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Noch eine neue Partnerschaft für die Südflanke?

Artikel-Nr.: DE20110320-Art.18-2011

Noch eine neue Partnerschaft für die Südflanke?

Obsolete EU-Mittelmeerpolitik

Nur im Web - Die Mittelmeerregion ist derzeit eine Krisenregion par excellence: Während die EU-Mitgliedsländer am Nordrand unter Finanz- und Schuldenkrisen leiden (W&E-Dossier: Die Schuldenkrise in Europa), werden die südlichen Anrainer von politisch-sozialen Revolten erschüttert, deren Ausgang noch nicht abzusehen ist. Nur mühsam stellt sich die Europäische Union auf die neue Lage ein, von der ihr bisheriger Kurs der Kumpanei mit autokratischen Regimen über den Haufen geworfen wurde, analysiert Rainer Falk.

Kein geringerer als Štefan Füle, der EU-Kommissar für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik (so der amtliche Brüsseler Euphemismus für die südlichen Mittelmeeranrainer), gestand kürzlich öffentlich ein, dass die politische Unterstützung der repressiven Regime im arabischen Raum durch die EU ein Fehler war. „Wir müssen demütig sein angesichts der Vergangenheit“, sagte er Ende Februar 2011 vor dem Europäischen Parlament. „Europa war nicht laut genug in der Verteidigung der Menschenrechte und der Unterstützung der demokratischen Kräfte in der Region.“ Und: Europa müsse seine Angst vor Islamismus, wachsenden Migrationsströmen und der Unterbindung der Ölzufuhr überwinden.

* Für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand?

Geht es nach den Beschlüssen des Europäischen Rats vom 11. März 2011, dann soll jetzt in der Tat ein grundlegender Wandel der europäischen Mittelmeerpolitik eingeleitet werden. Eine „Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand“ will die EU fortan entwickeln – so der Titel einer Gemeinsamen Mitteilung der Kommission und der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, die der Rat absegnete. Doch es ist keineswegs ausgemacht, dass die neue Partnerschaftsvision nicht genauso scheitert wie die bisherigen. 1995 hatte die EU die Euro-Mediterrane Partnerschaft proklamiert, die eine „gemeinsame Zone des Friedens, der Stabilität und der gemeinsamen Prosperität“ ins Leben rufen sollte (s. W&E-Sonderdienst 2/1995). Ihr folgte 2004 die sog. Europäische Nachbarschaftspolitik und drei Jahre später die von Frankreich initiierte „Union für den Mittelmeerraum“.

Alle diese Konzepte bestanden aus einer Kombination von ökonomischer Stabilisierungshilfe, Freihandel (mit bestimmten Ausnahmen, etwa dort, wo die Agrarinteressen der südlichen EU-Mitgliedsländer tangiert waren) und sicherheitspolitischer Zusammenarbeit mit den Herrschern der Region (einschließlich Militärhilfe). Diese dreigleisige Politik war aber, wie sich spätestens jetzt gezeigt hat, nicht in der Lage, die mit den zuweilen rasanten Modernisierungsprozessen einher gehenden gesellschaftlichen Destabilisierungstendenzen einzudämmen. Auch das neue Partnerschaftskonzept basiert auf derartigen Ansätzen, mit dem Unterschied freilich, dass künftig nicht mehr Diktatoren, sondern demokratische Prozesse gefördert werden sollen. Dies ist einerseits begrüßenswert, verleiht den neuen politischen und ökonomischen Angeboten aber einen hochgradig potentiellen Charakter. Da ökonomische und finanzielle Hilfen vom Fortgang der Demokratisierungsprozesse abhängig gemacht werden, könnte es Monate dauern, bis es zu irgendwelchen konkreten Abmachungen kommt.

* „Leistungsorientierte“ Demokratie-Konditionalität

Neben einigen Sofortmaßnahmen (30 Mio. € an humanitärer Hilfe, gemeinsame Frontex-Einsätze) entwirft die Mitteilung der Kommission vor allem ein abgestuftes Anreizsystem – man könnte auch sagen: eine Art demokratiepolitischer Konditionalität, die dafür sorgen soll, dass demokratischer Fortschritt belohnt und Rückschritte bestraft werden. In den Worten der Kommission: „Um der sich grundlegend verändernden politischen Landschaft im südlichen Mittelmeerraum Rechnung tragen zu können, benötigt die EU einen neuen Ansatz für die Region: Differenzierung, Konditionalität und partnerschaftliche Beziehungen zwischen unseren Gesellschaften spielen hierbei eine wichtige Rolle…“

Der neue Ansatz, so führt das Dokument aus, sei „ein Wendepunkt in den Beziehungen der EU mit all jenen Partnern, die sich zu spezifischen messbaren Reformen verpflichten. Es handelt sich um einen leistungsbezogenen Ansatz (‚more for more‘), der Anreize geben und motivieren soll: Länder, die ihre Reformen schneller und weiter vorantreiben, können mit mehr Hilfe von der EU rechnen, während Länder, die die vereinbarten Reformen verzögern oder von ihnen abweichen, eine Neuzuweisung der Mittel oder deren Verlagerung auf andere Schwerpunktbereiche befürchten müssen.“

* Zwischen Freihandel und Mittelstandsförderung

Die EU vollzieht also notgedrungen einen Austausch der Bündnispartner in der Region, wobei allerdings abzuwarten bleibt, ob die neuen „Partner“ dabei so ohne weiteres mitspielen werden – zumal auch die Attraktivität der neuen Hilfsangebote nicht gerade selbstevident ist. Zwar ist das neue Programmdokument voll von potentiellen Angeboten für Nordafrika; politisch-inhaltlich sind diese allerdings alles andere als neu. So wird unter dem Punkt „Förderung einer inklusiven wirtschaftlichen Entwicklung“ lediglich die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aufgeführt und lapidar die Schaffung von Arbeitsplätzen versprochen. Die Länder der Region müssten dafür jedoch einen „soliden Regulierungsrahmen (schaffen), der Geschäftstätigkeit und Unternehmertum begünstigt“, wobei die EU durch Politikdialog zur Hilfe bereit sei.

Ein anderes Beispiel für die geringe Originalität des neuen Ansatzes ist der Punkt „Optimierung der Wirkung von Handel und Investitionen“. Hier betont die EU die Notwendigkeit „verlässlicher wirtschaftlicher Rahmenbedingen“ für Handel und ausländische Direktinvestitionen und kündigt eine Vertiefung der Politik der Freihandelsabkommen an. „Die Abkommen sollten über die Abschaffung von Zöllen hinausgehen und schrittweise eine engere Integration zwischen den Volkswirtschaften der südlichen Mittelmeerpartnern und dem EU-Binnenmarkt fördern, u.a. durch Maßnahmen wie Angleichungen im Regulierungsbereich. Besonderer Vorrang sollte Bereichen wie Wettbewerbspolitik, öffentliches Auftragswesen, Schutz von Investitionen und tier- und pflanzengesundheitlichen Maßnahmen eingeräumt werden.“

* Konventionelle Stabilisierungshilfe

Bleiben schließlich die finanziellen Hilfen, die die EU den potentiellen neuen Demokratien in Aussicht stellt. Zwischen 2007 und 2010 hat die EU den fünf nordafrikanischen Staaten rund 1,7 Mrd. € an Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt. Derzeit stehen für den Zeitraum bis Ende 2013 rund 4 Mrd. € bereit – das meiste davon wird jedoch über bilaterale Hilfsprogramme abgewickelt.

Eine besondere Rolle bei der ökonomischen Stabilisierung der Region hat die Kommission für die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Osteuropa-Bank (EBRD) vorgesehen. Gerüchten zufolge könnte die EBRD – vorausgesetzt ihr Mandat würde erweitert – bis zu 1 Mrd. € für Ägypten und Marokko zur Verfügung stellen. Die EIB plant, ihr Kreditvolumen für die südlichen Mittelmeeranrainer für die kommenden drei Jahre um 1 Mrd. € zu erhöhen, so dass sie fast 6 Mrd. in der Region vergeben könnte. Dabei ist das Problem der EIB-Gelder in der Region aus der Sicht kritischer NGOs nicht, dass es zu wenig davon gibt. Seit 2002 hat die EIB dort über 10 Mrd. € vergeben. Aber die Erfahrung etwa mit Globaldarlehen ist, dass sie nur wenig überwacht werden, teilweise in den falschen Händen landen und nicht die Erwartungen der Menschen in den Ländern treffen. Der Mangel an Transparenz bei der EIB-Mittelvergabe ist ein besonders sensibles Thema, da Korruption einer der Hauptgründe für die Aufstände in der Mittelmeerregion war. Schon in stabileren Zeiten war die EIB nicht in der Lage, ihre Kredite so zu vergeben, dass die lokale Bevölkerung statt korrupter Eliten davon profitierte. Deshalb bezweifeln viele NGOs, dass die Bank die Fähigkeit und Kapazität hat, in der aktuellen unsicheren und unübersichtlichen Lage bessere Ergebnisse zu erzielen.

Die Osteuropabank hat ihr Ziel, den osteuropäischen Ländern bei ihrem Übergang zu Marktwirtschaft und Demokratie zu helfen, auch nach ihren eigenen Bewertungsmaßstäben nur mäßig gut erreicht. Nach 20 Jahren Tätigkeit hat es nur eines von 30 Ländern vom Empfänger- zum Geberland geschafft, die Tschechische Republik. Ohne Erfahrung im Mittelmeerraum und ohne öffentlich zugängliche Informationen, welchen Beitrag die EBRD zur Reduzierung der Armut leistet, gibt es nach Ansicht von CEE Bankwatch keinen Grund zu der Annahme, dass sie im Mittelmeerraum mehr erreicht als in den postsozialistischen Ländern.

Hinweis:
* Europäische Kommission/Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Gemeinsame Mitteilung an den Europäischen Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand, Brüssel, den 8.3.2011 (KOM(2011) 200 endgültig)

Veröffentlicht: 20.3.2011

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Noch eine neue Partnerschaft für die Südflanke? Obsolete EU-Mittelmeerpolitik, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 20.3.2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).