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Der jüngste Kapitalexportboom in den Süden

Artikel-Nr.: DE20110503-Art.19-2011

Der jüngste Kapitalexportboom in den Süden

Vom Überschwang zur Panik?

Nur im Web - Massenhaft werden Finanzmittel von den USA und anderen Industrieländern nahezu zinsfrei zur Verfügung gestellt, um ihre schwächelnden Ökonomien anzukurbeln. Doch stattdessen befeuern sie den Boom der Kapitalflüsse in die Entwicklungsländer und den Boom der Rohstoffpreise. Beides hat inzwischen destabilisierende Effekte auf viele Entwicklungsländer. Und beides wird ebenso platzen wie vorherige Blasen, nur mit weitaus schädlicheren Folgen, schreibt Martin Khor.

Vor diesem Hintergrund sind sowohl internationale Regulierungs- als auch nationale politische Maßnahmen dringend erforderlich, um diesen Boom-Bust-Zyklus zu kontrollieren. Das sind die Schlüsselergebnisse eines neuen Forschungspapiers des South Centres mit dem Titel „Kapitalflüsse in Entwicklungsländer aus historischer Perspektive: Wird der aktuelle Boom im Bust enden?“ (s. Hinweis). Der Autor ist Yilmaz Akyüz, Chefökonom des Centers, der die Kernpunkte Mitte März bei den Vereinten Nationen in Genf vorstellte. Auch Supachai Panitchpakdai, Generalsekretär der UNCTAD, kommentierte das Papier ausführlich.

* Destabilisierung der Entwicklungsländer

Akyüz sagte, dass im Rahmen der interventionistischen Politik in den Industrieländern, insbesondere den USA, große Mengen Liquidität nahezu zinsfrei durch Regierungen oder Zentralbanken zur Verfügung gestellt werden. Die derzeitige 600 Mrd. US-Dollar umfassende „quantitative Lockerung“ durch die nordamerikanische Federal Reserve ist ein wichtiges Beispiel.

Allerdings ermöglichten diese Maßnahmen zur Erhöhung der Geldmenge kein stabiles und starkes Wachstum in den Industrienationen. Stattdessen wurden die Geldmittel auf der Suche nach höheren Renditen hauptsächlich in spekulative Kapitalflüsse in die Entwicklungsländer und auf die Rohstoffmärkte gelenkt. Das hat – über den Wechselkursmechanismus und die Anlage-, Kredit- und Rohstoffmärkte – destabilisierende Effekte für die Entwicklungsländer und bedroht deren Wachstum und Stabilität.

Darüber hinaus wird das Kapital voraussichtlich schon bald in umgekehrter Richtung fließen – sehr zum Schaden der Entwicklungsländer. Deshalb ist ein effektives Management dieser Kapitalflüsse für die Entwicklungsländer unverzichtbar, um in den globalen wirtschaftlichen Turbulenzen überleben zu können.

Reale Nettokapitalflüsse in Entwicklungsländer


Das Papier geht den Boom-und-Bust-Zyklen der Kapitalflüsse der Nachkriegszeit nach, beginnend mit dem ersten Zyklus, der in den späten 1970ern begann und mit der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 1980ern endete. Der zweite Boom begann in den frühen 1990ern und endete mit der Ostasienkrise. Der dritte Boom begann Anfang des neuen Jahrtausends und endete mit dem Kollaps von Lehman Brothers im September 2008. Jedoch war diese letzte Krise nur von kurzer Dauer, und ein vierter Boom startete bereits in der zweiten Jahreshälfte von 2009 und setzt sich nun mit voller Kraft fort.

* Gemeinsame Merkmale der Zyklen

Obwohl sich diese Zyklen in Erscheinungsform und Ziel unterscheiden, haben sie auch gemeinsame Merkmale. Die Boomphasen sind durch eine rapide Erhöhung der Liquidität und geringe Zinssätze in den Hauptreservewährungen charakterisiert, vor allem in den USA. Die Krisen werden durch eine Verschärfung der Kreditbedingungen, durch einen steigenden Dollar-Zinssatz und eine Stärkung des Dollars katalysiert. In den Empfängerländern gibt es eine Verschlechterung der makroökonomischen Konditionen, die meist durch die Effekte der Kapitalzuflüsse selbst bedingt sind.

Im derzeitigen Boom, der Mitte 2009 begonnen hat, wurde die quantitative Lockerung in den USA und Europa (mit der staatliche Gelder in das Bankensystem gepumpt werden) nicht hauptsächlich in einheimische Kreditexpansion übersetzt, sondern von den nach höheren Renditen suchenden Investoren in die Entwicklungsländer umgeleitet – dies deshalb, weil die Zinssätze dort höher sind. Auf diese Art und Weise wurde der „carry trade“, d.h. Kreditaufnahme in einer Währung mit geringem Zinssatz und Anlage in einer Währung mit höheren Zinsen, ermutigt, und es erfolgte ein Umschwung in der Risikoerwartung von den Industrieländern hin zu den Entwicklungsländern mit besseren Wachstumsaussichten.

Es gibt drei nachteilige Effekte, die auf den plötzlichen Anstieg der Kapitalzuflüsse in Entwicklungsländer zurückzuführen sind:

* Ihre Wechselkurse stiegen signifikant an, wodurch ihre Exporte an Wettbewerbsfähigkeit verloren und ihre Zahlungsbilanz beeinträchtigt wurde. Paradoxerweise war die Aufwertung bei Ländern mit Leistungsbilanzdefizit – wie Indien, Brasilien, Südafrika und der Türkei – am stärksten.

* In einigen Ländern gibt es einen Anstieg kurzfristiger privater Schulden, die eine erhöhte Gefahr der Zahlungsunfähigkeit von Firmen mit sich bringt, wenn die Aufwertung zurückgenommen wird.

* Die Schaffung von spekulativen Blasen, da Aktienkurse parallel zu den Kapitalflüssen steigen. Dabei besteht das Risiko einer harten Landung, wenn das Kapital wieder abgezogen wird.

* Tandem aus Kapitalboom und Rohstoffhausse

Das Papier zeigt außerdem, dass sich die Rohstoffpreise – gekoppelt an Kapitalflüsse – ebenfalls zyklisch verhalten. Auch dieser Rohstoffzyklus ist in gleicher Weise durch die Liquidität beeinflusst, die von den Industrienationen und durch die Suche der Investoren nach höheren Gewinnen gespeist wird. Das Papier verweist zusätzlich auf die Finanzialisierung der Rohstoffmärkte (s. W&E 02/2011), auf denen die Investitionen in den Indexhandel zwischen 2003 und 2010 von 13 auf 320 Mrd. US-Dollar anstiegen.

Ferner veranschaulicht das Papier eine starke Korrelation zwischen Fluktuationen privater Kapitalflüsse und Rohstoffpreisen einerseits und einem umgekehrten Verhältnis zwischen dem Wert des Dollars und den Rohstoffpreisen andererseits.

Im Rückblick auf die historische Entwicklung vorhergegangener Zyklen, prognostiziert das Papier, dass sowohl der Kapital- als auch der Rohstoffboom platzen werden. Dies könnte durch eines von drei Szenarien hervorgerufen werden: eine abrupte Geldverknappung in den USA; eine Geldverknappung oder langsameres Wachstum in China; und durch eine Zahlungsbilanz- oder Finanzkrise in einem der großen Schwellenländer.

* Politische Optionen der Entwicklungsländer

Das Papier untersucht drei politische Optionen für Entwicklungsländer, wie sie die Flut von Kapitalflüssen managen könnten: eine Intervention am Devisenmarkt und dessen „Sterilisation“; die Liberalisierung und Förderung von Kapitalabflüssen durch Inländer; und Kapitalverkehrskontrollen. Während das Papier auf die Einschränkungen und Nachteile der ersten beiden Optionen verweist, unterstreicht es besonders die Notwendigkeit von Kapitalverkehrskontrollen.

Von einigen Ländern ergriffene Maßnahmen haben deshalb nicht funktioniert, weil sie unangemessen waren; z.B. sind niedrige Steuern auf Kapitalzuflüsse nicht ausreichend, um diese zu verhindern, wenn das Zinsgefälle hoch ist und die Währung aufgewertet wird. Deshalb besteht die Notwendigkeit direkter Beschränkungen privater Auslandskredite und des Zugangs von Ausländern auf die einheimischen Wertpapiermärkte.

Das Papier kommt zu dem Schluss, dass Kapitalverkehrskontrollen ausreichend effektiv sein und etwas bewegen können – wenn sie entschlossen umgesetzt werden. Zielstrebiges Handeln der Entwicklungsländer ist erforderlich, um Kapitalflüsse zu kontrollieren – Zu- und Abflüsse gleichermaßen. Sie sollten nicht zulassen, dass ihre Währung und Leistungsbilanz außer Kontrolle gerät.

Unterdessen ist es darüber hinaus notwenig, die internationale Finanzarchitektur zu reformieren und dadurch die Systeminstabilität zu reduzieren. Die Reformen beinhalten die Regulation internationaler Kapitalflüsse (auch in den Herkunftsländern), die Regulation des Futures-Handels von Rohstoffen und eine Reform des Systems von Währungsreserven und Wechselkursen.

Hinweis:
* Yilmaz Akyüz, Capital Flows to Developing Countries in a Historical Perspective: Will the Current Boom End With a Bust?, 52 pp, Research Paper 37, South Centre: Geneva, March 2011. Bezug: über www.southcentre.org

Martin Khor ist Direktor des South Centres in Genf.

Veröffentlicht: 25.3.2011

Empfohlene Zitierweise: Martin Khor, Der jüngste Kapitalexportboom in den Süden. Vom Überschwang zur Panik?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 20.3.2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).