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Doha-Runde: Ein Begräbnis dritter Klasse?

Artikel-Nr.: DE20111205-Art.66-2011

Doha-Runde: Ein Begräbnis dritter Klasse?

Ratlosigkeit vor dem WTO-Ministerial

Nur im Web – Das nicht enden wollende Siechtum der Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) steht vor einem neuen Tiefpunkt. Nachdem der letzte Anlauf zum Abschluss der Runde schon im Sommer gescheitert war, können sich die Mitglieder nun nicht einmal über eine Abschlusserklärung für die 8. Ministerkonferenz (im WTO-Jargon kurz: Ministerial), die vom 15.-17. Dezember in Genf stattfindet, einigen, berichtet Tobias Reichert.

Der Ende letzten Jahres auf Initiative der G20-Gruppe der größten Volkswirtschaften (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Gruppe von Entwicklungs- und Schwellenländern in der WTO) gestartete erneute Versucht, die Runde in diesem Jahr erfolgreich abzuschließen, war schon im Sommer kläglich gescheitert. Nachdem WTO-Generaldirektor Lamy schon Ende Mai feststellen musste, dass die Doha-Runde insgesamt 2011 nicht mehr abgeschlossen werden könnte, scheiterte im Juli auch sein "Plan B" (s. W&E 05/2011).

* Plan B gescheitert

Um zu zeigen, dass die WTO trotz der Dauerkrise der Doha-Verhandlungen noch entscheidungsfähig ist und um den Anspruch einer "Entwicklungsrunde" zu unterstreichen, sollten einige Elemente aus dem Gesamtpaket herausgelöst und unabhängig von diesem beschlossen werden. Dabei sollten Maßnahmen im Vordergrund stehen, die speziell den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) zu gute kommen. Darüber hinaus sollten die Mitglieder prüfen, ob weitere Vereinbarungen mit einem Entwicklungsfokus getroffen werden könnten.

Auch über diesen Plan konnte aber keine Einigung erzielt werden. Zum einen gibt es kaum Überschneidungspunkte zwischen den Vorstellungen der WTO-Mitglieder, in welchen Punkten diese zusätzlichen Vereinbarungen getroffen werden könnten. Zum anderen hatten vor allem die die USA deutlich gemacht, dass sie auch den wichtigsten Maßnahmen für die LDCs nicht zustimmen würde. So wollen sie sich weder zur vollständigen Marktöffnung für Produkte aus den LDCs verpflichten, noch dem weitgehenden Abbau ihrer Baumwollsubventionen zustimmen. Letzteres verhindert die im US-Kongress erstaunlich einflussreiche Baumwolllobby. Sie hat schon dafür gesorgt, dass bestimmte Subventionen, die in einem Streitfall mit Brasilien als handelsverzerrend bewertet wurden, nicht abgeschafft wurden. Stattdessen zahlt die US-Regierung nun einen Ausgleich an die brasilianische Baumwollindustrie für die durch die Subventionen entstehenden Nachteile.

Auch in der derzeitigen Haushaltskrise der USA wird dieses Programm zwar von einigen Kongressabgeordneten hinterfragt, aber dass es tatsächlich abgeschafft wird, ist noch nicht absehbar. Der frühere US-Handelsbeauftragte und heutige Weltbank-Präsident Robert Zoellick hält daher den fehlenden politischen Willen aller Beteiligten, vor allem aber der USA, für den wichtigsten Grund für den Stillstand in der Doha-Runde.

* Auch die EU mauert

Auch die EU, die nicht müde wird zu betonen, wie wichtig ihr das multilaterale Handelssystem ist, spielte eine wenig konstruktive Rolle. Ihr Vorschlag, dass alle Länder ihre Zölle auf dem gegenwärtigen Niveau einfrieren, hätte vor allem Entwicklungs- und Schwellenländer betroffen, da Industriestaaten ihre (oft niedrigen) Obergrenzen weitgehend ausschöpfen. Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer wenden dagegen Zölle an, die deutlich unter den oft relativ hohen Obergrenzen liegen. Der Vorschlag der EU würde also vor allem von Entwicklungs- und Schwellenländern Zugeständnisse verlangen – nicht unbedingt das, was von einem besonders "entwicklungsfreundlichen" Zwischenergebnis einer "Entwicklungsrunde" zu erwarten wäre.

Gleichzeitig schloss die EU kategorisch aus, Exportsubventionen und ähnliche Instrumente endgültig abzuschaffen. Dies hat sie zwar schon 2005 als Teil eines umfassenden Doha-Abschlusses angeboten, sie hält das Ende dieses entwicklungs- und agrarpolitisch besonders schädlichen Instruments für ein großes Zugeständnis, das sie nur im Rahmen eines umfassenden Abschlusses der Runde machen will. Im Legislativvorschlag der Europäischen Kommission für die Gestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik von 2014 bis 2020 sind Exportsubventionen als handelspolitisches Instrument denn auch weiterhin vorgesehen.

* Unbegründeter Optimismus verflüchtigt

Der offensichtlich unbegründete Optimismus, mit dem in den letzten Jahren immer neue Fristen für den Abschluss der Verhandlungen angekündigt wurden, hat sich nun endgültig verflüchtigt. WTO-Generaldirektor Lamy hatte die Mitglieder zunächst aufgefordert, darüber zu beraten, ob und wie die Runde nun fortgesetzt werden könnte, und bei der 8. Ministerkonferenz vom 15. bis 17. Dezember in Genf entsprechende Beschlüsse zu fassen. Selbst hierzu konnte aber bisher noch keine Einigung erzielt werden.

Auch die Staats- und Regierungschefs der G20 befassten sich auf ihrem Gipfeltreffen in Cannes Anfang November erneut mit dem Schicksal der Doha-Runde. In ihrer Erklärung sehen sie sich gezwungen, die fundamentale Krise des Verhandlungsprozesses anzuerkennen. Da der bisherige Ansatz der Verhandlungen absehbar nicht zum Erfolg führen werde, sollten ihre Handelsminister nach "neuen und glaubwürdigen" Ansätzen suchen, um zu Ergebnissen zu kommen. Sie sollten sich dabei auf Themen konzentrieren, die besonders den Interessen der LDCs entsprechen, und wo möglich andrer Elemente des Doha-Mandats. Diese Idee ist nun nicht nur nicht neu, sondern entspricht genau dem Plan B Lamys vom Sommer. Es stellt sich die Frage, ob die G20-Sherpas diesen ja gerade erst gescheiterten Versuch überhaupt nicht zur Kenntnis genommen haben, und ihn deshalb für eine neue Idee hielten, oder ob sie dessen Misserfolg wissentlich ignorierten, um überhaupt einen Vorschlag in die Deklaration aufnehmen zu können.

* Ende ohne Eingeständnis

Erwartungsgemäß verpuffte die G20-Erklärung wirkungslos, und in der WTO zeichnet sich weiter kein Konsens darüber ab, wie mit den blockierten Verhandlungen weiter zu verfahren sei. Den ehrlichsten Vorschlag, die Runde offiziell für gescheitert zu erklären, traut sich noch keine Delegation zu machen. Die informell diskutierten Optionen, auf niedrigem Niveau weiter zu verhandeln, bis die Zeiten wieder besser werden, oder eine offizielle zweijährige Pause einzulegen und darauf zu hoffen, dass dann alles besser wird, scheinen den meisten Mitgliedern wenig attraktiv.

Es deutet daher alles darauf hin, dass bei der Konferenz in Genf keine formelle Ministererklärung abgegeben werden wird, die sich zur Zukunft der Doha- Runde äußert. Der Vorsitzende der Konferenz wird wohl nur die Diskussionen in einem Bericht zusammenfassen. Die Doha-Runde droht damit zu enden, ohne dass wenigstens ihr Scheitern offiziell und im Konsens festgestellt werden kann.

Tobias Reichert ist handels- und agrarpolitischer Referent der Nord-Süd-Initiative Germanwatch.

Veröffentlicht: 6.12.2011

Empfohlene Zitierweise: Tobias Reichert, Doha-Runde: Einbegräbnis dritter Klasse? Ratlosigkeit vor dem WTO-Ministerial, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 6. Dezember 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)