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Der griechischen Tragödie vorletzter Akt?

Artikel-Nr.: DE20110613-Art.34-2011

Der griechischen Tragödie vorletzter Akt?

Alternativen zum mittelalterlichen Aderlass

Nur im Web – Die Krisenpolitik in der Eurozone erinnert stark an die medizinische Standardbehandlung des Mittelalters, den Aderlass. Das Prinzip dahinter: Wenn’s beim ersten Mal nicht funktioniert, probieren wir es solange, bis es wirkt – oder der Patient stirbt. In der Medizin wurde diese Methode erst zwei Jahrhunderte, nachdem ihre Unwirksamkeit bewiesen wurde, abgestellt. Auch in der Wirtschaftspolitik lässt man sich nicht so leicht davon abbringen, kommentiert Werner Raza.

Die Europäische Zentralbank (EZB) lehnt im Verbund mit mächtigen EU-Ländern wie Frankreich, aber im Gegensatz zur deutschen Regierung, eine Umschuldung Griechenlands (und damit implizit auch anderer Länder wie Irland oder Portugal) vehement ab. Sie schützt damit ganz unverhohlen die Interessen der privaten Gläubiger, aber auch sich selbst vor den Bilanzverlusten, die im Fall eines griechischen Schuldenschnitts auftreten würden. Lediglich einer Verlängerung der Laufzeiten der griechischen Anleihen, sofern die betroffenen privaten Gläubiger zustimmen, steht sie offen gegenüber.

* Verschärfung der Austeritätspolitik

Zudem droht sie, bei einem griechischen Staatsbankrott die Finanzierung des von ihr abhängigen griechischen Bankensystems einzustellen. Damit soll eine Verschärfung der griechischen Austeritätspolitik erzwungen werden. Nach einem ersten drastischen Sparpaket, mit dem das griechische Haushaltsdefizit innerhalb eines Jahres um satte 5% des BIP gesenkt wurde, wird nun ein neuerliches Spar- und Privatisierungspaket im Ausmaß von 78 Mrd. € als alternativlos für eine Lösung des griechischen Schuldenproblems dargestellt. Nur zur Erinnerung: Staatliches Sparen bedeutet weitere Lohn- und Rentenkürzungen und weniger Geld für Bildung, Gesundheit und Soziales in einem der ärmsten Länder der EU.

Das neue Krisenprogramm, wie es jetzt in einem Interimsbericht der sog. Troika aus EU, EZB und IWF formuliert wurde, erinnert stark an die medizinische Standardbehandlung des Mittelalters, den Aderlass. Nur: Statt Aderlass ist in der Wirtschaftspolitik von „radikaler Austerität“ (vulgo: kaputtsparen) die Rede. Die Hartnäckigkeit, mit der sich dabei folgenschwere Vorurteile unter WirtschaftspolitikerInnen halten, ist nicht nur frappierend, sondern brandgefährlich.

Das größte Vorurteil ist nach wie vor, dass eine Staatschuldenkrise nur durch konsequentes Sparen der öffentlichen Haushalte zu lösen sei. Irrtum: Ein Staat ist kein privates Individuum. Wenn der Staat sich, d.h. seinen Bürgern und den sozial Schwachen, ein hartes Sanierungsprogramm verordnet, sinkt die Wirtschaftsleistung und infolgedessen die Steuereinnahmen, die Staatsschuldenquote steigt, das Defizitreduktionsziel wird nicht erreicht. In der nächsten Runde werden die Staatsausgaben, d.h. vor allem die Ausgaben für Soziales, Bildung und Gesundheit erneut gekürzt, die Steuern nochmals erhöht. Ersteres erhöht die soziale Verelendung, letzteres belastet die ohnehin dahinsiechende Wirtschaft und den Konsum.

* Industriepolitische Initiative statt Rosskur

Die Hoffnung, dass durch eine solche Rosskur früher oder später die Produktionskosten soweit abgesenkt werden können, dass die Volkswirtschaft wieder international wettbewerbsfähig ist, ist nicht ganz unberechtigt. Sie setzt aber voraus, dass es überhaupt Produkte und Dienstleistungen gibt, die im Ausland auch nachgefragt werden. In Griechenland ist das, vom Tourismus, wenigen Agrarprodukten sowie dem hauptsächlich von Steuerparadiesen aus agierenden Reedereiwesen abgesehen, nicht der Fall.

Um die Exporte zu steigern, was angesichts der strukturellen Importüberschüsse des Landes dringend notwendig wäre, bräuchte es eine langfristig orientierte industriepolitische Initiative. Das ist ohne zusätzliche Geldmittel für Investitionen in Forschung, Bildung und Technologie nicht zu machen.

Man könnte einwenden, dass das geplante Privatisierungsprogramm dringend benötigtes Geld in die griechischen Kassen spülen wird. Richtig, aber viel zu wenig und nur mit erheblicher Verzögerung. Die verlangten 50 Mrd. € im Fall von Griechenland sind reines Wunschdenken. Welcher Investor wird Griechenland angesichts der Misere einen fairen Preis zahlen wollen? Zudem braucht Griechenland das Geld schnell, und hat keine Zeit für lange Verhandlungen. Für Schnäppchenjäger ist das ein gefundenes Fressen. Die innenpolitischen Spannungen für den Fall, dass wie angekündigt türkische Unternehmen Kaufangebote für griechische Schlüsselinfrastruktur abgeben, kann man sich schon jetzt lebhaft ausmalen.

Die Konsequenzen eines solchen Ausverkaufs wird langfristig die griechische Bevölkerung zahlen müssen, in Form schlechterer und teurerer öffentlicher Dienstleistungen. Die Schuldenkrisen in Lateinamerika, Afrika und Asien während der 1980er und 90er Jahre mit ihren zahlreichen Privatisierungen öffentlicher Dienste halten hierfür reiches Anschauungsmaterial bereit.

* Vom Bankrott der Griechen zur Implosion der Eurozone?

Fazit: Ein Land kann sich aus einer Schuldenkrise nicht heraus sparen. Was Griechenland bevorsteht, wenn EU und IWF eine Radikalisierung der Sparpolitik durchsetzen, ist eine „verlorene Dekade“ mit Massenarbeitslosigkeit, sozialer Verelendung und politischer Instabilität. Auch ein Bankenrun in der nahen Zukunft ist durchaus möglich. Das politische System Griechenlands wird – genauso wenig wie andere demokratische Gemeinwesen in Europa – eine solche Krise innerhalb der EU nicht lösen können. Der letzte Akt der griechischen Tragödie wäre dann ein – chaotischer – Austritt aus der Eurozone samt Staatspleite. Domino-Effekte auf andere Krisenstaaten in der EU wären die Folge. Die dann wahrscheinliche Implosion der Währungsunion würde auch in den starken Euroländern wie Deutschland oder Österreich zu einem Wirtschaftseinbruch führen, zusätzlich zu den dann zu realisierenden Verlusten aus einer griechischen Staatspleite.

Dass eine solche Katastrophe vermieden werden muss, sickert offenbar nur langsam ins Bewusstsein der EU-Wirtschaftspolitiker. Selbst wenn daher Griechenland die benötigte zweite Finanzierungslinie von EU und IWF bekommt, wäre aber nur Zeit gekauft. Das grundlegende Problem, dass Griechenland auf einem Schuldenberg sitzt, den es nicht zurückzahlen kann, wird damit nicht gelöst. Zudem gilt: Mit jedem EU-Hilfspaket wird ein immer größerer Teil der griechischen Außenschuld von privaten zu öffentlichen Gläubigern, d.h. in letzter Instanz auf die EU-Bürger, umgeschichtet.

* Europäisches Investitionsprogramm plus Abbau der Ungleichgewichte

Wollen die EU-BürgerInnen als Gläubiger der griechischen Staatsschuld verhindern, dass sie qua griechischer Staatspleite zur Kasse gebeten werden, müssen die strukturellen Probleme der Krisenländer wie Griechenland, darüber hinaus aber der Währungsunion insgesamt, angegangen werden. Zur Bekämpfung der strukturellen Probleme in der europäischen Peripherie müsste ein auf mindestens zehn Jahre angelegtes europäisches Investitionsprogramm implementiert werden, in der Größenordnung von rund 1% des EU-BIPs, d.h. rund 120 Mrd. € pro Jahr.

Kern des Programms wären Investitionen in Bildung und Forschung, die ökologische Modernisierung der Wirtschaft, und den Aufbau einer soliden industriellen Basis. Im Gegenzug sollte von den Krisenländern die sozial ausgewogene Erhöhung der Steuereinnahmen (Stichwort: progressive Einkommens- und Vermögenssteuern) und der Aufbau eines leistungsfähigen öffentlichen Dienstes verlangt werden. Die Finanzierung eines solchen Programms sollte über die Ausgabe europäischer Anleihen geschehen. Das bedeutet kurzfristig mehr Schulden und den Einstieg in die Transferunion, aber es ist der einzig gangbare Weg, um die virulenten Herausforderungen der europäischen Integration solidarisch zu gestalten.

Der zweite zentrale Aspekt im Hinblick auf das langfristige Funktionieren der Währungsunion betrifft die Rolle der Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen. Nur wenn Deutschland, Niederlande, Österreich & Co. bereit sind, mehr aus den Schuldnerstaaten zu importieren und insgesamt ihr Wachstumsmodell stärker auf die Inlandsnachfrage zu stützen, kann ein nachhaltiger Abbau der Ungleichgewichte in der Währungsunion gelingen. Drittens braucht es eine Harmonisierung der Unternehmenssteuern und eine Koordinierung der Lohnpolitik, die sich an der Formel Zielinflationsrate der EZB plus nationaler Produktivitätszuwachs orientiert.

Auch wenn es für die skizzierte solidarische Politik keine Erfolgsgarantie gibt, muss man sich im Klaren sein, dass der herrschende Politikansatz unweigerlich in die Desintegration und Re-Nationalisierung Europas führt. Dies der europäischen Politik und Öffentlichkeit klar zu kommunizieren, ist das Gebot der Stunde.

Dr. Werner Raza ist Ökonom und Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) in Wien.

Veröffentlicht: 13.6.2011

Empfohlene Zitierweise: Werner Raza, Der griechischen Tragödie vorletzter Akt? Alternativem zum mittelalterlichen Aderlass, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 13. Juni 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)