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Eine Neue Internationale Entwicklungsarchitektur

Artikel-Nr.: DE20110113-Art.04-2011

Eine Neue Internationale Entwicklungsarchitektur

Der jüngste LDC-Bericht der UNCTAD

Vorab im Web - Rechtzeitig zur Vorbereitung der IV. Konferenz über die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs), die im Mai 2011 in Istanbul stattfindet, erschien der neue LDC-Bericht der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD). Neben der Optimierung bestehender entwicklungspolitischer Instrumente – plädiert der Bericht für eine Reform der globalen Wirtschaftsinstitutionen, kurz: für eine „neue internationale Entwicklungsarchitektur für LDCs“ (NIDA). Eine Zusammenfassung von Sarah Hellmerichs.

Während der Report des Vorjahres die internen Wirtschaftsstrukturen der betroffenen Länder und die Frage nach den angemessenen Entwicklungsstrategien in den Mittelpunkt stellte (W&E-Hintergrund August 2009), werden nunmehr die internationalen Rahmenbedingungen der LDC-Entwicklung thematisiert. Denn im Laufe der letzten Dekade sind die Schwächen der derzeitigen internationalen „Wirtschaftsarchitektur“ für die LDCs besonders deutlich zutage getreten.

* Gefangen im Boom-und-Bust-Zyklus

Der Report definiert NIDA als „eine Reihe neuer formeller und informeller Institutionen, Regeln und Normen, die Anreize, Standards und Prozesse beinhalten, welche die internationalen Wirtschaftsbeziehungen dahingehend ausbilden, dass sie einer nachhaltigen und inklusiven Entwicklung der LDCs zuträglich sind“ (I). Parallel dazu könne eine „neue Generation spezieller internationaler Unterstützungsmaßnahmen für die LDC“ sowie eine Stärkung des Süd-Süd-Handels den ärmsten Ländern aus ihrem Status heraus helfen. Was bislang getan werde, hätte „eher symbolische als praktische“ Bedeutung, denn „es wendet sich nicht den strukturellen Schwächen der LDCs zu”.

Die Autoren stützen sich auf die Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung der LDCs über eine längere Periode, v.a. auf die Zeit zwischen 2000 und heute. Dabei wird deutlich, dass die LDCs nicht nur in Krisenzeiten durch die herrschenden Wirtschaftsstrukturen benachteiligt werden, sondern auch in Zeiten des globalen Booms nur zweitrangig am Aufschwung teilhaben: „Trotz des wirtschaftlichen Booms zwischen 2002 und 2007 verlief die Reduzierung der Armut in den LDCs sehr langsam.“ (31) Die Anzahl der in extremer Armut lebenden Menschen ist selbst in den Boomjahren jährlich um 3 Millionen gestiegen. 2007 lebten demnach etwa 53% der LCD-Bevölkerung in extremer Armut, d.h. von weniger als 1,25 Dollar am Tag.

Der Bericht legt einen Aktionsplan zur Schaffung einer NIDA vor, der auf fünf Säulen beruht: Finanzierung, Handel, Rohstoffe, Technologie und Klimawandel (Anpassung und Minderung; s. Schaubild). In allen diesen Bereichen sind spezifische Verbesserungen zugunsten der LDCs erforderlich, die gleichzeitig umgesetzt werden und zusammengenommen einen verbesserten LDC-spezifischen internationalen Unterstützungsmechanismus bilden sollen. Beiträge dazu können sowohl die Reform globaler ökonomischer Regime als auch die Weiterentwicklung der Süd-Süd-Zusammenarbeit leisten.

Die Neue Internationale Entwicklungsarchitektur


* Finanzierung: Der Bericht fordert eine grundlegende Reform der internationalen „Finanzarchitektur“, einschließlich der internationalen Entwicklungshilfe und der Praxis der Schuldenerleichterung. Da die Möglichkeiten zur Mobilisierung heimischer Finanzressourcen durch die Politik der neoliberalen Strukturanpassung stark eingeschränkt wurden (Liberalisierung, Schwächung des Staates, Orientierung auf ausländische Direktinvestitionen), halten die Autoren die Umsetzung der LDC-spezifischen ODA-Ziele von 0,15 bzw. 0,20 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) der Industrieländer nach wie vor für essentiell. Zugleich jedoch sollten Schritte zum Abbau der extremen Abhängigkeit von ausländischer Hilfe eingeleitet werden. Dazu gehören u.a. der Ausbau der Produktionskapazität und der Infrastruktur der Länder, und außerdem ein wieder stärker entwicklungspolitisch tätiger Staat. „Nachhaltige Armutsreduzierung erfordert die Expansion von Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten, wofür die Unterstützung des Produktionssektors und der ökonomischen Infrastruktur entscheidend ist“, heißt es in dem Report (90).

* Handel: Was die Reform des multilateralen Handelsregimes betrifft, wird angemahnt, die sog. „Early-Harvest“-Maßnahmen, über die in der gegenwärtigen Doha-Runde bereits Konsens erzielt wurde, unmittelbar in die Praxis umzusetzen und damit den LDCs u.a. zoll- und quotenfreien Marktzugang zu gewähren. Zusätzlich könnten die LDCs gestärkt werden, indem man sie in die Lage versetzt, die Flexibilitäten des bestehenden Handelsregimes besser zu nutzen und mehr Handelshilfe („aid for trade“) zu erhalten. Um die Berechtigung der LDCs zu Schutzmaßnahmen im internationalen Handel zu unterstreichen, betont der Bericht: „Einige Industrieländer schützen ihre Ökonomien mehr als die LDCs.“ (92)

* Rohstoffe: Für eine zentrale Schwäche der bestehenden Entwicklungsarchitektur halten die UNCTAD-Autoren die Nichtexistenz einer internationalen Rohstoffpolitik. Dieser Missstand wurde jüngst noch durch das Vordringen der Finanzmärkte in den Rohstoffsektor verstärkt. Die ausgeprägte Abhängigkeit der LDCs vom Export weniger Rohstoffe führt vor diesem Hintergrund zu einer „langfristigen Wachstumsschwäche der LDCs und zu einer ausufernden extremen Armut“ (86). Den primären Ausweg sehen die Autoren daher in der Schaffung eines globalen Regelwerks, das die Preise stabilisieren und die Schwankungen an den Rohstoffmärkten reduzieren soll. Davon würden Länder unabhängig von ihrem Entwicklungsstand profitieren, wenn mit Hilfe neuer Interventionsinstrumente (z.B. Reservelager für Nahrungsmittel) aufkommende Spekulationsblasen schnell und effektiv bekämpft werden können (197). Zusätzliche stabilisierende Effekte könnten von der Einführung einer Transaktionssteuer auf den Märkten für Rohstoffderivate ausgehen. Ein positiver Nebeneffekt dieser neuen Regeln wäre zudem ein besserer Schutz natürlicher Ressourcen in den ohnehin durch Umweltprobleme belasteten Regionen.

* Technologie: Im Bereich der Technologie setzt die UNCTAD auf Reformen hin zu einer LDC-freundlichen „Wissensarchitektur“. Insbesondere plädiert der Bericht für eine Neuausrichtung des internationalen Technologietransfers und der intellektuellen Eigentumsrechte. Der Ausgrenzung der LDCs durch stark privatwirtschaftlich ausgerichtete Urheberrechtsregelungen solle durch ein neues „Gleichgewicht zwischen privaten und öffentlichen Dimensionen des Wissens“ (148) Einhalt geboten werden. Instrumente zur Durchsetzung könnten eine Technologielizenzbank (“technology license bank”) und ein geberfinanzierter Trust-Fonds zur Finanzierung von Unternehmensinnovationen sein. Ein bezahlbarer Technologietransfer ist für die LDCs nicht zuletzt wichtig zur Verringerung ihrer extremen Rohstoffabhängigkeit und zur Erhöhung des Produktivitätsniveaus in der Industrie.

* Klimawandel: In diesem Bereich ruft der Bericht dringend dazu auf, den LDC-Klimafonds adäquat zu finanzieren und den Zugang der LDCs zum Clean Development Mechanism der UN-Klimarahmenkonvention zu verbessern, um auf diese Weise die finanziellen Barrieren, die die LDCs vom Zugang zu Erneuerbaren Energien abhalten, zu überwinden.

* Betonung des Süd-Süd-Handels

LDCs bezogen 2007 und 2008 62% ihrer Handelsgüter aus anderen Entwicklungsländern und der Export in ebendiese betrug mehr als die Hälfte der Ausfuhrgüter. Allein diese Zahlen verdeutlichen die Relevanz des Süd-Süd-Handels. In der jüngsten Finanzkrise hat sich darüber hinaus gezeigt: „Die LDCs, deren Exporte auf Industrie- und Transitionsländer ausgerichtet waren, wurden stärker getroffen als jene, die sich schwerpunktmäßig im Süd-Süd-Handel engagierten.“ (21) Deswegen drängt der Bericht darauf, bei der Umsetzung von Reformen internationaler Organisationen auf Patentrezepte zu verzichten und spezifische Lösungen für die Kooperationen innerhalb des Südens zu berücksichtigen.

Insgesamt gesehen setzt die LDC-Agenda der UNCTAD deutlich andere Akzente als die Paris-Erklärung über die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe und auch als der Seoul Consensus der G20. Legt die geberorientierte Paris-Agenda den Schwerpunkt auf die interne Governance der Entwicklungsländer und die technische Effektivierung der Entwicklungshilfe, so drängen die UNCTAD-Autoren vor allem darauf, das internationale Umfeld förderlicher für die LDCs zu machen. Während im Seoul Consensus das „gemeinsame Wachstum“ im Mittelpunkt steht, fragt die UNCTAD explizit danach, wie die Rahmenbedingungen für neue, erfolgreiche Entwicklungsstrategien im Süden beschaffen sein müssen. Gemeinsam ist dem Seoul Consensus und der LDC-Agenda indessen die Zurückweisung des One-size-fits-all-Ansatzes der Bretton-Woods-Institutionen. – Es ist zu hoffen, dass möglichst viele der teilweise recht detaillierten Vorschläge des neuen Berichts in die Beschlussvorlagen der kommenden LDC-Konferenz eingehen.

Sarah Hellmerichs ist z.Zt. Praktikantin bei W&E.

Hinweis:
* UNCTAD, The Least Developed Countries Report 2010: Towards a New International Development Architecture for LDCs, 298 pp, United Nations: New York and Geneva 2010. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 13.1.2011

Empfohlene Zitierweise: Sarah Hellmerichs, Eine Neue Internationale Entwicklungsarchitektur für LDCs. Der jüngste LDC-Report von UNCTAD, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E-Hintergrund Januar 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).