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Ägyptens illegitime Schulden

Artikel-Nr.: DE20111017-Art.51-2011

Ägyptens illegitime Schulden

Ein Fall für die Streichung der Auslandsschulden

Nur im Web - Ein Blick auf Ägyptens öffentliche Finanzen zeigt eine verstörende Tatsache: Die Zinsen, die das Land auf seine Auslandskredite zahlt, sind höher als die Haushaltsposten für Bildung, Gesundheit und Wohnungsbau zusammen. Tatsächlich machen diese Kosten für den Schuldendienst allein 22% der gesamten ägyptischen Staatsausgaben aus. Ein Plädoyer von Saifedean Ammous.

Die Auswirkungen sind inzwischen nicht mehr zu ignorieren. Angesichts wachsender politischer Unsicherheit und einer sich verlangsamenden Konjunktur dürften auf Ägypten sinkende Staatseinnahmen, zunehmende Forderungen nach Notausgaben und steigende Zinsen für die staatlichen Kredite zukommen. Dies könnte eine Haushaltskatastrophe herbeiführen – und zwar genau zu dem Zeitpunkt, an dem das Land eine komplizierte politische Übergangsphase zu bewältigen hat.

* Die Schulden der Mubarak-Ära

Ägyptens Staatsschuld beläuft sich auf etwa 80% des Brutteninlandsprodukts (BIP) und liegt also sehr nahe an dem Niveau von 90%, das laut den Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart niedrigeres Wachstum und eine verstärkte Anfälligkeit gegenüber Finanz- und Wirtschaftskrisen bringt. Die Ägypter brauchen nur einen Blick gen Norden – auf die europäische Schuldenkrise – zu werfen, um zu begreifen, dass sie ihr Schuldenproblem jetzt lösen müssen, statt zu warten, bis es griechische Ausmaße annimmt.

Diese Schulden wurden während der 30 Jahre langen Herrschaft des abgesetzten Präsidenten Hosni Mubarak angehäuft. Im Völkerrecht werden Schulden, die ohne Zustimmung des Volkes gemacht und nicht zu seinem Nutzen verwendet werden, als „anrüchig“ bezeichnet und gelten als solche als nicht auf nachfolgende Regime übertragbar. Der Grund hierfür ist einfach und logisch: Wenn jemand in betrügerischer Weise einen Kredit in meinem Namen aufnimmt, wird von mir nicht erwartet, dass ich ihn zurückzahle, und genauso wenig sollte die Bevölkerung eines Landes dies tun, wenn ein sie nicht vertretender Führer in ihrem Namen und zu ihrem Schaden Geld aufnimmt.

Drei Jahrzehnte lang dienten diese Kredite Mubarak und seiner herrschenden Clique allein dazu, sich zu bereichern, während sie das übrige Ägypten verarmen ließen und unterdrückten. Überall gab es Korruption, und nicht nur von der heimlichen Sorte: Häufig wurden öffentliche Gelder unter fadenscheinigem Vorwand wie der „Förderung des Wirtschaftswachstums“ und der „Schaffung von Arbeitsplätzen“ offen verwendet, um bestimmte Unternehmen zu unterstützen. Zusammen mit der Vereinnahmung der Regulierungsbehörden schädigte dies die Wettbewerbsfähigkeit, Marktoffenheit sowie Ägyptens kleine und mittelständische Unternehmen.

* Soll das Volk für seine Unterdrückung bezahlen?

Die Nutznießer dieser Verschwendung sitzen heute zumeist im Gefängnis und warten auf ihren Prozess. Der Rest Ägyptens jedoch spürte dieses Geld nie anders als in Gestalt des stetig wachsenden Staatsapparates, der Mubaraks Herrschaft stärkte, Abweichlertum niederschlug und Millionen unterdrückte. Als sich die Ägypter im Januar gegen Mubarak erhoben, standen ihnen Waffen gegenüber, die mit geborgtem Geld bezahlt worden waren.

Ist es fair, von den Ägyptern zu erwarten, dass sie weiter für die vergangene Unterdrückung und Verelendung durch Mubarak und seine Clique zahlen? Da von dem Geld ganz klar Mubarak profitierte, nicht aber sein Volk, sollte man also nicht Mubarak – anstatt seiner Opfer – dafür zur Verantwortung ziehen?

Die Art des Regimes, das Mubarak führte, war seit vielen Jahren klar erkennbar, und genauso klar war, wie das Geld eingesetzt wurde. Ein umsichtiger Kreditgeber hätte dies in Betracht ziehen sollen, bevor er die Kredite vergab. Also sollten die Banken und internationalen Organisationen, die Mubarak das Geld geliehen haben, die Verantwortung dafür tragen, dass sie sich entschieden, sein Unterdrückungsregime zu finanzieren.

Das neue Ägypten sollte einen klaren Strich gegenüber Mubarak und seinen Kreditgebern ziehen und sie ihre Geschäfte allein regeln lassen, ohne das ägyptische Volk da hineinzuziehen. Die einzige Rolle der ägyptischen Regierung sollte darin bestehen, bei der Liquidierung von Mubaraks Vermögen zu Rückzahlungszwecken zu helfen, sollte diese Notwendigkeit entstehen.

* Sensibilisierung der Kreditgeber

Dies wäre nicht nur fair, sondern würde jenen, die Diktatoren unterstützen, zugleich eine wichtige Lehre erteilen – eine Lektion, die sofortige positive Auswirkungen weltweit haben dürfte. Gläubiger von Unterdrückungsregimen werden dann nicht länger erwarten, dass diese Schulden von deren Nachfolgern bezahlt werden, was die Gläubiger weltweit unmittelbar vorsichtiger machen würde, ihnen etwas zu leihen.

Ein ägyptischer Präzedenzfall würde eine ganze Generation von Kreditgebern, die es nicht gewohnt ist, derartige Risiken in Betracht zu ziehen, und die ggfs. sogar mit der Doktrin illegitimer Schulden nicht vertraut ist, sensibilisieren und derartige Dinge nüchterner betrachten lassen. Unterdrückungsregime würden es schwerer haben, Kredite aufzunehmen, was es ihnen wiederum erschweren würde, ihre Völker zu unterdrücken, und was es verantwortungsvollen legitimen Regierungen erleichtern würde, an wichtige Gelder zu kommen, wenn sie sie brauchen.

* Bruch mit fiskalischer Verantwortungslosigkeit

Die Übertragung der Haftung für die Auslandsschulden an Mubarak dürfte für Ägypten langfristig keine negativen wirtschaftlichen Folgen haben. Die Maßnahme wäre nicht als Schritt hin zu fiskalischer Verantwortungslosigkeit zu verstehen, sondern als einmaliger Bruch mit dieser. Mit einer kleineren Schuldenlast und niedrigeren Zinszahlungen würde sich Ägyptens Haushaltslage erheblich verbessern, und die Risiken für das Wirtschaftswachstum würden zurückgehen. Die resultierende Vorsicht ausländischer Kreditgeber würde künftige ägyptische Regierungen daran hindern, ihrer Bevölkerung in unverantwortlicher Weise Schulden aufzulasten.

Vielleicht noch wichtiger wäre, dass die Tage der Aufnahme von Krediten zum Aufbau eines großen Staatssicherheitsapparates damit vorbei wären – und zwar weltweit. Zum Wohle der Ägypter und der unter Tyrannei lebenden Menschen überall auf der Welt muss die ägyptische Regierung jetzt eine mutige Haltung einnehmen.

Saifedean Ammous ist Gastwissenschaftler am Center for Capitalism and Society der Columbia University und lehrt Ökonomie an der Lebanese American University.

© Project Syndicate

Veröffentlicht: 17.10.2011

Empfohlene Zitierweise: Saifedean Ammous, Ägyptens illegitime Schulden, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 17. Oktober 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)