Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Warum der Food-Weltmarkt reguliert werden muss

Artikel-Nr.: DE20100813-Art.40-2010

Warum der Food-Weltmarkt reguliert werden muss

Grassierende Finanzialisierung

Vorab im Web - Mit den derzeit extremen Weizenpreissteigerungen sehen wir möglicherweise den Beginn einer neuen globalen Krise der Nahrungsmittelpreise. Selbst wenn diese nicht so dramatisch werden sollte wie die Krise von 2007/2008, als die Preise der wichtigsten Agrarrohstoffe, von Korn bis Reis, in Rekordhöhen schossen und von Bangladesch bis Haiti Hungeraufstände auslösten, handelt es sich um ein deutliches Zeichen für den gefährlichen Zustand des Weltnahrungsmittelmarktes. W&E dokumentiert einen Kommentar von Joachim von Braun.

Einige Lehren aus den Erfahrungen von 2008 wurden gezogen, aber zu wenig wurde getan, um künftige Krisen zu vermeiden. Insbesondere die Funktionsstörung der Weltgetreidemärkte wurde nicht angegangen – ein Versäumnis, das jetzt die Weltmärkte trifft. Die Bildung der internationalen Nahrungsmittelpreise ist heute das Ergebnis von drei Kräften: Erwartungen in Bezug auf die künftige Angebot-Nachfrage-Situation, die wachsende Rolle der Spekulanten auf den Rohstoffmärkten und die Bedeutung der Nahrungsmittelpreise für die politische Stabilität in Ländern wie Ägypten. Die Länder mit niedrigem Einkommen und die Armen sind heute anfälliger und verwundbarer als vor der letzten Nahrungsmittelkrise.

* Die neue Preiswelle

Der jüngste schnelle Anstieg der internationalen Weizenpreise unterstreicht, was auf dem Spiele steht. In der letzten Woche erlebten die Preise für Weizen-Futures den stärksten Anstieg seit 2008. Die aktuellen Futures-Preise liegen zum ersten Mal seit September 2008 bei über 7 Dollar das Büschel. Die reduzierten Ernteerwartungen in Russland, der Ukraine und einigen Regionen in Westeuropa sind der Auslöser. Russlands Exportverbot für Weizen verstärkte das Risiko von Preissprüngen und unterminiert erneut das Vertrauen in den Nahrungsmittelhandel. Sogar ein geringer Rückgang der Erwartungen in die weltweite Weizenernte, etwa um 3-4%, bewirkt große Preisausschläge.

FAO-Preisindex für Nahrungsmittel


Weizenpreise: 50% Steigerung in Wochen


Was also waren die Lehren der Krise von 2008? Sie war teilweise die Konsequenz einer langjährigen Vernachlässigung der Investitionen in die Landwirtschaft der Entwicklungsländer und wenig durchdachter Subventionspolitiken in den Industrieländern. Sie war sodann ausgelöst durch schlechtes Wetter und wurde verstärkt durch ungeeignete Politiken, wie Exportverbote, Hortung durch Importnationen und Mangel an angemessener Regulierung des Handels mit Rohstoffen.

* Rohstoffmärkte: Eine offene Flanke für die Spekulation

Die Preisbildung an den wichtigsten internationalen Rohstoffbörsen wurde deutlich durch Spekulation beeinflusst, was die Preise nach oben trieb. Nicht nur Nahrungsmittel- und Energiemärkte sind miteinander verflochten, sondern auch Nahrungsmittel- und Finanzmärkte – kurz gesagt: Es gibt eine „Finanzialisierung“ des Nahrungsmittelhandels. Es gibt zunehmend Hinweise, dass ein Teil des Finanzkapitals von der Spekulation mit Immobilien und komplexen Derivaten zur Spekulation mit Rohstoffen, darunter Nahrungsmittel, wechselt. Doch während es in Bezug auf die Finanzmärkte seit kurzem Versuche gibt, die exzessive Spekulation zu regulieren, blieben die Rohstoffmärkte weitgehend unberührt und sind eine offene Flanke für das System, das die Spekulation anzieht.

Eine Nahrungsmittelkrise ist für die relativ Reichen nicht von großer Bedeutung. Doch für die drei Milliarden Menschen ganz unten ist sie eine Katastrophe mit beträchtlichen langfristigen gesundheitlichen Konsequenzen. Die Zahl der unterernährten Menschen hat vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Rezession zugenommen. Die Armen nehmen extreme Preiskrisen nicht mehr ruhig hin, wie die Preissprünge 2008 enthüllt haben. Hungeraufstände folgten auf den 100%igen Preisanstieg – die aktuelle Preisentwicklung bei Getreide machte innerhalb von Tagen halb so viel aus – und beruhigen sich schnell, als die Preise wieder fielen. Die Politiker haben verstanden, wie schnell das Fass überlaufen kann und versuchen deshalb lange bevor dieser Punkt erreicht ist zu handeln.

Heute müssen wir unterscheiden zwischen den notwendigen Maßnahmen, die den nationalen Regierungen vorbehalten werden sollten und denen, die am besten auf internationaler Ebene bearbeitet werden sollten. Die Volatilität der Nahrungsmittelpreise muss auf globaler Ebene angegangen werden. Es ist wesentlich, offenen Handel und transparente, angemessen regulierte Marktinstitutionen sicherzustellen. Deshalb sollten die Transparenz verstärkt und die Spekulationskosten für nichtkommerzielle Händler erhöht werden, z.B. durch die Vorgabe von Kapitaldepotvorschriften. Dennoch wäre der einfache Ausschluss der Nahrungsmittel von den spekulativen Futures-Märkten falsch, da diese Aktivitäten eine nützliche Informationsrolle spielen. Wir brauchen eine verlässliche internationale Reservehaltung. Die G8-Treffen 2008 und 2009 haben dies als eine Option ins Spiel gebracht, aber nicht weiter verfolgt.

Die Funktionsverbesserung der Märkte muss von beschleunigten öffentlichen Investitionen in die Landwirtschaft begleitet werden. China, Indien, Brasilien und Teile Afrikas haben hier seit der Nahrungsmittelkrise von 2008 Sinnvolles geleistet. Auch Unternehmen und Investmentfonds schenken dem Nahrungsmittelanbei mehr Aufmerksamkeit. International koordinierte Politik muss sicherstellen, dass diese Investitionen vernünftig und nachhaltig sind, was gegenwärtig nicht der Fall ist.

* Eine globale Architektur für Agrar- und Nahrungsmittelpolitik

Ausgaben für internationale Agrarforschung und –entwicklung gehören zu den effektivsten Investitionen zur Förderung von Wachstum und Reduzierung der Armut. Doch derzeit sind nicht genügend Mittel vorhanden für die Arbeit an der Front der neuen Wissenschaft. Zugleich brauchen wir internationale Unterstützung für Initiativen, die die Ernährungslage der Kinder in Ländern mit niedrigem Einkommen verbessern.

Schließlich ist die Errichtung einer globalen Architektur für Agrar- und Nahrungsmittelpolitik überfällig. Dem gegenwärtigen System mangelt es an Verantwortung, Effektivität und Innovation. Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit sollten eine prominente Rolle spielen auf dem kommenden Gipfel der G20 (im November in Seoul) und der UN-Konferenz über die Millenniumsziele (im September in New York). Sie müssen da ansetzen, wo die G8 ihre Aufgaben nicht vollendet hat.

© Financial Times

Joachim von Braun
ist Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) an der Universität Bonn und war Generaldirektor des International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington.

Veröffentlicht: 10.8.2010

Empfohlene Zitierweise: Joachim von Braun, Warum der Food-Weltmarkt geguliert werden muss, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 08/August 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

Den Hunger wegregulieren?

Eine Reaktion von Uwe Hoering

Sprunghaft steigende Preise für Getreide wecken Erinnerungen an die Krise vor zwei, drei Jahren, als der „Tortilla-Krieg“ in Mexiko und Hunger-Demonstrationen in zahlreichen weiteren Ländern Schlagzeilen machten. Die Geschichte könnte sich wiederholen, auch wenn die zuständigen Hungerverwalter wie die UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation FAO noch abwiegeln. Um einer neuerlichen Ausweitung der Ernährungskrise zu begegnen, ertönt jetzt immer häufiger der Ruf nach einer Regulierung der globalen Nahrungsmittelmärkte. Was für die Finanzmärkte diskutiert wird, scheint doch für Spekulanten, die mit dem täglich' Brot spielen, erst recht angesagt.

Das klingt radikal, besonders wenn es aus Kreisen kommt, die jahrzehntelang dem freien Handel als Mittel der Wahl gegen den Hunger in der Welt das Wort geredet haben. Es hilft aber leider wenig. Denn erstens stieg die Zahl der Hungernden bereits vor der Krise kontinuierlich, ein deutlicher Hinweis, dass die Ursachen woanders liegen. Außerdem betrifft die Spekulation vor allem den kleinen Teil der Nahrungsmittel, die global gehandelt werden, und damit auch nur einen kleinen Teil der Hungernden. Die meisten von ihnen leben auf dem Land. Ihre Äcker sind zu arm, um genug Lebensmittel zu erzeugen, ihre Löhne zu niedrig, um verfügbare lokale Nahrung zu kaufen. Aber nicht diese schweigende Mehrheit der Hungernden und unzulänglich Ernährten macht der Politik Sorgen, sondern die städtischen Bevölkerungen, die ihre Wut auf die Straßen tragen.

Wichtiger wäre es, mehr Nahrungsmittel zu erzeugen, um der Spekulation den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das wissen auch die, die jetzt nach Regulierung rufen, und fordern mehr Investitionen in den Agrarbereich. Diese müssten vordringlich in die bäuerliche Landwirtschaft fließen, in die Betriebe von Millionen Bäuerinnen und Bauern, die den größten Teil der Nahrungsmittel erzeugen und noch weitaus mehr erzeugen könnten, wenn sie entsprechend unterstützt würden. Hier muss der Kampf gegen Hunger und die Volatilität der Nahrungsmittelpreise ansetzen, nicht erst auf der globalen Ebene, bei der Sumpfblüte der Spekulation.

Stattdessen werden allerdings die Investitionen von Agrarkonzernen und Finanzspekulanten in die industrielle Landwirtschaft gefeiert, die seit einiger Zeit unter dem Stichwort 'Land grabbing' berüchtigt wurden. Auch hier soll ein wenig Regulierung helfen, sie 'vernünftig' und 'nachhaltig' zu machen – dann werde der Hunger schon aus der Welt verschwinden, so die vollmundigen Versprechungen. Doch es ist genau diese globale Agrarindustrie, die den gegenwärtigen Zustand von weltumspannendem Agrarhandel auf der einen Seite, Mangel auf der anderen verursacht hat, indem sie die bäuerlichen Produzenten an die Wand gedrängt oder ganz von ihren Produktionsmitteln getrennt hat. Damit wurde auch der Boden für die Spekulation bereitet, die die Zauberlehrlinge jetzt mit dem Regulierungs-Spruch in die Ecke zurück beordern wollen. Der Ruf nach Regulierung ist folglich gar nicht radikal, da er nicht an die Wurzel geht. Stattdessen wird damit ein modischer Popanz aufgebaut. Obwohl die, die das tun, es eigentlich besser wissen müssten.