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Deutsche Bank & Co. verschärfen Welthunger

Artikel-Nr.: DE20111018-Art.52-2011

Deutsche Bank & Co. verschärfen Welthunger

Wie Finanzspekulanten Nahrungsmittelpreise treiben

Nur im Web - Die Spekulation mit Agrar-Rohstoffen treibt Nahrungsmittelpreise in die Höhe. Investmentbanken wie die Deutsche Bank und Goldman Sachs sowie die Verwalter von Versicherungen, Pensionsfonds und Stiftungen machen sich dadurch mitschuldig an Hungersnöten in den ärmsten Ländern der Welt. Das belegt der Report „Die Hungermacher“, den Harald Schumann für die Verbraucherorganisation foodwatch schrieb. Eine W&E-Zusammenfassung.

Schumann bestreitet nicht, dass ein gewisses Maß an Spekulation nützlich ist: Um Planungssicherheit zu erhalten, schließen z.B. Agrarhändler Verträge („Futures“) über Warenlieferungen zu einem festen Preis und einem festen Termin in der Zukunft ab. Spekulanten, die kein Interesse an einer Warenlieferung haben, aber mit solchen Futures auf steigende oder fallende Preise wetten, führen dem Markt Liquidität zu und tragen somit zur Preisstabilität bei. Bis zur Jahrtausendwende wurde das Gros der Future-Verträge von Produzenten und Verarbeitern geschlossen, um sich dadurch gegen Preisschwankungen abzusichern.

* Nach der Dotcom-Blase…

Nach dem Platzen der „Dotcom-Blase“ haben Banken jedoch spekulative Rohstoff-Papiere ausgegeben und massiv beworben. Sie gelten als sichere Anlage, da das Angebot begrenzt ist und die Nachfrage angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung zunimmt. Die große Deregulierung um die Jahrtausendwende hat den Rohstoff-Handel für institutionelle Anleger wie Index-Investoren attraktiv gemacht. Sie haben kein Interesse an Preisstabilität für den physischen Rohstoffhandel, sondern nur an langfristiger Rendite. Gleichzeitig wurden dadurch die Rohstoffbörsen an die Entwicklung der Finanzmärkte gekoppelt: Faktoren wie Zinshöhe, Risikobereitschaft oder fallende Aktienkurse treiben die Preise für Rohstoffe, unabhängig von Angebot und Nachfrage der physischen Ware.




Mittlerweile hat das das Ausmaß der Spekulation überhandgenommen. So lag der Anteil der zu rein spekulativen Zwecken gehaltenen Weizen-Kontrakte an der Chicagoer Börse (CBOT) bis 1999 bei 20-30% – heute beträgt er bis zu 80%. Anleger haben bislang 600 Mrd. Dollar an den Rohstoffbörsen investiert – das entspricht etwa einem Zehntel des Wertes aller weltweit gehandelten Aktien. Dabei ist die Zahl der gehandelten Futures völlig unabhängig von den verfügbaren Mengen der physischen Ware und überschreitet diese um ein Vielfaches. So betrug zum Beispiel das Volumen der gezeichneten Futures auf Weizen der Sorte „Soft Red Winter“ in Chicago im März 2011 rund 76 Mio. Tonnen – das entspricht dem 8,5-fachen der Jahresernte von rund 9 Mio. Tonnen.

* Die Preise von morgen machen die Preise von heute

Es gibt erdrückende Belege dafür, dass der Future-Preis, also der Kurs der nächst-fälligen Kontrakte für eine nur virtuelle Rohstofflieferung, die Preise auf den Spotmärkten beeinflußt, wo diese Rohstoffe tatsächlich gehandelt werden. Getreidebauern verkaufen ihre Ware in der Gegenwart zum Future-Preis – einen niedrigeren Preis zu verlangen, wäre ökonomisch unsinnig, für einen höheren Preis würden sie dagegen keine Käufer finden. Wissenschaftliche Auswertungen der in den USA erhobenen Börsendaten zeigen, dass die anwachsende Kapitalanlage auf den Rohstoffmärkten Getreide, Speiseöl und Benzin über lange Phasen von bis zu einem Jahr um bis zu 25% Prozent verteuert.

Durch spekulative Anleger hat auch die Volatilität zugenommen, also Ausmaß und Frequenz der Preisschwankungen. So schwankten die Preise für Weizen-Futures in Chicago bis 2004 in der Regel nur um bis zu 30% übers Jahr – seit dem Einstieg der Indexfonds sind Ausschläge von bis zu 70% gang und gebe.

Indexfonds missbrauchen den Handel mit Rohstoff-Futures für die Kapitalanlage. Sie spekulieren auf langfristig steigende Preise und investieren daher nur in Kaufkontrakte („longonly“). Dadurch sorgen sie für eine künstliche, virtuelle Nachfrage, die die tatsächlichen Preise für die Rohstoffe steigen lässt.

* Banken haben kein Interesse an Regulierung

Sie profitieren über Gebühren immer und ohne jedes Risiko von der Spekulation mit Nahrung, unabhängig davon, wie sich die Preise entwickeln und ob ihre Kunden mit den Papieren Gewinn oder Verlust machen. Wie lukrativ Rohstoffspekulation ist, zeigt auch die Tatsache, dass Finanzkonzerne wie Morgan Stanley, JP Morgan, Goldman Sachs oder die Deutsche Bank in den physischen Rohstoffhandel eingestiegen sind und Tanker, Pipelines und Lagerhäuser betreiben.

Auch Wetten auf Öl treiben Nahrungsmittelpreise nach oben. Dass der Ölpreis in hohem Maße durch Spekulation und nicht allein durch Angebot und Nachfrage beeinflusst wird, gilt als unbestritten. Die Ölpreise aber schlagen durch Ausgaben für Treibstoff und Mineraldünger direkt auf die Kosten der Getreideproduktion und -vermarktung durch.

Steigende Preise verursachen Hunger. Wenn Menschen in den ärmsten Ländern 80% ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen, können sie bei Preissteigerungen Nahrung nicht mehr bezahlen. Die Weltbank schätzt, dass während der Hochpreisphase 2007/08 an die 100 Millionen Menschen zusätzlich Hunger litten, weil sie die höheren Preise nicht mehr bezahlen konnten. Und 2011 lagen die Preise für die drei wichtigsten Getreidesorten Weizen, Mais und Reis im weltweiten Durchschnitt inflationsbereinigt um 150% über denen im Jahr 2000.

Das Handeln der Banken steht im Widerspruch zu ihren selbst-postulierten Ansprüchen. So bezeichnet es die Deutsche Bank in ihrem CSR-Report als „Priorität“, „sozial und ökologisch möglichst verantwortungsvoll zu handeln“.

Und: Angesichts der Belege für die schädliche Wirkung der Nahrungsmittelspekulation ist die europäische Politik sogar verpflichtet, aktiv zu werden: Das Vorsorgeprinzip ist Teil des europäischen Grundrechts (Lissabon-Vertrag) – es schreibt bereits bei Hinweisen auf Gefahren für Leib und Leben vorsorgendes Handeln vor.

* Foodwatch-Kampagne

In einem Offenen Brief an Josef Ackermann, als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank Chef einer der größten Investmentbanken der Welt und als Präsident des Weltbankenverbandes IIF zugleich oberster Lobbyist der Finanzwirtschaft, forderte foodwatch:
+ Die Deutsche Bank soll mit gutem Beispiel voran gehen und aus der Spekulation mit Nahrungsmitteln aussteigen.
+ Die Bankenlobby soll sich effektiver staatlicher Regulierung nicht länger widersetzen, sondern aktiv Regulierungen unterstützen, um den schädlichen Einfluss von Nahrungsmittelspekulationen zu verhindern.

Unter dem Motto „HÄNDE WEG VOM ACKER, MANN!“ startete foodwatch unter www.haendeweg-vom-acker-mann.de zudem eine E-Mail-Aktion an Josef Ackermann, bei der Verbraucher diese Forderungen unterstützen können.

* Forderungen an die Politik

1. Einführung wirksamer Positionslimits:
Der Einfluss der Finanzanleger auf die Preisentwicklung von Rohstoffen muss zurückgedrängt werden. Dazu muss die absolute Zahl der zum Zweck der Spekulation geschlossenen Warenterminverträge auf maximal 30% aller gehandelten Futures begrenzt, das heißt, es müssen Positionslimits definiert werden. Der amerikanische Kongress hat mit der im Juli 2010 verabschiedeten Reform der Finanzmarktgesetze die zuständige Aufsichtsbehörde bereits beauftragt, solche Positionslimits zu erlassen. Eine vergleichbare Gesetzgebung gibt es dagegen in der Europäischen Union bisher nicht. Die anstehende Reform der EU-Richtlinie über die Märkte
für Finanzinstrumente (MiFID) eröffnet aber die Möglichkeit, solche Positionsgrenzen auch an den europäischen Rohstoffbörsen zwingend vorzuschreiben. foodwatch fordert daher die Bundesregierung auf, sich dem Votum des Europäischen Parlaments anzuschließen und gegenüber der EU-Kommission und den Regierungen der übrigen EU-Staaten auf die Einführung von wirksamen Positionslimits für den Handel mit Rohstoff-Futures zu dringen.

2. Ausschluss institutioneller Investoren vom Rohstoffgeschäft: Ob Positionsgrenzen allein die Spekulation ausreichend zurückdrängen, ist keineswegs sicher. Um sie wirksam einzusetzen, müssen die Aufsichtsbehörden klar unterscheiden können, welche Transaktionen nur für spekulative Zwecke gezeichnet werden und welche der Preissicherung für den Handel mit der physischen Ware dienen. Diese Unterscheidung wird zusehends schwieriger, weil auch Finanzkonzerne wie Morgan Stanley, Deutsche Bank oder Goldman Sachs mittlerweile in den physischen Handel eingestiegen sind, während Ölkonzerne wie Shell und BP sowie die großen Getreidehandelsunternehmen Cargill, Bunge und ADM ihrerseits auch im Geschäft mit spekulativen Finanzanlagen auf dem Rohstoffmarkt operieren. Darum ist es notwendig, zusätzlich auch die Kapitalquellen für die Rohstoffspekulation trockenzulegen. Die größten Anlagen zeichnen Pensionsfonds, Versicherungen und die Verwalter von Stiftungsvermögen. Foodwatch fordert die EU-Kommission und die Bundesregierung daher auf, die ohnehin bestehenden Auflagen für solche institutionellen Investoren durch ein Verbot der Anlage in Rohstoffderivaten zu
ergänzen.

3. Publikumsfonds und Zertifikate für Rohstoffe verbieten: Nicht minder fragwürdig sind die Publikumsfonds und zahllosen Zertifikate, welche die Finanzindustrie für individuelle Anleger aufgelegt hat, um diese an der Rohstoffspekulation zu beteiligen. Diese „Exchange Traded Funds“ (ETF) und „Exchange Traded Notes“ (ETN) leiten mehr als 100 Mrd. Dollar und Euro auf die Rohstoffmärkte, ohne irgendeinen volkswirtschaftlichen Nutzen zu erzeugen. Stattdessen beteiligen sie Hunderttausende von Anlegern an einem ethisch und rechtlich unhaltbaren Wettspiel, das für die Armutsbevölkerung in vielen Ländern der Welt verheerende Folgen hat. foodwatch fordert die Gesetzgeber in Europa auf, den Emittenten von Rohstofffonds und -zertifikaten zumindest die Anlage in Agrar- und Energierohstoffen zu verbieten.

4. Banken müssen auf Nahrungsmittelspekulation verzichten: Die großen Banken wie Goldman Sachs und Deutsche Bank waren die entscheidenden Akteure bei der Einführung von Rohstoff-Indizes und tragen mit den verschiedensten Rohstofffonds und anderen Angeboten zu den schädlichen Preissteigerungen an den Rohstoffbörsen bei. foodwatch fordert, dass die großen Finanzinstitutionen ihrer selbst postulierten gesellschaftlichen Verantwortung, „ … sozial und ökologisch möglichst verantwortungsvoll zu handeln ...“ (Deutsche Bank, CSR-Bericht 2010), gerecht werden. foodwatch fordert die großen Banken auf, als ersten, vorsorglichen Schritt auf die Spekulation mit Nahrungsmittelrohstoffen wie Soja, Mais und Weizen in ihren Angeboten zu verzichten.

Hinweise:
* Harald Schumann, Die Hungermacher. Wie Deutsche Bank, Goldman Sachs & Co. auf Kosten der Ärmsten mit Lebensmitteln spekulieren, 88 S., foodwatch: Berlin 2011. Bezug: über www.foodwatch.de
* Thilo Bode, Offener Brief an Josef Ackermann, unter: www.foodwatch.de
Veröffentlicht: 18.10.2011

Empfohlene Zitierweise: W&E-Zusammenfassung, Deutsche Bank & Co. verschärfen Welthunger, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 18. Oktober 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)