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Die IWF-Bilanz von Dominique Strauss-Kahn ...

Artikel-Nr.: DE20110522-Art.30-2011

Die IWF-Bilanz von Dominique Strauss-Kahn ...

… und die Grenzen der Reform

Nur im Web – Jetzt, da Dominique Strauss-Kahn von seiner Position als Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds zurückgetreten ist, macht es Sinn, einen objektiven Blick auf sein Erbe zu werfen. Bis zu seiner Verhaftung wegen versuchter Vergewaltigung wurde er weithin dafür gelobt, den IWF verändert, seinen Einfluss gesteigert und mit einer Politik gebrochen zu haben, die nach Ansicht der Kritiker den Entwicklungsländern schwer geschadet hatte. Was ist dran, fragt Mark Weisbrot.

Strauss-Kahn übernahm die Führung des IWF im November 2007, als dessen Einfluss auf dem Tiefpunkt war. Die ausstehenden Kredite zu diesem Zeitpunkt beliefen sich gerade mal auf 10 Mrd. Dollar, im Gegensatz zu 91 Mrd. Dollar vier Jahre zuvor. Zum Zeitpunkt seines Rücktritts hatte sich diese Zahl wieder auf 84 Mrd. Dollar erhöht, wobei das bereits vereinbarte Kreditvolumen dreimal höher war. Das Gesamtkapital des IWF hatte sich vervierfacht – von 250 Mrd. Dollar auf nie dagewesene eine Billion Dollar. Der IWF verfügt jetzt über Ressourcen so hoch wie niemals zuvor – im Wesentlichen als Ergebnis der Finanzkrise und der globalen Revolution 2008/2009.

* Comeback des IWF …

Wichtig sind freilich die Einzelheiten dieses Wandels. Erstens war der Zusammenbruch des IWF-Einflusses in der Dekade vor 2007 eine der wichtigsten Veränderungen des internationalen Finanzsystems seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Modells mit fixen Wechselkursen im Jahre 1971. Vor dem Jahre 2000 stand der IWF an der Spitze eines mächtigen Gläubigerkartells, das in der Lage war, vielen Regierungen in den Entwicklungsländern die zentralen Linien der Wirtschaftspolitik zu diktieren, wobei nicht nur mit der Verweigerung der Kredite des Fonds, sondern auch weiterer, oft größerer Gläubiger wie der Weltbank, regionalen Kreditgebern oder sogar des privaten Sektors gedroht werden konnte.

Dies machte den Fonds nicht nur zum wichtigsten Einflussinstrument der US-Regierung in den Ländern mittleren und niedrigen Einkommens – von Ruanda bis Russland – sondern auch zum zentralen Protagonisten der neoliberalen „Reformen“, die seit Mitte der 1970er Jahre die Weltwirtschaft veränderten. Diese Reformen fielen mit einem scharfen Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums in der großen Mehrheit der Länder mittleren und niedrigen Einkommens für mehr als 20 Jahre zusammen, der seinerseits mit verringertem Fortschritt bei sozialen Indikatoren, wie Lebenserwartung und Kindersterblichkeit einher ging.

* … bei anhaltender Distanz der Schwellenländer

Das große Comeback des IWF während der globalen Rezession brachte allerdings nicht die Rückkehr der Mitteleinkommensländer, die ihm den Rücken gekehrt hatten, in seinen Einflussbereich. Die meisten dieser Länder Asiens, Lateinamerikas oder Russland blieben auf Distanz und bauten stattdessen ausreichende Finanzreserven auf, um nicht erneut das Geld des Fonds leihen zu müssen – auch nicht während der Krise. Im Ergebnis war selbst eine armes Land wie Bolivien in der Lage, seine Ölindustrie zu nationalisieren, seine Sozialausgaben und öffentlichen Investitionen zu steigern und sein Rentenalter von 65 auf 58 Jahre zu senken – Dinge, die es niemals hätte tun können, wenn es wie in den 20 Jahren zuvor IWF-Abkommen unterworfen gewesen wäre. Der neue Einfluss und die neuen Kreditkunden des IWF entfallen zumeist auf Europa, das jetzt rund 57% seiner ausstehenden Kredite hält.

* Politikveränderungen in Grenzen

Was die politischen Veränderungen des IWF betrifft, so waren diese allerdings relativ klein. Eine Untersuchung von 41 IWF-Abkommen, die während der globalen Finanzkrise und Rezessen geschlossen worden waren, zeigte, dass 31 davon „prozyklische“ Politiken aufrecht erhielten, also eine Fiskal- oder Währungspolitik, die eine weitere Schrumpfung der Ökonomie erwarten lässt. Und in Europa, wo der IWF seine meisten Kredite platziert hat, sind die an die Abkommen geknüpften Konditionen entschieden prozyklisch und machen es für diese Ökonomien – Griechenland, Irland, Portugal – extrem schwierig, die Rezession zu überwinden. Der Einfluss des IWF auf Spanien, das bislang noch kein Kreditabkommen hat, ist ähnlich. Und in Lettland hat die vom IWF aufs Gleis gesetzte Rezession argentinischen Stils einen welthistorischen Rekord des Output-Niedergangs – 25% in zwei Jahren – ausgelöst – ein vollständiges Desaster.

Um fair zu bleiben: Einige Veränderungen im Fonds während Strauss-Kahns Amtszeit waren bemerkenswert. Zum ersten Mal überhaupt – während der Krise von 2009 – stellte der IWF Reserven von 283 Mrd. Dollar für alle Mitgliedsländer zu Verfügung, an die keine politischen Konditionen geknüpft waren. Auch stellte der Fonds einige begrenzte Kredite ohne Bedingungen bereit, allerdings nur für wenige Länder. Die größten Veränderungen fanden in der Forschungsabteilung statt, wo es mehr Toleranz und eine offenere Debatte gab. Zum Beispiel gab es IWF-Papiere, die die Anwendung von Kapitalverkehrskontrollen durch die Entwicklungsländer unter bestimmten Bedingungen unterstützten und in Frage stellten, ob die Zentralbanken mittels ihrer möglicherweise zu niedrigen Inflationsziele das Wachstum unnötigerweise verlangsamten (???042ae69ec60f74d2a???).

* Die entscheidende Rolle der Mitgliedsländer

Wie aber an Hand der Länder an der Peripherie der Eurozone gesehen werden kann, spielt der IWF immer noch seine traditionelle Rolle und wendet die mittelalterliche Medizin des „Aderlasses“ an. Um sowohl Strauss-Kahn als auch dem IWF gegenüber fair zu sein: Weder der Geschäftsführende Direktor noch irgendein anderer im Fonds ist letztlich in der Lage die Politik zu bestimmen, wenn die wichtigen Länder, die wirklich den Ton angeben, dagegen sind. Der IWF wird von seinen Gouverneuren und Exekutivdirektoren geführt, unter denen das US-Finanzministerium (in dem seinerseits Goldman Sachs hochrangig vertreten ist) und die europäischen Mächte eindeutig dominieren.

Solange die Entscheidungsprozesse im IWF sich nicht dramatisch ändern, können wir in der Politik des Fonds nur sehr minimale Veränderungen erwarten. Das kann man vielleicht am deutlichstem an dem aktuellen Fall von Griechenland sehen: Strauss-Kahn war sich bewusst, dass die fiskalische Rosskur, die die europäischen Institutionen und der IWF verordneten, Griechenland daran hindern würde, aus der Rezession herauszukommen; doch während er sich für „weichere“ Konditionen einsetzte, war er nicht in der Lage, die Kreditbedingen so zu verändern, dass aus einer Straf- eine Hilfsaktion wurde. Dies letztlich deshalb, weil die europäischen Institutionen (die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank), und nicht der IWF, den Ton angeben – obwohl Strauss-Kahn auch innerhalb des IWF auf starken Widerstand stieß.

Die Stimmanteile innerhalb des IWF haben sich trotz aller Reformen in den letzten fünf Jahren nur marginal verändert. Der Anteil der „Schwellen- und Entwicklungsländer“ – in denen die große Mehrheit der Weltbevölkerung lebt – hat sich von 39,4 auf 44,7% erhöht, während die G7-Länder 41,2% halten, einschließlich der 16,5% der USA (die sich von 17,4% vor der Reform verringerten).

* Mangelnde Initiative der Entwicklungsländer

Doch die Stimmrechts- und Governancestruktur ist derzeit nicht das Haupthindernis für einen Wandel der IWF-Politik. Derzeit nutzen auch nicht die Entwicklungsländer – und wir sollten die Opfer in der Eurozone hier hinzufügen – ihren potentiellen Einfluss im Fonds. Ihre Vertreter folgen im Wesentlichen den Entscheidungen der G7. Nur wenn sich ein nennenswerter Block aus diesen Ländern formieren würde, könnte es eine Chance für wirkliche Reformen im IWF geben.

Das kann man aus der letzten Dekade der Kämpfe innerhalb der Welthandelsorganisation lernen, wo die Entwicklungsländer oftmals den von der G7 vorgegebenen Konsensus nicht akzeptiert haben und die Aushandlung und Umsetzung von Regeln, die ihnen geschadet hätten, blockiert haben – trotz der Tatsache, dass die WTO-Regeln von Anfang an gegen die Entwicklungsländer gerichtet waren. Es stimmt, dass die WTO nach dem Konsensprinzip arbeitet und nicht auf der Basis eine quotenbasierten Abstimmungsstruktur, aber das ist nicht der Hauptunterschied zwischen ihr und dem IWF. Der Hauptunterschied ist die Rolle der Entwicklungsländer und ihrer Vertreter.

Es ist jetzt die Rede davon, die Nachfolge von Strauss-Kahn in einem offenen, qualifikationsorientierten Auswahlprozess zu regeln (selbst in der Ankündigung des Auswahlprozesses durch die Exekutivdirektoren am 20. Mai war davon die Rede; d. Red.), der mit der 67-jährigen Tradition brechen würde, nach der die Position für einen Europäer (meistens einen Franzosen) reserviert ist. Im Moment erscheint ein solcher Wandel allerdings wenig wahrscheinlich. Es wäre ein Schritt nach vorne, allerdings nur von symbolischer Bedeutung, und in Aussicht steht, dass der nächste Geschäftsführende Direktor – welcher Nationalität er auch angehören mag – rechts von Strauss-Kahn stehen wird. Wirkliche Veränderungen im IWF liegen in den Händen der Regierungen der Welt – wenn sie denn dazu bereit sind.

Mark Weisbrot ist Ko-Direktor des Center for Economic Policy Research (CEPR) in Washington. Sein Beitrag erschien zuerst im Guardian.

Veröffentlicht: 22.5.2011

Empfohlene Zitierweise: Mark Weisbrot, Die IWF-Bilanz von Dominique Strauss-Kahn und die Grenzen der Reform, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 22. Mai 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)