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Erster Weltentwicklungsbericht zu Gender

Artikel-Nr.: DE20110413-Art.23-2011

Erster Weltentwicklungsbericht zu Gender

Schon im Entwurf verspielt die Weltbank Chancen

Nur im Web - Die Weltentwicklungsberichte (WDRs) sind die Vorzeigepublikationen der Weltbank. Sie sollen das Fortschrittsdenken der Bank demonstrieren und Entwicklungspolitikern und Fachleuten Wege zur Problembewältigung vorschlagen. Unter dieser Prämisse und angesichts der allgemeinen Kenntnisse über Geschlechtergleichberechtigung ist es verwunderlich, dass die Bank so lange gebraucht hat, um die Genderproblematik in den Fokus zu nehmen, schreibt Liane Schalatek.

Seit 1978 hat die Weltbank bereits 32 WDRs veröffentlicht. Erstmals beschäftigt sich der Ende des Jahres erscheinende WDR 2012 nun mit dem Thema „Gender Equality and Development“. Ein erster 65 Seiten langer Entwurf des möglicherweise Hunderte von Seiten langen endgültigen Berichts lässt aber den Verdacht aufkommen, dass das Weltbankteam – trotz seiner ausgewiesenen Intention, den WDR zu nutzen, um einen Blick auf die „vielfältigen Dimensionen“ der Gleichberechtigung zu werfen – nicht in der Lage sein wird, sein eigenes patriarchalisches Frauenbild und das dazu gehörige Verständnis von Gleichberechtigung zu überwinden.

* Businessplan statt Nachhaltigkeit

Eklatantester Mangel des Entwurfs: Ein nachhaltiges Verständnis von Entwicklung, das – in der heutigen durch hohe Armutsraten, Nahrungsmittelunsicherheit, Ungleichheit der Geschlechter, Umweltzerstörung und Klimawandel geprägten Zeit – neu definiert werden sollte als eine CO2-neutrale, klimabeständige, auf die Existenzsicherung fokussierte Entwicklung der Gleichberechtigung. Letztendlich erscheint im nächsten Jahr, fast 20 Jahre nach dem Erdgipfel, ein ernsthaftes Überdenken und eine Neuausrichtung des Konzepts im Rahmen von Rio+20 unausweichlich.

Im Entwurf des WDR über Gender und Entwicklung kommt Nachhaltigkeit kaum vor. Stattdessen nähert er sich dem Thema, indem er versucht, einen „Businessplan“ aufzustellen, der Männern und Frauen gleiche Rechte geben soll. Sein enger Fokus auf Frauen als Unternehmerinnen und Wirtschaftsakteure und die Reduzierung von Gleichberechtigung auf „smarte Ökonomie“ (der anschauliche Titel des Gender-Aktionsplans der Weltbank spiegelt die Hauptintention der Weltbank wider; >>> Die neuen Smarties der Weltbank) erlaubt einzig einen analytischen Rahmen, der Gleichberechtigung auf volkswirtschaftliche Kosten und Effizienz untersucht.

Die einzige Art und Weise, wie der Entwurf Umweltbedenken oder die globale Bedrohung des Klimawandels einzubeziehen sucht, führt über die Möglichkeit eines „Risikos“ oder eines „Schocks“ für das Wirtschaftswachstum und insbesondere für die Einkommensentwicklung. Das dominante Wachstumsparadigma mit seinen Produktions- und Konsummustern, die alles andere als nachhaltig sind, wird von der Weltbank weiter gebilligt und in dem Entwurf keineswegs hinterfragt. Eine Nachjustierung des Weltbankdenkens in Bezug auf Entwicklung ist nicht ersichtlich, obwohl sie erforderlich wäre, um eine gender- und generationengerechte Verteilung der natürlichen Ressourcen zu gewährleisten und damit sowohl Menschenrechte des Individuums als auch kollektive und gemeinsame Rechte anzuerkennen.

* Frauenrechte nicht anerkannt

Im Übrigen vermeidet es der WDR-Entwurf sorgfältig, die Geschlechtergleichstellung als grundlegendes Menschenrecht zu benennen, vermutlich hauptsächlich weil die Weltbank selbst Menschenrechte nicht als normativen Rahmen ihres Handelns anerkennt. Und es ist nicht sehr überraschend, dass sogar ein offensichtlicher Bruch der fundamentalen Menschenrechte, z.B. das Recht zu politischer Partizipation, das vielen Frauen versagt bleibt, als primär „politisches Marktversagen“ gesehen wird, welches aus unzureichender Information resultiert (und zwar, dass Frauen ziemlich gute oder zumindest keine schlechteren politischen Führer ausmachen als Männer). Mit der Reduzierung von Marktbarrieren, so die implizite Botschaft, lässt sich auch die Ungleichheit der Geschlechter beseitigen, ungeachtet der Tatsache, dass es sich z.B. bei politischer Partizipation – oder dem Mangel an dieser – um existierende gesellschaftliche und geschlechtsspezifische Machtbeziehungen und daraus resultierende Verletzungen der Menschenrechte handelt – und nicht um unrealisierte Absatzmöglichkeiten.

Auch wenn die WDRs nicht als Inspektion der Arbeit der Weltbank selbst gedacht sind, würde es beim Thema Geschlechtergleichheit nicht schaden, wenn sie es wären. Das Ressourcen zehrende Wachstumsparadigma, das die Weltbank auch heute noch mit ihren Investitionsentscheidungen fortführt, ist häufig einer der Hauptverursacher der sich hartnäckig haltenden globalen Ungleichheit der Geschlechter und verletzt damit aktiv die Menschenrechte von Frauen. Dies steht im Übrigen im Gegensatz zu den internationalen Verpflichtungen der meisten Weltbank-Mitgliedsländer, die das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) unterzeichnet haben. Die meisten der Millionen in Armut lebenden Menschen sind Frauen (einige Schätzungen beklagen 70%) – ein Beweis dafür, dass der Trickle-down-Effekt nicht funktioniert und die Interessen derer, die von öffentlicher Partizipation und politischer Macht wegen ihres Geschlechts und sozialer Normen ausgeschlossen sind, immer noch als letztes Beachtung finden.

Der Klimawandel – verursacht zu einem großen Teil durch die Externalisierung ökologischer Kosten als Ergebnis dominierender ökonomischer Konzepte – beeinträchtigt Frauen in den ärmsten Entwicklungsländern unverhältnismäßig schlimmer als Männer. Dass für weltweit nahezu eine Milliarde Menschen die Nahrungsmittelversorgung noch nicht gesichert ist – eine Krise, die sich mit steigenden Ölpreisen zwangläufig verschlimmern wird –, ist zumindest teilweise eine bleibende Folge der Strukturanpassungsmaßnahmen, zu denen die Weltbank die ärmsten Entwicklungsländer seit den 1980ern gedrängt hat. Im Agrarsektor zeigt sich das in einer Voreingenommenheit der Bank für CO2-intensive Investitionen mit dem Schwerpunkt auf Exportproduktion und auf Kosten der nationalen Ernährungssicherheit.

* Unbezahlte Sorgearbeit von Frauen kennt die Weltbank nicht

Die Existenz der Kleinbauern, von denen die meisten Frauen sind, wurde gefährdet und ihre Interessen vernachlässigt. Es war dasselbe Entwicklungsdenken, dem staatliche landwirtschaftliche Beratungsdienste zum Opfer fielen – als Teil einer generellen durch die Weltbank propagierten neoliberalen Investitionsstrategie, die die Bereitstellung der meisten öffentlichen Dienstleistungen als ineffizient betrachtete. Zu den unter dem Mandat der Weltbank privatisierten öffentlichen Dienstleistungen gehörten in den vergangenen Jahrzehnten viele Basis- und soziale Dienste, wie die Bereitstellung von Wasser und Energie, Bildung oder medizinischer Versorgung, welche so oft unerschwinglich für die Ärmsten wurden.

Traditionell haben Frauen diese Versorgungsdienste zu leisten, um ihrer innerfamiliären Aufgabe und existierenden geschlechtsspezifischen Normen gerecht zu werden. Wo Staaten sie ernsthaft kürzen oder sie gar nicht erst bereitstellen, z.B. in Zeiten einer das Entwicklungsland betreffenden Wirtschafts- oder Schuldenkrise, liegt es in der Verantwortung der Frauen, Familien und Gemeinschaften das Überleben zu sichern. Die jüngste globale Wirtschaftskrise, die die ärmsten Länder und gesellschaftlichen Gruppen erheblich betroffen hat, war keine Ausnahme.

Die unbezahlte Sorgearbeit, die Frauen als Teil ihrer Geschlechterrolle übernehmen und ohne die sowohl arme als auch reiche Staaten zusammenbrechen würden, taucht in den Wirtschaftsstatistiken und Parametern der Einkommensentwicklung, auf deren Basis die Weltbank Entwicklung definiert, gar nicht auf. Tatsächlich wird dem substantiellen Beitrag, den Frauen bereits zur Entwicklung leisten – schon bevor sie aktivere Marktteilnehmer werden – nicht Rechnung getragen, hauptsächlich weil der Markt ihm keinen Wert beimisst. Auf diese Weise fährt die Weltbank damit fort, von Frauen erbrachte Leistungen als weitere „Externalität“ des ökonomischen Fortschritt zu behandeln, ähnlich wie ökologische Bedenken, die ebenso wenig in interne Kosten-Nutzen-Bewertungen gewisser Strategien und Maßnahmen eingehen. Dieses fundamentale Manko der Bank bleibt bestehen, obwohl die Organisation bereits vor einer Dekade eine offizielle Gender-Mainstreaming-Strategie eingeführt hat. Es wird begleitet von einem systematischen Scheitern, das sich in strukturellen Mängeln und Schwachstellen der Politikumsetzung ausdrückt. Die interne Kontrollinstanz der Weltbank, die Independent Evaluation Group, beleuchtet die Bemühungen der Weltbank in Sachen Gender-Mainstreaming in ihrem neuen Bericht (>>> Der neue IEG-Bericht der Weltbank):

* Lange Liste von Mängeln

* Gender-Aspekte werden nur selektiv berücksichtigt, ein Gender-Mainstreaming findet nicht statt. Auch die Länderstrategien (CAS) zeigen eine begrenzte Herangehensweise und berücksichtigen lediglich die Genderimplikationen von speziell von Weltbank-Mitarbeitern ausgewählten Politikbereichen.
* Nur eine Minderheit der Weltbank-Kredite bezieht die Gender-Thematik mit ein. Entwicklungspolitische Darlehen (für strukturelle Reformen) unterliegen der existierenden operativen Genderpolitik nicht.
* Die Berücksichtigung der Gender-Aspekte bei Kreditvergabe bleibt sektorübergreifend ungleichmäßig. Im Bereich Gesundheit und Bildung ist sie mit mehr als ¾ „gender-informierter“ Darlehen hoch (obwohl es keine Definition gibt, was darunter zu verstehen ist), bei Energie- und Bergbau-Krediten beträgt sie hingegen nur 9%.
* Die Finanzierung der Gender-Problematik wird von der Bank nicht systematisch verfolgt oder als „Kerngeschäft“ verstanden und entsprechend gefördert. Der Gender-Aktionsplan, das Hauptinstrument der Weltbank zur Umsetzung von Geschlechtergleichheit in den vergangenen Jahren, wurde durch separate Zuwendungen einiger Weltbank-Mitgliedsländer finanziert.
* Die Personal-, Management- und Anreizstruktur der Bank ist sich der Gender-Thematik weiterhin weitgehend nicht bewusst: Weniger als 1% des Weltbankpersonals sind Gender-Experten; Gender-Bewusstsein ist kein internes Leistungsbewertungskriterium, und folglich wird es weder bei Beförderungen honoriert noch existieren Bewertungs- und Evaluierungssysteme für die Umsetzung von Gender-Mainstreaming innerhalb der Bank.

Mit dieser Liste von Mängeln wird der WDR höchstwahrscheinlich eine vergebene Chance für die Bank. Es ist sicherlich lobenswert, einige argumentieren sogar längst überfällig, dass Geschlechtergleichheit innerhalb der Bank die ernsthafte Aufmerksamkeit bekommt, die sie im derzeitigen internationalen Entwicklungsdiskurs verdient hat. Und dass ein exklusiv auf Geschlechtergleichheit ausgerichteter WDR das Thema als intrinsisches Entwicklungsanliegen anerkennt. Schade, dass die Weltbank die Gelegenheit nicht nutzt, um die akademische Übung, deren Rezipienten man meist außerhalb der Weltbank finden wird, intern mit einer ernsthaften Reflexion und einem Überdenken des eigenen Verständnisses von und einer Annäherung an Geschlechtergleichheit zu verbinden. Denn das wäre dann wirklich ein aktionsorientierter WBDR (ein Weltbank-Entwicklungsbericht) über Geschlechtergleichheit.

Liane Schalatek ist stellvertretende Direktorin des Nordamerika-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington DC. In englischer Fassung erschien ihr Beitrag auf ClimatEquity.

Veröffentlicht: 13.4.2011

Empfohlene Zitierweise: Liane Schalatek, Erster Weltentwicklungsbericht zu Gender. Schon im Entwurf verpasst die Weltbank ihre Chancen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 14. April 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).