der Liebling, soziale Sicherung das Waisenkind. Auch Infrastruktur und Landwirtschaft konnten von höheren Ausgaben profitieren, doch diese Ausgaben werden 2010 in vielen Ländern wieder gekürzt. Bildung wurde besonders stark vernachlässigt.

Schlimmer noch ist, dass das ursprüngliche Engagement für MDG-spezifische Ausgaben zurückzugehen scheint. Zwei Drittel der Länder kürzen 2010 ihren Haushalt in einem oder zwei der für die Armen prioritären Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft und soziale Sicherung, und das zu einer Zeit, in der sie massiv gesteigert werden müssten.

Afrika hat besser als andere Regionen abgeschnitten und wird Ende 2010 wahrscheinlich in allen Sektoren außer sozialer Sicherheit mehr ausgegeben haben. Mit seinen Ausgaben für Landwirtschaft, Bildung und Infrastruktur wird es, gemessen am Nationaleinkommen, erstmals das Niveau anderer Regionen erreichen. Gleichwohl hinkt Afrika bei Gesundheit und sozialer Sicherung hinter anderen Regionen her. Länder mit IWF-Programm schneiden bei MDG-spezifischen Ausgaben in den Bereichen Landwirtschaft, Bildung und sozialer Sicherung besser ab, aber schlechter in den Bereichen Infrastruktur und Gesundheit.

Was die Einkommenskategorien betrifft, so war die Entwicklung bei Einkommens- und Vermögenssteuern, darunter bei Royalities aus der Rohstoffproduktion, hauptverantwortlich für den Rückgang im Jahr 2009. Bis Ende 2010 dürfte die Krise die Steuerlast jedoch in Richtung indirekter Steuern verschieben, worunter arme Menschen stärker leiden, da sie gezwungen sind, einen höheren Anteil ihres Einkommens für den Konsum auszugeben.

* Reaktion der internationalen Gemeinschaft

Die G20 hatte den armen Länder hohe externe Finanzierungsbeiträge zum Kampf gegen die Krise und die Verwirklichung der MDGs zugesagt, doch diese Versprechen wurden nicht eingehalten. Es gab zwar ein durchschnittliches Wachstum bei Zuschüssen von 4,1 Mrd. Dollar pro Jahr, doch das hat das durch die Krise geschaffene Haushaltsloch nur zu 13% gestopft. In der Konsequenz sahen sich drei Viertel der armen Länder 2009 gezwungen, neue Schulden aufzunehmen, und die Hälfte werden dies 2010 tun müssen. Die meisten dieser Auslandskredite sind günstig, so dass es nur ein geringes Risiko einer neuen Schuldenkrise gibt.

Die meisten LICs könnten in der Tat mehr Kredite zur Beschleunigung der Umsetzung der MDGs aufnehmen. Eines von drei Ländern kann sich mehr Schulden leisten, und zwar sowohl bei externer als auch interner Verschuldung. Doch auch externe Kredite und Zuschüsse haben zusammen nur ein Drittel des fiskalischen Lochs in den LICs stopfen können.

Hinzu kommt, dass es sehr lange, zwischen sechs und 18 Monaten, dauert, bis die Finanzzusagen der G20 bei den internationalen Finanzinstitutionen ankommen. Die Auszahlungen werden weiter verzögert durch das anhaltend hohe Niveau der Konditionalität.

Weil die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die Krise so langsam war, mussten die LICs zwei Drittel ihres Haushaltslochs durch einheimische Kreditaufnahme oder durch die Reduzierung von Währungsreserven decken. Teilweise deshalb und aufgrund der zu niedrigen Entwicklungshilfe sind viele LICs bereits dabei, Ausgaben aus Furcht vor einem untragbaren externen und internen Verschuldungsstand zu kürzen. Dies muss gestoppt werden, außer in sehr wenigen Ländern, in denen es tatsächlich eine Überschuldungsgefahr gibt.

Es gibt wenig Anzeichen dafür, dass es Finanzmittel oder Flexibilität in dem erforderlichen Ausmaß in absehbarer Zeit geben wird. Der jüngste Trend in vielen Geberländern weist auf die Kürzung von Hilfszusagen, auf die Konzentration der Hilfe auf weniger Länder und auf die Fokussierung auf einige wenige MDGs. Der IWF scheint zu seiner traditionellen, restriktiven Haushaltspolitik zurückzukehren, was bedeutet, dass die ärmsten Länder mit IWF-Programmen nach und nach fiskalische Stimuli zurückfahren werden.

Diese Tendenzen müssten dringend umgekehrt werden, indem sich die führenden Politiker auf dem Millennium-Gipfel im September zu weiter gesteckten neuen Entwicklungshilfezielen verpflichten, nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf eine ausgewogenere Verteilung der Mittel nach Regionen und Sektoren. Der IWF müsste seine Flexibilität erhöhen und mehr Spielräume zur Finanzierung der MDGs zulassen.

Wenn es nicht zu derartigen Veränderungen kommt, so warnt die Studie, droht das durch die Krise verursachte Haushaltsloch zu einem „Schwarzen Loch“ zu werden, in dem die MDGs – und mit ihnen all die Leben der ärmsten Menschen der Welt – verschwinden werden.

Hinweis:
* K. Kyrili/M. Martin, The Impact of the Global Economic Crisis on the Budgets of Low-Income Countries, A research report for Oxfam, 42 pp, Development Finance International-Oxfam: London-Oxford, July 2010. Bezug: über www.oxfam.org

Veröffentlicht: 31.8.2010

Empfohlene Zitierweise: Versinken die MDGs in einem Schwarzen Loch? Die Haushaltslücken armer Länder nach der Krise, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 09/2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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