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Neuausrichtung der EU-Entwicklungspolitik

Artikel-Nr.: DE20111106-Art.56-2011

Neuausrichtung der EU-Entwicklungspolitik

Eine Agenda für die Rolle rückwärts

Vorab im Web - Schon Mitte Oktober 2011 hat die EU-Kommission eine ???042ae69f950f6fc16??? veröffentlicht. Der hochtrabende Leitsatz „Eine Agenda für den Wandel“ verspricht viel – aber nicht alles Neue ist gut. In vielen Bereichen ist die Mitteilung ein Rückschritt, setzt auf Wirtschaftswachstum und ignoriert die großen Herausforderungen, meinen Ska Keller und Anna Cavazzini.

Die entwicklungspolitischen Leitlinien der EU sind im sog. Entwicklungspolitischen Konsens von 2005 festgeschrieben, der von Kommission, Rat und Parlament gemeinsam unterzeichnet wurde. Der Konsens legte zum ersten Mal in der Geschichte der europäischen Entwicklungszusammenarbeit gemeinsame Prinzipien für EU und Mitgliedsstaaten fest. Die große Frage der Development Community in Brüssel war somit in den letzten Monaten: Wird die Kommission mit der neuen Mitteilung den Konsens aufkündigen? Die Kommission hat das bestritten.

* Unterhöhlung des Konsenses

Dennoch liegt auf der Hand, dass die groß angekündigte strategische Neuausrichtung der EU-Entwicklungspolitik den Konsens unterhöhlen wird. Das ist insofern problematisch, als das Parlament nicht an der Erstellung des neuen Dokuments beteiligt war. Außerdem entsteht diese Neuausrichtung unter ganz anderen Vorzeichen als noch 2005: Finanzkrise, Wirtschaftskrise und Eurokrise befeuern Debatten wie „weniger für mehr“ und manche Regierungen schieben Sparzwänge vor, um ihre Entwicklungsbeiträge zu kürzen.

Man muss die Agenda im Kontext der Kommissionsvorschläge zur Neuausrichtung der Außeninstrumente (W&E 11/2010) sehen, die einige Wochen vorher veröffentlicht wurden und eine stärkere Differenzierung zwischen den Entwicklungsländern und ein Auslaufen der Hilfen für Schwellenländer vorsehen. Die großen Neuerungen der Agenda sind nun eine Fokussierung auf inklusives Wachstum, Good Governance und eine stärkere Konditionalität.

* Wachstumsorientierung und neue Konditionalität

Wachstumsdebatten treten in der Entwicklungspolitik anscheinend immer zyklisch auf. Jetzt ist die Kommission also mal wieder auf das Thema angesprungen. Sie meint, dass der Wirtschaftssektor auf jeden Fall stärker gefördert werden muss, damit die Entwicklungsländer sich selber aus der Armut befreien können. Damit das Ganze nicht zu wirtschaftsfreundlich aussieht, hat das Konzept noch einen „inklusiven“ Anstrich bekommen, und das Wachstum soll breitenwirksam sein und allen zu Gute kommen. Viele Schwerpunkte aus dem Konsens wie Umwelt, Wasser oder Gesundheit geraten dabei ins Hintertreffen. Positiv hervorzuheben ist, dass insbesondere die kleinbäuerliche Landwirtschaft und der Zugang zu sauberen Energien im Rahmen der Wachstumsstrategie gefördert werden sollen.

Natürlich ist es wichtig und richtig, Menschenrechte und Good Governance zu fördern. Entwicklungskommissar Piebalgs betonte selbst jedoch immer wieder bei Auftritten im Parlament, dass sich Europa nicht als Lehrmeister gebärden soll, der den Entwicklungsländern vorschreibt, was sie zu tun und zu lassen haben. Er sieht ein, dass eine Kürzung von Hilfsgeldern in Regimen, die die Menschenrechte missachten, oft nur die Ärmsten trifft. Umso mehr verwundert nun diese starke Betonung auf Konditionalitäten in der Kommissionsmitteilung.

* Geberkoodinierung und Kohärenz: Fehlanzeige

Die großen Brocken Geberkoordinierung und Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung („Policy Coherence for Development“ - PCD) werden nicht angegangen. Gerade in diesen beiden Bereichen könnte jedoch ein massiver Mehrwert der EU liegen.

Ersteres wird von den Mitgliedsstaaten behindert, weil sie sich nicht in ihre Zuständigkeiten reinreden lassen wollen und ihre nationalen Fähnchen auf ihren Entwicklungsprojekten wehen sehen wollen. Der Prozess dümpelt schon Jahre in der „Freiwilligkeit“ dahin. PCD geht die Kommission immer nur an, in dem sie „Synergien“ herstellen will. Es geschieht aber nicht, dass die Generaldirektion Entwicklung sich auch mal vorwagt und ihre KollegInnen aus dem Agrarbereich zurückpfeift, die gerade die Fortführung der Agar-Exportsubventionen vorantreiben oder den lieben FreundInnen aus der Generaldirektion Handel in die Arme fällt, die eine Handelsstrategie auf den Weg bringen, die die massive Liberalisierung der Märkte in den Entwicklungsländern vorantreibt.

Die EU Entwicklungspolitik nimmt immer für sich in Anspruch, dort zu agieren, wo sie einen Mehrwert hat. Bei den zwei wichtigsten Punkten liefert sie nicht.

Hinweis:
* Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions, Increasing the impact of EU Development Policy: an Agenda for Change, Brussels, 13.10.2011 (COM(2011) 637 final)

Veröffentlicht: 6.11.2011

Empfohlene Zitierweise: Ska Keller/Anna Cavazzini, Neuausrichtung der Entwicklungspolitik: Eine Agenda für die Rolle rückwärts, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 6. November 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)