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Neue Regeln für das internationale Kreditgeschäft

Artikel-Nr.: DE20110510-Art.28-2011

Neue Regeln für das internationale Kreditgeschäft

Ein Projekt der UNCTAD

Nur im Web – 2007 erließ die norwegische Mitte-Links-Regierung in einem spektakulären Schritt fünf Ländern die Schulden aus einem wenig sinnvollen norwegischen Kreditprogramm der 70er Jahre. Die Skandinavier steckten dafür harsche Kritik des Gläubigerkartells "Pariser Club" ein und waren enttäuscht, dass niemand ihrem Beispiel folgen und selbst auch die eigenen Forderungen an Entwicklungs- und Schwellenländer auf den Prüfstand stellen wollte. Von Jürgen Kaiser.

Um trotzdem eine internationale Debatte über die Qualität von Kreditvergabe an Entwicklungs- und Schwellenländer in Gang zu bringen, entschloss sich die Regierung in Oslo Ende 2008, die UNCTAD mit der Erstellung allgemeinverbindlicher Regeln und Leitlinien ("Principles") für verantwortliche Kreditvergabe und –aufnahme zu betrauen. Zu diesem Zweck wurde mit großzügiger Finanzierung der Norweger in Genf ein kleiner Arbeitsstab eingerichtet, der im Zeitraum von drei Jahren einen entsprechenden Textentwurf vorlegen sollte.

* Aufnahme zivilgesellschaftlicher Anregungen

Um ansatzweise Akzeptanz in der Investoren-Community wie auch der interessierten Zivilgesellschaft zu erreichen, wurde zur Erarbeitung von Textentwürfen ein "Expert/innen"-Panel zusammengerufen, das vom Pariser Club, der Weltbank, dem IWF und der Investoren-Vereinigung EMTA auf der einen Seite bis zu den erlassjahr/Jubilee-Kampagnen aus Nord und Süd auf der anderen reichte. Renommierte Jurist/innen und Ökonom/innen rundeten das Panel ab.

Es gab seither fünf internationale Arbeitstreffen. Bis zum Ende 2010 spiegelten die vorgelegten Texte aber vor allem die Widersprüchlichkeit in den Interessen der Beteiligten wider: Formulierungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner waren für Niemanden eine Herausforderung und wären wahrscheinlich den Weg vieler UN-Dokumente in die Regale gegangen. Seit Anfang dieses Jahres ist aus den allerersten Textentwürfen etwas geworden, was deutlich mehr Hand und Fuß hat.

Das im Netz der Öffentlichkeit zugängige Dokument (s. Hinweis) nimmt wichtige Punkte aus den zivilgesellschaftlichen Vorarbeiten, nämlich der EURODAD Charter on Responsible Lending und der AFRODAD Charter on Responsible Borrowing (s. Hinweise) auf. Es ist auch mit einer getrennten Formulierung der Rechte und Pflichten von Investoren und Kreditnehmern klarer gegliedert. Frühere Entwürfe hatten ohne diese Unterscheidung allzu sehr den Charakter eines Appells, nett zueinander zu sein.

* Pflichten für Schuldner und Gläubiger

Der aktuelle Entwurf berührt zahlreiche Punkte, die in der Diskussion um illegitime Schulden in den letzten Jahren als Grundlagen für unfaire Verträge in den Fokus der Kritik geraten waren, und zwar sowohl auf der Kreditgeber- wie auch der Kreditnehmer-Seite. Auf der ersteren stehen im Mittelpunkt:
* Mitverantwortung der Gläubiger dafür, dass der Kreditnehmer auf der Grundlage aller relevanten Informationen eine verantwortliche Entscheidung treffen kann.
* Der Gläubiger muss eine eventuell drohende Überschuldung des Schuldners bei der Vergabe angemessen berücksichtigen.
* Wo Staaten in die Zahlungsunfähigkeit geraten, sollten Gläubiger auf eine faire und zügige Lösung des Überschuldungsproblems hinarbeiten, statt – wie aktuell die Geierfonds – eine bevorzugte Behandlung der eigenen Forderung anzustreben.

Die wichtigsten Verpflichtungen für den Kreditnehmer beziehen sich dagegen auf
* die Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen, welche eingegangene Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen haben werden;
* die Schaffung von Transparenz, insbesondere gegenüber dem jeweiligen Gesetzgeber; aber auch die breitere Öffentlichkeit sollte grundsätzlich zeitnah Zugang zu Informationen über die eingegangenen Zahlungsverpflichtungen haben;
* die regelmäßige und verlässliche Durchführung unabhängiger Buchprüfungen ("Audits").

So profan vieles von diesen "Prinzipien" klingt, wären sie in der vorliegenden Form – wenn sie denn so Beachtung fänden – ein großer Fortschritt gegenüber der aktuellen Wirklichkeit öffentlicher Finanzierungen. Diese ist gekennzeichnet durch Probleme gemeinsamen Handelns auf der Gläubigerseite; das heißt, Gläubiger-(Gruppen) tendieren bei Zahlungsschwierigkeiten dazu, ihre eigenen Forderungen in Sicherheit zu bringen, ohne die Folgen für die Lebensfähigkeit des Schuldners zu berücksichtigen. Intransparenz auf beiden Seiten führt zu fragwürdigen Projekt- und Programmfinanzierungen, die häufig die Kriterien für illegitime Schulden erfüllen, ohne auch als solche behandelt zu werden. Und auf der Schuldnerseite unterstützt Intransparenz häufig die Komplizenschaft zwischen öffentlichen Bediensteten in Finanzministerien und Zentralbanken und ihren Financiers – zum Nachteil der Bevölkerung.

* Mehr als eine akademische Übung?

Ob die "Prinzipien" tatsächlich mehr sein werden als eine akademische Übung, wird von zwei Faktoren abhängen: Formal muss die UNCTAD es schaffen, die Regierungen, die bislang in einem sehr lockeren und unverbindlichen "Beirat" in das Projekt eingebunden waren, verbindlich einzubeziehen. Nur wenn Gläubiger- wie Schuldnerregierungen erkennen lassen, dass sie die Prinzipien in der vorliegenden oder einer noch weiter entwickelten Form verbindlich machen wollen, besteht die Chance, dass auch die privaten Geber auf solche Standards verpflichtet werden können.

Dafür wiederum ist ein inhaltlicher Aspekt entscheidend, der in der letzten Fassung der Prinzipien endlich die gebührende Beachtung gefunden hat, nämlich die Frage, wie ein Um- und Entschuldungsprozess zu gestalten ist, wenn ein Schuldnerland nicht mehr zahlen kann oder will. Die Prinzipien verlangen, dass eine Umschuldung "schnell, effizient und fair" umgesetzt werden soll. Mithin das genaue Gegenteil der gängigen Praxis im Pariser Club oder von dem, was die Europäische Union gerade im Blick auf Griechenland und Co. veranstaltet.

Interessanterweise setzt der UNCTAD-Stab dabei große Hoffnungen gerade auf Deutschland. Die Verpflichtung auf die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens im Koalitionsvertrag sollte für Deutschland Anreiz genug sein, im Rahmen des existierenden UNCTAD-Projekts diese Schlüsselfrage voranzutreiben, also die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass z.B. im Sinne des oben genannten ersten Punktes, ein Gläubiger, der dem Schuldner wichtige Informationen vorenthält, tatsächlich nicht uneingeschränkt auf die Rückzahlung seiner Forderung vertrauen darf. Nur wenn jemand, der die "Prinzipien" verletzt, im Rahmen eines unparteiischen Verfahrens tatsächlich Sanktionen für die Werthaltigkeit seiner Forderungen gewärtigen muss, besteht die Chance, dass die hehren Formulierungen aus der UNCTAD mehr sind als fromme Wünsche.

Hinweise:
* UNCTAD, Draft Priciples on Promoting Responsible Sovereign Lending and Borrowing, 11 pp, UNCTAD: Geneva, 26 April 2011 (unter http://www.unctad.org/en/docs/gdsddf2011misc1_en.pdf )
* EURODAD Responsible Financing Charter (unter http://www.eurodad.org/debt/report.aspx?id=120&item=02060 )
* AFRODAD Borrowing Charter (unter http://www.afrodad.org/index.php?option=com_docman&task=doc_details&Itemid=11&gid=138)

Jürgen Kaiser ist Koordinator des bundesweiten Entschuldungsbünsnisses erlassjahr.de und Mitglied des UNCTAD-Expertenpanels.

Veröffentlicht: 10.5.2011

Empfohlene Zitierweise: Jürgen Kaiser, Neue Regeln für das internationale Kreditgeschäft. Ein Projekt der UNCTAD, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 10. Mai 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)