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Neue Handelsstrategie: Global Europe aufgerüstet

Artikel-Nr.: DE20110107-Art.03-2011

Neue Handelsstrategie: Global Europe aufgerüstet

Knallharte Forderungen und wohlfeile Ankündigungen

Vorab im Web - Die Europäische Union (EU) geht mit einer neuen Handelsstrategie ins neue Jahr, die so neu nicht ist wie sie daher kommt. Die von Handelskommissar Karel De Gucht im letzten November vorgestellte Strategie fordert mehr Rechte und Fairness im Welthandel – für europäische Unternehmen. Auch ansonsten verordnet sie im Wesentlichen mehr von der bereits bekannten Medizin, schreibt Armin Paasch.

Die Außenhandelsinteressen europäischer Unternehmen will die Kommission künftig rigoroser und „mit allen verfügbaren Mitteln“ durchsetzen. Wichtigstes Vehikel dazu sind bilaterale Freihandelsabkommen, während die WTO im Wesentlichen als „Schutzschild gegen protektionistische Rückschläge“ fungieren soll. Auf eine härtere Gangart müssen sich vor allem Schwellenländer einstellen. Ihnen will die Kommission offenbar keine Vorzugsbehandlung mehr gewähren, sondern pocht zunehmend auf das Prinzip der Gegenseitigkeit.

* Global Europe und Europe 2020

Trade, Growth and World Affairs lautet der etwas hochtrabende Titel der neuen Handelsstrategie, welche die Global-Europe-Strategie von 2006 ablöst (EC 2010a und Kommission 2006). Sie soll die externe Dimension der Europe-2020-Strategie konkretisieren und damit einen wichtigen Beitrag zu einem „intelligenten, nachhaltigen und inklusiven Wachstum“ leisten (EC 2009). Dabei wird deutlich: Neue Regulierungsansätze, wie sie seit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise etwa für die Finanzmärkte diskutiert werden, finden in der Handelspolitik der EU keinerlei Widerhall. Protektionistische Gegenreaktionen will die Kommission vielmehr möglichst rasch rückgängig machen. „Offene Volkswirtschaften neigen zu einem schnelleren Wachstum als geschlossene“, so das unerschütterliche Credo.

Bereits jetzt hängen laut Kommission über 36 Mio. Arbeitsplätze in der EU „direkt oder indirekt“ vom Außenhandel ab. Wenn die bereits in Verhandlung befindlichen Freihandelsabkommen umgesetzt würden, so die Verheißung im Vorwort – werde die europäische Wirtschaft um 1% zusätzlich wachsen. Schon in fünf Jahren würden 90% des Wachstums außerhalb Europas stattfinden. „Mein Ziel ist sicherzustellen, dass die europäische Wirtschaft einen fairen Deal erhält und unsere Rechte geachtet werden, so dass wir alle von den Vorteilen des Handels profitieren können“, erklärte Handelskommissar Karel De Gucht am 9. November.

* Ein fairer Deal für die EU?

Zollabbau gegenüber landwirtschaftlichen und industriellen Exporten der EU bleibt dazu ein wichtiges Ziel. Dieser muss auf Gegenseitigkeit beruhen und substantiell den gesamten Handel umfassen. Tatsächlich verlangt die EU von den AKP-Staaten die Abschaffung von mindestens 80% aller Zölle, dem Vernehmen nach von Indien sogar 98%. Laut einer Begleitstudie zur neuen Strategie werden die Zollsenkungen im Rahmen der laufenden Verhandlungsprozesse den Handel sogar stärker beflügeln als die Beseitigung der nicht-tarifären Handelshemmnisse (EC 2010c: 5). Dennoch sieht die Kommission, wie auch schon 2006, in der letzteren Kategorie die wichtigsten Herausforderungen zu einem „intelligenten Wachstum“:

* Dienstleistungen machen inzwischen 70% der weltweiten Wirtschaftsleistung aus, aber nur 20% des Welthandels. Als Weltmarktführer in diesem Bereich will die EU daher „durch alle verfügbaren Mittel größere Offenheit für unsere Anbieter von Dienstleistungen“ erreichen.
* Mehr Schutz und Marktöffnung für europäische Investitionen will die Kommission verstärkt in Handelsabkommen integrieren, zuvorderst gegenüber Kanada, Singapur und Indien.
* Öffentliche Aufträge, zum Beispiel in Verkehr, Gesundheitsversorgung und grünen Technologien, machen in Industrieländern über 10% des Bruttoinlandsproduktes aus, in Entwicklungsländern sogar 20-30% (EC 2010b: 20). Hier will die Kommission „weiterhin für eine Öffnung der öffentlichen Beschaffung im Ausland Druck machen, und [...] insbesondere diskriminierende Praktiken bekämpfen“ (EC 2010a: 10).

Zu den Prioritäten der Kommission gehört ferner die Sicherung eines „nachhaltigen und unverzerrten Angebots von Rohstoffen und Energie“, wozu sie Handelsregeln „bis zum Maximum“ ausnutzen und weiterentwickeln will (EC 2010a: 8). Ebenfalls zum Wohle der „Nachhaltigkeit“ und des Klimaschutzes fordert sie die Beseitigung von Handelsschranken gegenüber Umweltgütern und –dienstleistungen. Für geistige Eigentumsrechte europäischer Konzerne schließlich will die Kommission in Freihandelsabkommen möglichst ein „identisches Schutzniveau“ aushandeln wie innerhalb der EU, wobei freilich der Entwicklungstand der betroffenen Länder in Betracht gezogen werde.

* Das Ende der „Naivität“

Neu sind diese Prioritäten nicht. Im Wesentlichen reflektieren sie die Agenda, welche die Kommission schon 2006 in Global Europe vorgezeichnet hatte und in bilateralen Verhandlungen mit den AKP-Staaten, den Andenstaaten, Süd- und Südostasien, Südkorea, Indien u.a. energisch verfolgt hat. Neu ist gegenüber 2006 das positive Bekenntnis zu Verhandlungen mit einzelnen Ländern, wenn „komplexe Dynamiken innerhalb der Gruppe“ die Ambitionen zu schmälern drohen (EC 2010b: 23). Faktisch hat die EU diesen für die regionale Integration äußerst abträglichen Schritt gegenüber vielen AKP-Staaten, Kolumbien, Peru, Singapur und Malaysia schon längst vollzogen.

Neu ist auch der auffällig aggressive Zungenschlag, der sich durch das gesamte Dokument zieht: „Die EU wird eine offene Wirtschaft bleiben. Aber wir werden nicht naiv sein“, so der trotzige Grundtenor. „Wir werden gegen jedwede protektionistische Tendenz energisch vorgehen, die unseren Interessen schaden könnte.“ (EC 2010a: 4 und 12). Durchsetzungsinstrumenten widmet die neue Strategie daher deutlich mehr Aufmerksamkeit als noch 2006. In der Rolle als „Schutzschild gegen protektionistische Rückschläge“ sieht die Kommission zunächst die WTO. Deren Überwachungsfunktionen und das Streitschlichtungsverfahren gelte es zu stärken sowie den Beitritt strategisch wichtiger Länder wie Russland zu fördern. Um „unabhängige Empfehlungen“ für die Post-Doha-Agenda zu entwickeln, kündigt die Kommission die Einrichtung einer „Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten“ an.

Über die WTO hinaus enthält die Strategie ein eigenes Kapitel zur Implementierung und Durchsetzung der Handelsagenda der EU. Neben recht harmlosen Instrumenten wie „Naming and Shaming“ über die G20 findet sich dort auch die handfeste Drohung, gegen Exportbeschränkungen künftig verstärkt mit Importschutzmaßnahmen vorzugehen (EC 2010a: 13). Um Handelspartnern bei der öffentlichen Beschaffung, Dienstleistungen oder Investitionen mehr Zugeständnisse abzuringen, erwägt die Kommission in ihrem Fortschrittsbericht zu Global Europe sogar Androhungen, „das Niveau der Offenheit der EU zeitweise zu reduzieren“. Freilich müsse eine solche Strategie sehr sorgfältig durchdacht werden (EC 2010b: 23).

* Gegenseitigkeit statt Vorzugsbehandlung

Auf eine härtere Gangart der EU müssen sich insbesondere die größeren Entwicklungsländer einstellen: „Handelspolitik wird in Europa keine öffentliche Unterstützung erlangen, wenn wir keinen fairen Zugang zu Rohstoffen erhalten oder der Zugang zu öffentlichen Aufträgen blockiert wird“ (EC 2010a: 4). Nicht nur von entwickelten, sondern auch den aufstrebenden Partnern erwarte die Kommission Anstrengungen „im Geiste der Gegenseitigkeit und des beiderseitigen Nutzens“. Dieses Prinzip der Gegenseitigkeit, das für Entwicklungsländer bislang nur im Rahmen bilateraler Abkommen gegolten hatte, will die Kommission offenbar auch auf andere Bereiche ausweiten. Bevor die Doha-Runde abgeschlossen werden könne, so heißt es etwa, müsse ein „allgemeines Verständnis über Schlüsselthemen wie Anspruch, Ausgewogenheit und Gegenseitigkeit“ erreicht werden (EC 2010b: 5).

Auch mit Hinblick auf die 2011 anstehende Reform des Allgemeinen Präferenzsystems (APS) in der EU erklärt die Kommission, dass der Fokus auf den „bedürftigsten Ländern“ liegen muss. Explizit problematisiert wird zum Beispiel der bevorzugte Marktzugang, den die EU Indien im Rahmen des APS bislang einräumt, obgleich hohe Handelsschranken die Aktivitäten europäischer Unternehmen dort behinderten. Manches deutet also darauf hin, dass Schwellenländer die Verlierer der APS-Reform werden könnten. Beunruhigend ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis, dass für den Genuss von APS-Präferenzen neben der Einhaltung von Menschenrechten sowie Umwelt- und Arbeitsstandards auch Steuerfragen relevant sein sollen, was sich möglicherweise auch auf Exportsteuern beziehen könnte. Die Bekundungen im Kapitel zum „inklusiven Wachstum“, auch Entwicklungsländern neue Chancen zu eröffnen, klingen vor diesem Hintergrund wohlfeil. Dass in Ländern wie Indien und China immer noch der weitaus größte Teil der Armen und Hungernden beheimatet ist, blendet die Kommission gänzlich aus.

Die Kohärenz der Außenhandelspolitik mit den MDGs und den Menschenrechten ist ein Gebot des EU-Vertrags. Dennoch werden mögliche diesbezügliche Auswirkungen der von der EU geforderten Deregulierungsmaßnahmen nirgendwo kritisch reflektiert. So fürchten NGOs und Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen Verletzungen des Rechts auf Nahrung durch die Verdrängung von Kleinbauern aufgrund des radikalen Zollabbaus. Die Marktöffnung für Dienstleistungen und Investitionen könnte zur Verdrängung von KleinhändlerInnen durch europäische Supermärkte führen. Die Verschärfung geistiger Eigentumsrechte könnte den Zugang der Ärmsten zu Generika und Saatgut einschränken und damit die Rechte auf Gesundheit und Nahrung gefährden. All diese Bedenken, welche durch NGOs auch in der öffentlichen Konsultation der EU angemeldet wurden, finden in der Strategie keine Erwähnung. Ob von einer eigenen Mitteilung zu Handel und Entwicklung, welche die Kommission für 2011 angekündigt, positive neue Ansätze zu erwarten sind, bleibt vor diesem Hintergrund zweifelhaft.

Armin Paasch ist Handelsreferent beim Bischöflichen Hilfswerk Misereor. Kontakt: armin.paasch@misereor.de.

Hinweise:
* European Commission 2010a: Trade, Growth and World Affairs. Trade Policy as a Core Component of the EU’s 2020 Strategy, Brüssel 2010.
* European Commission 2010b: Report on Progress achieved on the Global Europe Strategy, 2006-2010. Commission staff working document accompanying the Commission’s communication on “Trade, Growth and World Affairs”, Brüssel 2010.
* European Commission 2010c: Trade as a Driver of Prosperity. Commission staff working document accompanying the Commission’s
communication on “Trade, Growth and World Affairs”, Brüssel 2010.
* Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2006: Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt. Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung, Brüssel 2006.

Veröffentlicht: 7.1.2011

Empfohlene Zitierweise: Armin Paasch, Neue Handelsstrategie: Global Europe aufgerüstet. Harte Forderungen und wohlfeile Ankündigungen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 01/Januar 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).