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HDR 2011: Mehr Nachhaltigkeit durch Gerechtigkeit

Artikel-Nr.: DE20111117-Art.61-2011

HDR 2011: Mehr Nachhaltigkeit durch Gerechtigkeit

Auf dem Weg zu Rio+20

Vorab im Web - Menschliche Entwicklung, Verteilungsgerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit stehen in einem engen Zusammenhang. Dieser Zusammenhang ist aber in den meisten Fällen negativ: Soziale Ungleichheit etwa fördert die Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Win-win-win-Konstellationen zwischen den drei Ebenen sind aber herstellbar, wenn Politik auf lokaler, nationaler und globaler Ebene entsprechend ausgerichtet wird, argumentiert der Bericht über die menschliche Entwicklung 2011. Von Jörg Goldberg

Der diesjährige Bericht zur menschlichen Entwicklung (HDR) bereitet auf den Rio+20-Gipfel 2012 in Brasilien vor, auf welchem u. a. eine Bilanz der Beschlüsse des „Erdgipfels“ von 1992 zu ziehen sein wird. Der Text macht auf den engen Zusammenhang zwischen gerechteren Verteilungsverhältnissen einerseits und ökologischer Nachhaltigkeit andererseits aufmerksam. Damit greift er ein Thema auf, das in der Umweltdebatte bislang oft vernachlässigt wurde: Soziale Ungleichheit gefährdet die ökologische Nachhaltigkeit. Gerechtere Verteilungsverhältnisse müssen integrierter Bestandteil von Politiken zum Schutz der natürlichen Ressourcen sein.

* HDI-Fortschritte auf Kosten der Umwelt?

Nach einem einleitenden Kapitel, in welchem die – vor allem auf den Arbeiten von Amartya Sen beruhende – ‚Philosophie’ des Ansatzes der menschlichen Entwicklung skizziert wird, gibt der Bericht einen Überblick über die Entwicklung der letzten 40 Jahre: Er konstatiert einerseits große Entwicklungsfortschritte, gemessen am Index der menschlichen Entwicklung (HDI).

Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) hat in den letzten 21 Jahren ein ganzes Set von Indikatoren entwickelt, die Armut, Entwicklung und Ungleichheit messen und dabei Aspekte von Gesundheit, Bildung und Einkommen einbeziehen. Vor allem in den Bereichen Gesundheit (gemessen an der Lebenserwartung) und Bildung (gemessen an den Schulbesuchsquoten) haben sich die Verhältnisse nach oben angeglichen. Dem gegenüber haben sich die Verteilungsverhältnisse - der Bericht begreift Einkommensverteilung als Indikator für Gerechtigkeit - überwiegend verschlechtert, vor allem im OECD-Raum und in den meisten aufstrebenden Entwicklungsländern Asiens und Afrikas. Nur in Lateinamerika hat sich die Verteilungssituation etwas verbessert, allerdings von einem extrem hohen Niveau der Ungleichheit aus. Die Frage, warum die Verbesserungen im Bereich von Gesundheit und Erziehung den Armen auf der Einkommensebene so wenig genützt haben – dieses Phänomen war schon im Jubiläumsbericht von 2010 aufgefallen (vgl. W&E 11/2010) – gibt weiter Rätsel auf. Bessere Gesundheit und Schulbildung sind sicher Werte an sich – sie garantieren aber nicht höhere Einkommen.

Die Umweltsituation hat sich auf der globalen Ebene dagegen dramatisch verschlechtert, wobei der Ausstoß der Treibhausgase und die Klimaveränderung im Mittelpunkt stehen. Besser sind die Umweltverhältnisse auf der Ebene der individuellen Haushalte geworden (Luft in Wohnräumen, Wasser/Abwasser), während sich im kommunalen Bereich (Städte) die Situation in den armen Ländern verschlechtert, in den reicheren dagegen verbessert hat. Insgesamt aber ist zu konstatieren, dass die globale Verbesserung des HDI mit einer Verschlechterung der globalen Umweltverhältnisse erkauft wurde.

* Win-win-win-Illusionen

Die konkrete Analyse der Zusammenhänge zwischen menschlicher Entwicklung (HDI), Verteilungsverhältnissen und Umweltfaktoren macht deutlich, “dass die Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum und zunehmender Emission von Treibhausgasen die bisherigen Fortschritte im Bereich menschlicher Entwicklung gefährden könnte – wenn es nicht zu politischen Reformen kommt“ (31).

Diesen Effekten geht der Bericht sehr detailliert im dritten Kapitel nach: Bodenerosion, Wasserknappheit, Rückgang der Biodiversität, Naturkatastrophen untergraben die Lebensgrundlagen vor allem der ländlichen Armen: „Die Beschädigung der Umwelt gefährdet die Einkommensquellen von Millionen Menschen in der Welt, deren Arbeitsertrag unmittelbar von den natürlichen Ressourcen abhängt.“ (55) Dies wird mit vielen Einzelbeispielen belegt. Es gibt aber auch positive Ausnahmen die zeigen, dass dieser Zusammenhang bei richtiger Politik durchbrochen werden kann (48). Insgesamt aber gilt: „Die zunehmende Beschädigung der Umwelt könnte bald den positiven Entwicklungspfad menschlicher Entwicklung der letzten 40 Jahre beenden.“ (82)

Trotz der überwiegend düsteren Zustandsbeschreibung in den Kapiteln 2 und 3 strotzen die beiden folgenden Kapitel, in denen mit der modischen Win-win-Formel Zukunftsstrategien skizziert werden, von Optimismus: Positive Beispiele gäben „starke Gründe für eine optimistische Haltung“ (79), eine Formulierung, die gleich mehrfach auftaucht. Als Beispiel für eine „Win-win-win-Situation“, also für positive Synergien zwischen HDI, Verteilungsgerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit, wird das Montreal-Protokoll von 1987 angeführt, das gleichzeitig zu einer Reduzierung von Ozon-schädlichen Gasen, zu mehr Verteilungsgerechtigkeit (Technologie-Transfer in Entwicklungsländer) und besseren Gesundheitsbedingungen geführt habe (67).

*Plakativer Optimismus…

Ohne hier auf die vielen interessanten Details eingehen zu können, sind doch Zweifel an dem plakativen Optimismus des Berichts angebracht. Die Autoren haben schon am Anfang deutlich gemacht, dass sie nicht an die Wirksamkeit marktförmiger Mechanismen, an eine ‚unsichtbare Hand’, glauben. Die Verknappung von Umweltfaktoren und damit verbundene Preiserhöhungen werden nicht dazu führen, dass alternative Wege eingeschlagen, dass knappe Ressourcen geschont werden: Viele natürliche Ressourcen wie das Klima und die Biodiversität sind nicht ersetzbar.

Die Autoren setzen ihre Hoffnung vielmehr auf gezielte Politiken auf lokaler, nationaler und globaler Ebene: „Mehr aktive Politik ist entscheidend.“ (82) Die Rolle von Regierungen und lokalen Gemeinschaften beim Management der Umwelt müsse gestärkt werden. Dazu entwickeln sie konkrete Vorschläge: So soll der Abbau von Subventionen für fossile Energien (jährlich mehr als 300 Mrd. US-Dollar) zu einer Reduzierung des CO2-Ausstosses führen, während die negativen sozialen Effekte dieses Subventionsabbaus für die Armen durch gezielte Programme der Sozialen Sicherung überkompensiert werden sollen. Dass dazu eine Abkehr von der marktradikalen Deregulierungspolitik der Vergangenheit notwendig ist, sehen die Autoren: Mehr öffentliche Mittel müssen eingesetzt werden, soziale Gerechtigkeit müsse im Vordergrund stehen. Die Krise 2008ff. habe gezeigt, dass die Deregulierung zu weit gegangen sei (82).

* …trotz gegenläufiger Politik

Ob diese Erkenntnis aber zu der erforderlichen Renaissance aktiver öffentlicher Politik zugunsten der Umwelt und zum Abbau sozialer Ungleichheiten führen wird, muss vor dem Hintergrund der aktuellen Schuldenkrisen und vor allem der betriebenen Politik bezweifelt werden: Überall stehen Ausgabenkürzungen, Sozialabbau, Privatisierung und Deregulierung im Vordergrund. Obwohl die im Bericht heftig geforderte Devisentransaktionssteuer (bzw. Finanztransaktionssteuer) wahrscheinlicher geworden ist, steht zu befürchten, dass die Einahmen daraus nicht zu umwelt- und entwicklungspolitischen Zwecken zur Verfügung stehen sondern in die Sanierung nationaler Haushalte fließen werden.

UNDP, Human Development Report 2011: Sustainability and Equity: A Better Future for All, 176 pp, New York 2011. Bezug: über www.undp.org

Veröffentlicht: 17.11.2011

Empfohlene Zitierweise: Jörg Goldberg, HDR 2011: Mehr Nachhaltigkeit durch Gerechtigkeit, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 17. November 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)