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Weltwirtschaftliche Lehren aus der Eurokrise

Artikel-Nr.: DE20100511-Art.24-2010

Weltwirtschaftliche Lehren aus der Eurokrise

Politische Integration oder ökonomischer Zerfall

Nur im Web – Das Hilfspaket für Griechenland und auch der Rettungsschirm für den Euro sind unter Dach und Fach. Das gibt den Ländern an der Peripherie der Eurozone den benötigten Spielraum. Ungewiss bleibt, ob damit eine spätere Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und der anderen Krisenkandidaten abgewendet werden kann. Ungeachtet dessen steht fest, dass das griechische Debakel der EU ein blaues Auge verpasst hat. Ein Kommentar von Dani Rodrik.

In ihrem innersten Kern ist die Krise eine weitere Manifestation des Phänomens, das ich „das politische Trilemma der Weltwirtschaft“ nenne: Wirtschaftliche Globalisierung, politische Demokratie und der Nationalstaat sind nicht miteinander vereinbar. Wir können höchstens zwei gleichzeitig haben. Demokratie ist nur dann mit nationaler Souveränität vereinbar, wenn wir die Globalisierung einschränken. Wenn wir die Globalisierung vorantreiben, während wir gleichzeitig den Nationalstaat beibehalten, müssen wir die Demokratie fallen lassen. Und wenn wir Demokratie zusammen mit Globalisierung wollen, müssen wir den Nationalstaat beiseite schieben und eine stärker internationale Regierungsführung anstreben.

* Das politische Trilemma der Weltwirtschaft

Die Geschichte der Weltwirtschaft verdeutlicht die Funktionsweise des Trilemmas. Das erste Zeitalter der Globalisierung, das bis 1914 andauerte, war so lange erfolgreich, wie Wirtschafts- und Geldpolitik vom innenpolitischen Druck abgeschottet blieben. Diese Politiken konnte dann völlig den Anforderungen des Goldstandards und der freien Mobilität des Kapitals unterworfen werden. Doch sobald das politische Stimmrecht ausgeweitet wurde, organisierte sich die Arbeiterklasse, und Massenpolitik wurde zur Norm, wirtschaftliche Ziele im Inland begannen, mit externen Regeln und Beschränkungen zu konkurrieren (und diese zu bezwingen).

Der klassische Fall ist Großbritanniens kurzlebige Rückkehr zum Gold zwischen den beiden Weltkriegen. Der Versuch, das Globalisierungsmodell aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wiederherzustellen, scheiterte 1931, als sich die britische Regierung aus innenpolitischen Gründen für Reflation im Inland anstelle des Goldstandards entschied.

Die Architekten des Bretton-Woods-Systems behielten diese Lektion im Hinterkopf, als sie das Währungssystem der Welt 1944 neu gestalteten. Sie wussten, dass demokratische Länder Spielraum brauchten, um unabhängig über ihre Geld- und Steuerpolitik zu bestimmen. Daher zogen sie lediglich eine „begrenzte“ Globalisierung in Betracht, bei der die Kapitalströme zum großen Teil auf langfristige Kreditvergabe und Kreditaufnahme beschränkt waren. John Maynard Keynes, der zusammen mit Harry Dexter White die Regeln verfasste, sah Kapitalverkehrskontrollen nicht nur als vorübergehenden Notbehelf an, sondern als ein ständiges Merkmal der globalen Wirtschaft.

* Internationalisierung der Demokratie

Das Bretton-Woods-System brach in den 1970er Jahren zusammen, infolge der Unfähigkeit oder des Unwillens – was von beiden zutrifft, ist nicht ganz klar – der führenden Regierungen, die steigende Flut von Kapitalströmen zu steuern.

Der dritte Weg, den das Trilemma aufzeigt, ist die gänzliche Abschaffung der nationalen Souveränität. In diesem Fall können wirtschaftliche Integration und Demokratie verknüpft werden, indem eine politische Einheit zwischen Staaten geschaffen wird. Der Verlust der nationalen Souveränität wird dann durch die „Internationalisierung“ der Demokratie kompensiert. Dies muss man sich als eine globale Version des Föderalismus vorstellen.

Die Vereinigten Staaten beispielsweise schufen einen einheitlichen nationalen Markt, sobald ihre föderale Regierung den einzelnen Staaten genügend politische Macht entrissen hatte. Das war bei weitem kein reibungsloser Prozess, wie der amerikanische Bürgerkrieg zur Genüge belegt.

Die Schwierigkeiten der EU rühren daher, dass die globale Finanzkrise Europa mitten in einem ähnlichen Prozess erwischt hat. Europas Politiker wussten immer schon, dass eine Wirtschaftsunion auch ein politisches Standbein braucht. Auch wenn einige, wie zum Beispiel die Briten, der EU so wenig Macht wie möglich übertragen wollten, überwogen die Argumente derer, die parallel zur ökonomischen Integration auch die politische Integration forderten. Dennoch blieb das europäische Politikprojekt weit hinter dem Wirtschaftsprojekt zurück.

Griechenland profitierte von einer Gemeinschaftswährung, einheitlichen Kapitalmärkten und dem freien Handel mit anderen EU-Mitgliedsstaaten. Aber es verfügt über keinen automatischen Zugang zu einem europäischen Kreditgeber der letzten Instanz. Seine Bürger erhalten keine Arbeitslosenunterstützung aus Brüssel, wie z. B. die Kalifornier aus Washington D.C., wenn Kalifornien eine Rezession erlebt. Aufgrund der sprachlichen und kulturellen Barrieren können arbeitslose Griechen ebenso wenig einfach über die Grenze hinweg in einen reicheren europäischen Staat ziehen. Zudem verlieren griechische Banken und Firmen zusammen mit ihrer Regierung ihre Kreditwürdigkeit, wenn die Märkte den Staat für insolvent befinden.

Die deutsche und französische Regierung ihrerseits haben, was Griechenlands Haushaltspolitik angeht, wenig zu sagen gehabt. Sie konnten die griechische Regierung nicht davon abhalten, sich (indirekt) Geld von der Europäischen Zentralbank (EZB) zu leihen, solange Kredit-Ratingagenturen griechische Schulden für kreditwürdig hielten. Wenn Griechenland sich entscheidet, seine Schulden nicht zurückzuzahlen, können sie die Forderungen ihrer Banken gegen griechische Kreditnehmer nicht durchsetzen oder griechische Vermögenswerte beschlagnahmen. Ebenso wenig können sie Griechenland davon abhalten, die Eurozone zu verlassen.

* Der Druck der Globalisierung

Das alles bedeutet, dass sich die Finanzkrise als viel tiefer und ihre Behebung als wesentlich chaotischer herausgestellt hat als notwendig gewesen wäre. Die Regierungen Frankreichs und Deutschlands haben widerstrebend ein großes Kreditpaket geschnürt, jedoch erst nach einiger Verzögerung und mit Unterstützung des IWF. Die EZB hat die Kreditwürdigkeitsgrenze gesenkt, die griechische Wertpapiere erreichen müssen, damit Griechenland sich weiter Geld leihen kann.

Der Erfolg der Rettung ist keineswegs sicher, vor allem wenn man bedenkt, wie viel enger die Griechen den Gürtel dafür schnallen müssen und welchen Widerstand dies bei den griechischen Arbeitern hervorgerufen hat. Wenn es hart auf hart kommt, siegt die Innenpolitik über die ausländischen Gläubiger.

Die Krise hat zum Vorschein gebracht, wie schwierig die politischen Voraussetzungen für die Globalisierung sind. Sie zeigt, wie sehr sich die europäischen Institutionen noch weiterentwickeln müssen, um einen gesunden Binnenmarkt zu stützen. Die Entscheidung, vor der die EU steht, ist dieselbe wie in anderen Teilen der Welt: entweder politische Integration oder geringere ökonomische Einheit.

Vor der Krise sah Europa wie ein vielversprechender Kandidat aus, dem ein erfolgreicher Übergang zum ersten Gleichgewicht gelingen könnte – zu mehr politischer Einheit. Jetzt liegt sein Wirtschaftsprojekt in Trümmern, während die Führung, die benötigt würde, um die politische Integration neu zu entfachen, weit und breit nicht zu sehen ist.

Das Beste, was man sagen kann, ist, dass Europa die Entscheidung, die die griechische Affäre ans Licht gebracht hat, nicht mehr länger hinauszögern kann. Wenn man Optimist ist, könnte man sogar zu dem Schluss kommen, dass Europa daher letzten Endes gestärkt aus der Krise hervorgehen wird.

Dani Rodrik ist Professor für Politische Ökonomie an der John F. Kennedy School of Government der Harvard University.

© Project Syndicate

www.project-syndicate.org

Veröffentlicht: 11.5.2010

Empfohlene Zitierweise: Dani Rodrik, Weltwirtschaftliche Lehren aus der Eurokrise, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 11. Mai 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).