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Die EU-Debatte um die Finanztransaktionssteuer

Artikel-Nr.: DE20110801-W&E08-2011

Die EU-Debatte um die Finanztransaktionssteuer

Eine gute Idee setzt sich durch

Vorab im Web – „Eine idiotische Idee!“ So hatte Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Mundell die Tobin-Steuer einst bezeichnet. Inzwischen hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso angekündigt, im Herbst eine Richtlinie zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT) – eine erweiterte Variante der Tobin-Steuer – in der EU vorzulegen. Die Finanzkrise und ihre Fortsetzung in Gestalt öffentlicher Verschuldung machen es möglich. Das EU-Projekt analysiert Peter Wahl.

Noch Anfang März hatte sich der für Steuerfragen zuständige EU-Kommissar, Algirdas Semeta, mit dem Europaparlament angelegt, weil dieses sich für die Einführung der FTT in der EU ausgesprochen hatte. Eine solche Steuer sei nur weltweit machbar, deshalb sei es „angesichts der möglichen Auswirkungen auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit verantwortungslos, eine solche Steuer einzuführen“, bevor nicht alle Folgen bedacht worden wären.

* Die Eckpunkte des EU-Vorschlags

Inzwischen hat Semeta seine Meinung geändert, wobei seine Lernfähigkeit vor allem auf den Druck der Regierungen in Paris und Berlin zurückgehen dürfte. Die Bundesregierung will die Steuer und hat Einnahmen in Höhe von 2 Mrd. € sogar schon in die Haushaltsplanung 2013 eingestellt. Auch Frankreich ist für die FTT auf EU-Ebene, ebenso Österreich, Belgien und Griechenland. Daher wurde im vergangenen Jahr bei der Kommission eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die jetzt fertig ist und sich derzeit in der kommissionsinternen Abstimmung befindet. Die Eckpunkte sind durch mehrere Stellungnahmen von Barroso und Semeta bekannt geworden.

Die Hauptbotschaft lautet: Die FTT ist machbar, auch dann, wenn sie nur in der EU eingeführt wird. Die EU soll eine Vorreiterrolle übernehmen. Darüber hinaus soll die Diskussion um die FTT in der G20 weiter vorangetrieben werden.

Bei der Ausgestaltung der Steuer sind einige Punkte überraschend positiv, andere weniger gut ausgefallen. Als Steuerbasis werden vorgeschlagen: (a) Aktien, (b) Anleihen und (c) Derivate von Aktien und Anleihen. Das bedeutet, dass der Handel mit Devisen sowie mit allen anderen Derivaten, außer der von Aktien und Anleihen, nicht besteuert werden soll. Das ist eine Schwäche des Vorschlags.

Gerade der nicht erfasste Anteil des Derivatehandels ist der Löwenanteil des Derivategeschäfts überhaupt. Da im Zuge der Finanzmarktreformen auch der außerbörsliche Derivatehandel durch zentrale Clearingstellen erfasst werden wird, sollte dieses Segment unbedingt besteuert werden. Andernfalls würde die Möglichkeit vertan, den größten Teil des Spekulationsgeschäfts zu erfassen, sowie beträchtlich höhere Einkünfte zu erzielen. Allerdings hat Semeta in einem Interview angedeutet, dass möglicherweise noch eine Einbeziehung des Devisenhandels möglich sein könnte.

* Überraschend lernfähig

Der Steuersatz soll gesplittet werden. Für Aktien und Anleihen sind 0,1% vorgesehen. Das ist überraschend hoch. Das Wiener WIFO-Institut, auf dessen Arbeiten sich auch die zivilgesellschaftliche Kampagne für die FTT stützt, hatte einen Satz von 0,05%, also die Hälfte, ins Auge gefasst.

Für die Derivate von Aktien und Anleihen schlägt die Kommission 0,01% vor. Das ist dagegen fünfmal weniger, als der Satz des WIFO-Instituts. Allerdings könnte sich auch bei den Steuersätzen nach Aussage Semeta bis zur endgültigen Entscheidung der Kommission noch etwas ändern. In welche Richtung wird freilich davon abhängen, woher der meiste Druck kommt.

Positiv ist, dass die Kommission den Nominalwert des Underlying der Derivate besteuern will. D.h. also z.B. bei einem Aktienfuture wird der Wert der Aktie zugrunde gelegt, und nicht der des Futures, der meist bei einem Satz von 3% bis 5% der Aktie liegt. In einem Papier aus der Kommission vom September 2010 war allenfalls der Wert des Derivats als diskutabel bezeichnet worden.

Die Einnahmen schätzt die Kommission bei der von ihr angenommenen Steuerbasis auf etwas über 30 Mrd. €. Falls Devisentransaktionen einbezogen würden, wären es ca. 50 Mrd. Euro. Zum Vergleich: die Entwicklungshilfe aus den EU-Mitgliedsländern betrug 2010 zusammen ca. 51 Mrd. €.

Überraschenderweise erkennt die Kommission auch die Lenkungswirkung der FTT an, insbesondere beim computergestützten High Frequency Trade. Dabei wird mit Transaktionen im Nanosekundenbereich auf winzigste Kursschwankungen in Größenordnungen eines Hundertstel Prozents spekuliert. Durch die FTT würde ein Großteil der Transaktionen unrentabel. Damit ist die FTT auch der Einstieg in die Bearbeitung des Kernproblems der globalisierten Finanzmärkte: die Eindämmung der Spekulation. In den Worten der UNCTAD: „Nichts außer der Schließung des großen Kasinos wird ein dauerhafte Lösung bringen.“

* Pferdefüße des Barroso-Vorschlags

Furore hat der Vorschlag Barrosos für die Verwendung der Steuereinnahmen gemacht. Der Kommissionschef möchte, dass sie in das EU-Budget fließen. Von einer Zweckbindung für Armutsbekämpfung und Umwelt, wie sie von der Zivilgesellschaft gefordert wird, ist nicht die Rede.

Barrosos Vorschlag wäre ein Einschnitt in der Geschichte der EU. Er bedeutete einen enormen Transfer von nationalstaatlicher Souveränität auf die EU-Ebene. Die Steuerhoheit ist neben dem Gewaltmonopol die tragende Säule von Staatlichkeit. Die machtpolitischen Karten in der Union würden mit einer EU-Steuer neu gemischt. Die Verwirklichung des Vorschlags wäre ein großer Schritt hin zu mehr Integration.

Die meisten Mitgliedsländer sind dazu nicht bereit. Als „dead on arrival“ wurde der Vorschlag daher bezeichnet. Die Bundesregierung hat dann prompt auch begrüßt, dass die Kommission sich für die FTT ausgesprochen hat, besteht aber darauf, dass die Einnahmen in Schäubles Kasse fließen.

Auch in der Zivilgesellschaft ist der Vorschlag umstritten. So wird z.B. eingewandt, dass nach zwei Jahrzehnten exzessivem Neoliberalismus weitere Integrationsschritte nur dann akzeptabel sind, wenn sie zu einem sozialen Europa und zur Demokratisierung der EU beitrügen. Integration als solche sei kein Selbstzweck.

Die deutsche Kampagne „Steuer gegen Armut“, in der von Attac über EED, DGB Misereor, Oxfam bis WEED über 70 Organisationen mitmachen, hat sich für eine nationalstaatliche Verwendung der Steuereinnahmen ausgesprochen, weil hier die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Entscheidungsträger besser sind als in der Brüsseler Maschinerie. Da das deutsche Steuerrecht eine Zweckbindung von Steuern verbietet, hat sich im Bundestag bereits eine fraktionsübergreifende Initiative, vor allem aus Entwicklungspolitikern gebildet, die mit einem informellen Gentleman’s Agreement dafür sorgen will, dass ein Teil der Einnahmen in Klimaschutz und Armutsbekämpfung fließen. Aus der Bundesregierung gibt es Signale, dass sie sich darauf einlassen könnte.

Barroso weiß natürlich auch, dass sein Vorschlag für die Verwendung chancenlos ist. Ihm geht es darum, Verhandlungsmasse in die laufenden Verhandlungen um den EU-Haushalt einzubringen.

* Politische Endrunde im Herbst

Wenn die Kommission ihre Richtlinie im Herbst auf den Weg bringt, geht es in die Endrunde im Kampf um die FTT. Offen ist noch, ob die Londoner City ihrer Regierung erlaubt, der Steuer zuzustimmen. Insofern ist das Rennen noch nicht endgültig gelaufen. Allerdings haben Paris und Berlin dann immer noch die Option, das Projekt in der Euro-Zone allein zu implementieren. Und dort reicht ja, wie in letzter Zeit immer wieder deutlich wurde, eine spezielle Variante qualifizierter Mehrheit, nämlich Frankreich und Deutschland. Insofern stehen die Chancen der FTT sehr gut.

Peter Wahl ist Mitarbeiter von Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED).

Veröffentlicht: 1.8.2011

Empfohlene Zitierweise: Peter Wahl, Die EU-Debatte um die Finanztransaktionssteuer. Eine gute Idee setzt sich durch, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 1. August 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)