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Die Grüne Ökonomie - Topthema 20 Jahre nach Rio

Artikel-Nr.: DE20110125-Art.07-2011

Die Grüne Ökonomie - Topthema 20 Jahre nach Rio

Ein politisches Konzept mit Fallstricken

Nur im Web - Die Grüne Ökonomie entwickelt sich als ein bedeutsames – aber auch kontrovers diskutiertes – Konzept, das eine Rolle in der internationalen Umweltdebatte dieses Jahr spielen wird, insbesondere bei den Vereinten Nationen (UN), die für nächstes Jahr eine Konferenz zu Umwelt und Entwicklung organisieren. Diesen Monat nahm Martin Khor in New York an einer Podiumsdiskussion zum Thema teil, zusammen mit dem Leiter des UN-Umweltprogramms, Achim Steiner, und anderen.

Die Grüne Ökonomie ist zum Leitmotiv des Rio-Plus-20-Gipfels geworden, der im nächsten Jahr in Brasilien stattfinden wird, um den 20. Jahrestag der historischen UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) zu begehen, besser bekannt als Rio-Gipfel von 1992.

* Eine simple Idee?

Auf den ersten Blick erscheint die Grüne Ökonomie als eine einfache Idee, deren Zeit gekommen ist. Sicherlich wollen wir alle die natürlichen Ressourcen bewahren und Umweltverschmutzung und Treibhausgasemissionen minimieren. Gibt es eine bessere Methode als eine Wendung hin zu Grüner Ökonomie? Trotzdem gibt es bisher weder eine wissenschaftliche Übereinkunft, wie sich eine Grüne Ökonomie erreichen lässt, noch existiert ein internationaler Konsens darüber, was der Begriff überhaupt bedeutet und wie der Weg dahin aussehen könnte.

Die Grüne Ökonomie macht den Eindruck einer umweltfreundlichen Wirtschaft, sensibel für die Notwendigkeit, natürliche Ressourcen zu bewahren. Sie könnte eine Ökonomie sein, die während des Produktionsprozesses nur minimale Emissionen ausstößt, die die Umweltverschmutzung gering hält sowie umweltfreundliche Lebensstile und Konsummuster fördert.

Die komplizierten Fragen hingegen sind, ob die Realisierung einer solchen Ökonomie andere Aspekte behindert, z.B. das Wirtschaftswachstum armer Länder oder soziale Ziele, wie die Ausrottung der Armut und Schaffung von Arbeitsplätzen. Wie identifizieren wir diese Konflikte und wie gehen wir mit ihnen um? Was ist die Rolle des Staates und was ist der geeignete Weg, den Markt und den privaten Sektor anzusprechen? Wie können wir eine umweltfreundlichere Wirtschaft aufbauen, und wie sollten wir den Übergang zu einer grüneren Ökonomie bewältigen?

* Vorgaben aus Rio

Der Rio-Gipfel hat diese Fragen bereits teilweise beantwortet, indem er einen grundlegenden Rahmen bereitgestellt hat: Umwelt muss in Entwicklung integriert werden und darf nicht gesondert behandelt werden. Demzufolge darf der erforderliche Umweltschutz nicht auf Kosten des Rechts der Entwicklungsländer auf Entwicklung durchgesetzt werden.

Diesem Konflikt entsprang das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung mit seinen drei Säulen Umweltschutz, wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Es beinhaltet neben der Notwendigkeit internationaler Strategien und Maßnahmen, insbesondere des Finanz- und Technologietransfers, auch die Unterstützung der Entwicklungsländer auf dem Weg zu einem nachhaltigen Entwicklungspfad.

Der Rio-Gipfel etablierte das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung. Die reichen Länder – sie tragen schließlich am meisten zur globalen Umweltzerstörung bei – sind in der Pflicht, die Führung zu übernehmen, indem sie ihr eigenes Wirtschaftsmodell umkrempeln. Überdies sollten sie den Entwicklungsländern die Finanzen und Technologien zur Verfügung stellen, die diese zur Umstellung auf ein umweltfreundliches System benötigen.

Die Entwicklungsländer möchten das Konzept der Grünen Ökonomie innerhalb des Rio-Konzepts der Nachhaltigen Entwicklung platziert sehen – und dieses dabei nicht ersetzen. Während sie die positiven Aspekte der sich entwickelnden Grünen Ökonomie anerkennen, weisen sie gleichzeitig auf ihre Risiken hin.

* Risiken für den Süden

Die erste Gefahr ist, dass Grüne Ökonomie auf eindimensionale Weise definiert wird und so allein Umweltbelange gefördert werden, während die Dimensionen von Entwicklung und Gleichheit völlig aus den Augen verloren werden.

Das zweite Risiko besteht darin, dass ein One-size-fits-all-Ansatz eingeschlagen wird, der alle Länder gleich behandelt. Das führt zu Misserfolgen, entweder im Bereich Umwelt, bei der Entwicklung – oder sogar auf beiden Gebieten. Der Entwicklungsgrad und das Entwicklungsstadium eines Landes müssen vollauf berücksichtigt werden.

Das dritte Risiko besteht darin, dass Grüne Ökonomie von einigen Ländern unzweckmäßig als protektionistisches Instrument des Handels genutzt wird. Insbesondere reiche Länder könnten dies nutzen, um unilaterale Handelsmaßnahmen gegen Produkte aus Entwicklungsländern zu rechtfertigen – oder um Standards zu verhängen, denen ansonsten nicht zugestimmt wurde.

Ein viertes Risiko liegt darin, dass Grüne Ökonomie als neue Konditionalität für Entwicklungsländer benutzt wird – in Bezug auf Entwicklungshilfe, Kredite, Umschuldung und Schuldenerlass. Dies könnte betroffene Entwicklungsländer unter Druck setzen, eindimensionale ökologische Maßnahmen zu übernehmen, anstatt auf nachhaltige Entwicklungsstrategien zu setzen. Weitere Problemstellungen bezogen auf Grüne Ökonomie beinhalten die Rolle des öffentlichen und privaten Sektors sowie Regulations- und Marktmechanismen.

Es existiert eine lange und ausgedehnte Debatte über diese Fragen. Viele betrachten die Umweltkrise als Ergebnis und Zeichen des Marktversagens. Ein sich selbst überlassener privater Sektor bzw. Markt habe zum Raubbau an den Ressourcen, zu Umweltzerstörung und Treibhausgasemissionen geführt, welche die Umweltkrise charakterisieren.

Folglich ist die Regulation des privaten Sektors entscheidend. Regulationsmechanismen wie zum Beispiel Beschränkungen von Schadstoffbelastungen und Emissionen, Pestiziden in Nahrung, Wasserkontamination und der Einsatz von Umweltsteuern und Geldstrafen werden deswegen als entscheidende politische Instrumente gesehen. Sie sollten die zentralen bzw. Hauptkomponenten sein, um die Grüne Ökonomie voranzutreiben.

* Marktvertrauen oder Regulierung des Privatsektors?

Stattdessen gibt es einen zunehmenden Trend in Richtung Marktvertrauen – Unternehmen und Staaten können über ihr aufgetragenes Maß hinaus die Umwelt verschmutzen, indem sie Schadstoff- oder Emissionszertifikate von anderen Firmen oder Ländern kaufen.

Solche Märkte zum Kauf und Verkauf von Emissionsrechten werden in Entwicklungsländern als Alternative für Unternehmen oder Staaten gesehen, selbst adäquat handeln zu müssen – sie erlauben, die Verantwortung an andere abzugeben. Dies führt zunehmend zu Kritik.

Während einerseits ein Interesse an Preismechanismen, Steuern und Gebühren für den Auto-Zugang in Innenstädten besteht, gibt es andererseits eine Debatte über die Angemessenheit von Märkten für Emissionslizenzen und deren Effekte. Diskutiert wird auch die Aufrechnung dieser Freigaben in der Realisierung ökologischer Verbindlichkeiten.

Schlussendlich gibt es viele Herausforderungen, denen sich Entwicklungsländer gegenüber sehen, wenn sie ihre Ökonomien umweltfreundlicher gestalten wollen. Dies sollte nicht den dringenden Versuch unterbinden, ökologische Elemente in ökonomische Entwicklung einzugliedern. Die diversen Hindernisse sollten bedacht werden und Entwicklungsländer internationale Unterstützung erfahren. Die Konditionen dafür müssen so angelegt werden, dass es für Staaten – insbesondere für Entwicklungsländer – möglich wird, den Weg zu einer Grünen Ökonomie zu beschreiten.

Somit stellt sich eine eigentlich simpel erscheinende Idee – die Grüne Ökonomie – tatsächlich als komplexes Thema heraus, insbesondere dann, wenn versucht wird, sie in Politikvorgaben umzusetzen oder wenn sie zum Gegenstand internationaler Verhandlungen wird. Wir werden mehr über dieses Konzept und die Debatte darum hören.

Martin Khor ist Direktor der South Centres in Genf. Der Artikel erscheint hier in der Reihe „Die Sicht des Südens“. Übertragung aus dem Englischen: Sarah Hellmerichs.

Veröffentlicht: 25.1.2011

Empfohlene Zitierweise: Martin Khor, Die Grüne Ökonomie - Topthema 20 Jahre nach Rio, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 25.1.2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).