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Afrika: Good Governance oder Entwicklungsstaat?

Artikel-Nr.: DE20110408-Art.22-2011

Afrika: Good Governance oder Entwicklungsstaat?

UN-ECA versus Weltbank

Vorab im Web - Afrika hat im letzten Jahrzehnt eindrucksvolle Wachstumsraten verzeichnet. Dies veranlasst viele Beobachter, Afrika an der Schwelle des wirtschaftlichen „take off“ zu sehen, ähnlich wie China und Indien vor 20 bis 30 Jahren. Die Frage ist, wie nachhaltig dieser Aufschwung ist bzw. wie nachhaltig er gestaltet werden kann. Die Antworten der UN-Wirtschaftskommission für Afrika und der Weltbank fallen unterschiedlich aus. Von Jörg Goldberg.

Afrika boomt. Wenn das rohstoffbasierte Wachstum anhält, ist „Afrika bereit, die am raschesten wachsende Region des 21. Jahrhunderts zu werden“, so die UN-Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) und die Afrikanische Union (AU) in ihrem neuen Economic Report on Africa (s. Hinweis). Seit etwa zehn Jahren verzeichnet der Kontinent wirtschaftliche Wachstumsraten zwischen 5 und 6% jährlich, nur kurz unterbrochen durch die Krise 2008/09. Die wichtigste Triebkraft ist die Förderung nicht erneuerbarer Rohstoffe; aber auch Telekommunikation (Handys) und einige Dienstleistungen boomen. Die finanzielle Situation vieler Regierungen hat sich verbessert, was u.a. die Verfünffachung der Devisenreserven Subsahara-Afrikas (von 30 auf 150 Mrd. US-Dollar) zwischen 2003 und 2011 deutlich macht.

* Triebkräfte und Ursachen des afrikanischen Booms

Bis zu diesem Punkt stimmen die Aussagen der AU/ECA und der neuen Afrika-Strategie der Weltbank (s. Hinweis) weitgehend überein. Aber schon bei der Frage nach den Ursachen fallen die Antworten unterschiedlich aus. Für die ECA stehen die Effekte der höheren Rohstoffpreise und der Boom der nicht erneuerbaren Rohstoffe im Vordergrund, auch wenn Verbesserungen der politischen Rahmenbedingungen ebenfalls eine Rolle spielen. Die Weltbank dagegen hält „kluge makroökonomischer Politik und finanzielle Unterstützung durch multilaterale Entwicklungsagenturen“ für den Hauptfaktor. Der Anstieg der Rohstoffpreise wird in diesem Kontext noch nicht einmal erwähnt, obwohl an anderer Stelle die Abhängigkeit von wenig beschäftigungsintensiven Rohstoffexporten durchaus als Problem benannt wird.

Diese unterschiedlichen Akzente sind durchaus relevant, denn die Autoren des ECA-Reports halten die neoliberalen Reformen der Strukturanpassungsära für die Hauptursache der lang anhaltenden Stagnationsperiode von 1973 bis 2000, welche die dynamische Expansion von 1960 bis 1972 beendete und die Handlungsfähigkeit der afrikanischen Staaten nachhaltig beschädigte. Die Weltbank dagegen begreift den gegenwärtigen Boom als Ergebnis der in den 1980er und 1990er Jahren praktizierten Reformen.

* Unzureichende Diversifizierung als Herausforderung

Beide Dokumente sehen in der „nicht-diversifizierten Produktionsstruktur“ der meisten afrikanischen Ökonomien Risiken und Herausforderungen, allerdings geht nur die ECA ins Detail: Die durch den aktuellen Boom akzentuierte Abhängigkeit von der Förderung nicht-erneuerbarer Rohstoffe macht Afrika extrem abhängig von deren Verfügbarkeit (natürliche Ressourcen sind endlich), setzt den Kontinent spekulativ überhöhter Preisvolatilität aus und macht das Wachstum „jobless“.

Die mit dem Rohstoffboom verbundenen Chancen stehen gleichwohl sowohl für die Weltbank als auch die ECA im Vordergrund. Entscheidend für die Nachhaltigkeit des gegenwärtigen Aufschwungs ist, dass es zu einer Diversifizierung der Wirtschaft und so zu einer Verminderung der Verletzlichkeit gegenüber Krisen kommt. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Handlungsfähigkeit der Regierungen gestärkt wird: „Governance und Handlungsfähigkeit des öffentlichen Sektors sind die Grundlagen der Strategie“, findet die Weltbank, während die ECA feststellt, dass der erforderliche Strukturwandel nur gelingen kann, „wenn der Staat seine zentrale Rolle im Entwicklungsprozess erfüllt“.

* Gegensätzliche Konzepte

Obwohl WB und ERA beide „governance“ für den entwicklungspolitischen Schlüssel halten, fallen die Lösungsansätze inhaltlich denkbar unterschiedlich aus, und zwar in doppelter Hinsicht. Für die Weltbank ist Regierungsschwäche letzten Endes ein technisches Problem: Die Stärkung demokratischer Elemente und eine bessere Ausbildung der politischen Führer könnten das afrikanische Governance-Problem lösen. Folge der unzureichenden Regierungsführung sind „restrictive business regulations“ und schlechte Infrastrukturen einerseits und politische Instabilität, Korruption und Fragilität vieler Staaten andererseits.

Für den ERA dagegen geht es um ein neues Staatsverständnis, nämlich um den Aufbau eines „Entwicklungsstaates“, der in der Lage ist, Entwicklung nicht nur zu planen, sondern auch zu steuern. Dieser Staat müsse vor allem eine handlungsfähige Bürokratie besitzen, die gegenüber den widerstreitenden sozialen Interessen eine gewisse Unabhängigkeit besitzt. Seine Aufgabe sei u. a. die gezielte Förderung einer „nationalen Bourgeoisie“, welche die bisherige Abhängigkeit von „ausländischen Geschäftsinteressen“ vermindern kann.

Hier stehen sich zwei gegensätzliche Entwicklungskonzepte gegenüber: Der Weltbank geht es um einen Staat, der in der Lage ist, stabile politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu setzen; direkte staatliche Interventionen zur Beeinflussung der Produktionsstruktur müssen begrenzt bleiben, werden allerdings nicht völlig abgelehnt. Die ECA dagegen ist der Ansicht, dass der für nachhaltige Entwicklung notwendige Strukturwandel durch den Staat aktiv gestaltet werden muss. Dabei verweisen die Autoren sowohl auf die historischen Erfahrungen Europas wie auf die aktuellen Beispiele aus Asien und Lateinamerika: In allen Fällen standen unterschiedlich ausgestaltete Entwicklungsstaaten im Mittelpunkt der Wachstumsprozesse.

* Rolle der Außenwirtschaft

Dass dies nicht bloß theoretische Debatten sind zeigt beispielhaft die Behandlung der außenwirtschaftlichen Beziehungen. Obwohl die internationale Wirtschaftsverflechtung im Zentrum des gegenwärtigen Booms steht, wird die Frage der Außenwirtschaftspolitik von der Weltbank nicht berührt. Mit der Ausklammerung dieser Frage bleiben alle drei Kernelemente der Weltbank-Strategie aber unvollständig: Sowohl die beiden „Pfeiler“ der Strategie – Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung einerseits und Verletzlichkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen andererseits - als auch die „strategische Grundlage“ – Regierungsführung und Kapazität des öffentlichen Sektors – betreffen ganz zentral die Frage der Regulierung und Regulierbarkeit der außenwirtschaftlichen Beziehungen.

Bislang ist es keinem Land und keiner Region der Weltgeschichte gelungen, einen eigenständigen Entwicklungsweg einzuschlagen, ohne die Außenbeziehungen gestalten zu können. Die notwendige Diversifizierung der Produktionsstrukturen wird kaum gelingen, ohne die Einflüsse des Weltmarkts abfedern zu können. Die in der Weltbank-Strategie enthaltenen (sicher beachtenswerten) Empfehlungen zum Ausbau der Infrastrukturen, zur Verbesserung des Investitionsklimas und zur Erhöhung des Ausbildungsniveaus hängen ohne eine entsprechende außenwirtschaftliche Absicherung in der Luft.

Die ECA dagegen sieht in den gegenwärtigen internationalen Handelsregeln eine Ursache für die Zementierung der bestehenden einseitigen afrikanischen Exportstrukturen und fordert mehr afrikanische Mitsprache in den internationalen Organisationen. Besondere Gefahren werden in den Verhandlungen über die Europäischen Partnerschaftsabkommen (EPA) gesehen: Diese könnten die afrikanischen Staaten zu überstürzter Liberalisierung des Austauschs mit Europa zwingen und so die Bemühungen für mehr regionale Integration in Afrika konterkarieren. Angesichts der Enge der nationalen Märkte hängt der Aufbau einer verarbeitenden Wirtschaft aber ganz entscheidend vom Erfolg der regionalen Integration ab. Rohstoffe, Handys und Finanzdienstleistungen können das immer drängender werdende Problem der Unterbeschäftigung nicht lösen.

Das Konzept des Entwicklungsstaats, wie im diesjährigen ECA-Report skizziert, erscheint wenig kompatibel mit den Grundrezepten des Washington Consensus, die in der Afrika-Strategie der Weltbank wiederum einen – allerdings etwas modifizierten – Ausdruck finden. Die ECA-Autoren sind bemüht, diesen Widerspruch zu übertünchen; sie erkennen nach zwei Jahrzehnten Strukturanpassungspolitik mit katastrophalen Folgen für die Handlungsfähigkeit der Staaten heute eine „zunehmende Anerkennung der Tatsache, dass der Staat unabdingbar ist bei der Umsetzung von Entwicklungsplänen und –politiken“. In der Afrika-Strategie der Weltbank muss man solche Ansätze jedoch mit der Laterne suchen.

Hinweise:
* United Nations Economic Commission for Africa/African Union, Economic Report on Africa 2011: Governing Development in Africa – The Role of the State in Economic Transformation, 147 pp, ECA: Addis Ababa 2011. Bezug: über www.uneca.org
* World Bank, Africa Region: Africa’s Future and the World Bank’s Support to It, 46 pp, Washington DC, March 2011. Bezug: über www.worldbank.org

Veröffentlicht: 7.4.2011

Empfohlene Zitierweise: Jörg Goldberg, Afrika: Good Governance oder Entwicklungsstaat? UN-ECA versus Weltbank, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, Hintergrund April 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).