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Neues Afrika-Konzept: Auf gleicher Augenhöhe?

Artikel-Nr.: DE20110629-Art.37-2011

Neues Afrika-Konzept: Auf gleicher Augenhöhe?

Wie David und Goliath

Vorab im Web – Papier ist bekanntermaßen geduldig, und Sprache trügerisch. Doch dazu gleich mehr. Erst einmal lässt sich konzedieren, dass sich die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik bemüht hat, mit dem im Juni vorgelegten Dokument „Deutschland und Afrika: Konzept der Bundesregierung“ Farbe zu bekennen (das Wortspiel ist Absicht). Sie sollte sich daran messen lassen, schreibt Henning Melber.

Der Text liest sich eingängig, wirkt ausgewogen und bleibt unspektakulär. Eigentlich nichts, was aufregend sein könnte. Vielleicht nicht ganz unbescheiden: „Deutsche Produkte stehen für Qualität, die Zusammenarbeit mit Deutschland für Verlässlichkeit“, heißt es auf Seite 7 (alle Zitate nach dem vom Auswärtigen Amt veröffentlichten Dokument; s. Hinweis). Von Grundwerten jenseits deutscher Wertarbeit ist auch die Rede, indem die universellen Menschenrechte zum Bezugspunkt genommen werden.

* Strukturelle Ungleichheit

Demnach sind alle Menschen gleich. Also auch Deutsche und Afrikaner. Deshalb muss wohl auch erneut das unter Außenminister Joschka Fischer geprägte Schlagwort von der „Partnerschaft auf Augenhöhe“ mehrfach (auf S. 9 farblich abgehoben eingeführt) betont werden. Hört sich gut an. Ich habe mich aber stets gefragt, wie eine solche Partnerschaft eigentlich aussieht, wenn die historisch-strukturell geschaffenen und verankerten Austauschbeziehungen auf einer Hierarchie beruhen, die Ungleichheit als immanenten Bestandteil hat. Kniet sich der deutsche Goliath nieder, wenn er mit David in den Dialog geht? Oder lässt er sich ab der Hüfte amputieren? Vielleicht darf ja auch David eine Leiter erklimmen, dass der Wurf mit der Schleuder bessere Aussichten auf Erfolg hat?

So lange EU-Geflügelabfälle den heimischen Markt Westafrikas zerstören und ostfriesische Butter zu Dumping-Preisen im südlichen Afrika die Konsumenten auf Kosten der lokalen Produzenten erfreut, so lange also fortgesetzte Agrarsubventionen für europäische Agrarkonzerne ruinöse Wirtschaftssabotage gegenüber der heimischen Bauernschaft betreiben, kann von solcher Augenhöhe jedenfalls kaum die Rede sein. Sie würde kein Gefälle, sondern eine flache Ebene für Austauschbeziehungen voraussetzen, oder sogar umgekehrt David auf die Höhe setzen, von der aus dieser Goliath in die Augen blicken könnte, um im etwas arg beanspruchten Bilde zu bleiben.

* Semantische Spitzfindigkeit oder Abtreibung der Geschichte?

„Deutschland und Afrika verbindet eine lange gemeinsame Geschichte“ (S. 7, wobei die Gemeinsamkeit erneut farblich betont wird). Dass die nicht besonders partnerschaftlich begann, bleibt unerwähnt. Der gegenwärtige Auftrag wertegeleiteter deutscher Politik definiert sich da wohltuend anders: „Deutsche Menschenrechtspolitik (in Hervorhebung) kämpft in Afrika gegen die Straflosigkeit schwerer Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (S. 11). – Hoffentlich auch anderswo. Schade nur, dass die eigene Völkermordvergangenheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts im südwestlichen und östlichen Teil des Kontinents dabei vornehm verschwiegen wird. Als ob das mit heutigen Beziehungen nichts zu tun hätte.

Am 10. Juni (etwa eine Woche vor der Veröffentlichung des afrikapolitischen Grundsatzpapiers) beantwortete die Bundesregierung eine Kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ im Bundestag. Zur Frage nach dem Völkermord im damaligen Deutsch-Südwestafrika reagierte sie mit dem Verweis, dass die Völkermordskonvention von 1948 für die Bundesrepublik 1955 in Kraft getreten ist und nicht rückwirkend gelte. Die Bundesregierung habe sich „wiederholt zu der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands gegenüber der Republik Namibia bekannt“. Sie komme dieser Verantwortung „insbesondere durch eine verstärkte bilaterale Zusammenarbeit – auch auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit – nach“. Der identische Satz findet sich auch in der fünf Tage später erfolgten Beantwortung einer ähnlichen Frage der SPD-Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul. Semantische Spitzfindigkeit oder euphemistische Abtreibung der Völkermordgeschichte? Wie ernst lässt sich das Bekenntnis im neuen afrikapolitischen Konzept nehmen, wenn es mit der Heuchelei hinsichtlich der mangelnden Aufarbeitung eigener Kolonialvergangenheit in Bezug gesetzt wird?

* Stolperstein EPAs

Es ist erfreulich bestätigt zu finden, dass die Bundesregierung „Afrikas Bemühungen um regionale wirtschaftliche Integration“ unterstützt (S. 13). Es wäre hilfreich zu wissen, wie genau. Denn „Werte, Interessen und Ziele der Gemeinsamen Afrika-EU-Strategie bilden den Rahmen auch für die deutsche Politik“ (S. 7). Leider gibt es da etwas mit dem Kürzel EPA (Economic Partnership Agreement), das die EU seit Jahren versucht den AKP-Staaten gegen deren Widerstand aufzuzwingen. Die Bundesregierung unterstützt diese Initiative ausdrücklich (S. 34). Das hat mit der Förderung regionaler Märkte und Zusammenschlüsse so viel zu tun wie der Teufel mit dem Weihwasser. Die 15 SADC-Staaten müssen z.B. in vier verschiedenen EPA-Konfigurationen verhandeln, obwohl sie eine gemeinsame Strategie zur Errichtung einer Freihandelszone verfolgen. Die EPAs sind dabei ein erheblicher Stolperstein und Stein des Anstoßes, mit dem sich deutsche Afrikapolitik identifiziert. Die Weigerung von Ländern Afrikas, die Interim-EPAs zu unterzeichnen, hat - wie im Falle Namibias - erpresserische Drohungen zur Folge. - Wo bleibt da die Augenhöhe?

* Werteorientierung und Wirklichkeit

Die Förderung afrikanischer Sicherheitspolitik nimmt einen prominenten Platz in dem Dokument ein. Rüstungskontrolle und Abrüstung werden als wichtige Elemente für Stabilität benannt (S. 23). Das ist zu begrüßen. Die deutsche Unterstützung dieser Bemühungen wäre aber vielleicht noch glaubwürdiger, wenn die Rüstungsproduktion im eigenen Lande und deren –exporte ab- anstatt zunehmen würde. – Laut SIPRI-Daten haben sich deutsche Waffenexporte zwischen 2006 und 2010 gegenüber 2001 bis 2005 nahezu verdoppelt.

Ähnliche Fragen drängen sich bei der lobenswerten Absichtserklärung auf, dass in Afrika die internationalen Übereinkommen im Abfall- und Chemikalienbereich koordiniert umgesetzt werden sollten (S. 39). Gehört zu dieser Koordinierung die Verpflichtung, dass kein deutscher Müll nach Afrika verfrachtet wird?

Bei all der partnerschaftlichen Werteorientierung, die das Dokument durchtränkt, vermisse ich zudem die Umsetzung im eigenen Land. Wie steht es um die Asylpolitik und wie um die Studiengenehmigung für AfrikanerInnen? Wie steht es um die Förderung der Afrikawissenschaften an den deutschen Hochschulen und anderen Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie der Förderung afrikanisch-deutscher Wissenschaftskooperation und gemeinsamer Forschungspraxis?

Um abschließend nochmals anhand meiner eigenen, Namibia-geprägten Perspektive auf die gleiche Augenhöhe zurück zu kommen: Im deutschen Herbst 2010 wurde ein namibischer Minister mit Diplomatenpass im Transit (!) von Mexiko nach Namibia beim Zwischenstopp auf dem Münchner Flughafen stundenlang fest gehalten, weil sein Reisedokument als Fälschung verdächtigt wurde. Den Anschlussflug nach Hause verpasste er. Was wäre wohl, wenn BMZ-Minister Dirk Niebel bei seinem Besuch in Namibia Anfang dieses Jahres eine ähnliche Behandlung durch die namibische Grenzkontrolle erfahren hätte?

Hinweis:
* Auswärtiges Amt (Hg.), Deutschland und Afrika. Konzept der Bundesregierung, 68 S., Berlin 2011. Bezug: über www.cidal.diplo.de

Dr. habil. Henning Melber lebte ab 1967 in Namibia und ist seit 1974 Mitglied der SWAPO. Von 1992 bis 2000 leitete er die Namibian Economic Policy Research Unit (NEPRU) in Windhoek, war bis 2006 Forschungsdirektor des Nordic Africa Institute in Uppsala, wo er seither geschäftsführender Direktor der Dag Hammarskjöld Stiftung ist.

Veröffentlicht: 29.6.2011

Empfohlene Zitierweise: Henning Melber, Neues Afrika-Konzept: Auf gleicher Augenhöhe? Wie David und Goliath, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 29. Juni 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)