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Nord-Süd: Die gespaltene Weltkonjunktur

Artikel-Nr.: DE20110118-Art.06-2011

Nord-Süd: Die gespaltene Weltkonjunktur

Globale Wirtschaftsaussichten 2011

Web-Langfassung - Die weltwirtschaftliche Erholung hält an, verliert jedoch an Fahrt. Seit Mitte 2010 nimmt das Tempo des globalen Wachstums erneut ab, bleibt aber robust. In ihrem neuen Bericht World Economic Situation and Prospects 2011 (WESP 2011) erwarten die Vereinten Nationen eine Expansion der Weltwirtschaft um 3,1% für 2011 und 3,5% für 2012 – weit weniger als notwendig wäre, um die durch die Krise vernichteten Arbeitsplätze zurückzugewinnen. Von Rainer Falk.

Ganz ähnlich fallen die Prognosen der Weltbank aus. In ihren neuen Global Economic Prospects (GEP 2011) sagt sie für 2011 ein weltweites Wachstum von 3,3% voraus (nach 3,9% in 2010), während für 2012 3,6% erwartet werden. Auch was die Risiken der konjunkturellen Entwicklung betrifft, gleichen sich die Diagnosen. Genannt werden die Gefahr einer Verschärfung der Schuldenkrise in Europa, die Zunahme von „Währungskriegen“ und die berühmten globalen Ungleichgewichte.

Bemerkenswert ist immerhin, dass ein notorischer Warner wie der US-Ökonom Nouriel Roubini seit neuestem davon ausgeht, dass sich Abwärtsrisiken und Aufwärtstendenzen in der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Entwicklung in etwa die Waage halten. Wohin die Waage ausschlägt, ist u.a. von der Kooperationsbereitschaft unter den wichtigsten Volkswirtschaften abhängig, die im letzten Jahr ebenso stark nachgelassen hat wie die Bereitschaft zu einer tiefgreifenden Reform des internationalen Finanzsystems.

* Mäßiges Wachstum im Norden

Wenn sich die Abwärtsrisiken in den nächsten Monaten verstärken, könnte die wirtschaftliche Erholung über die aktuelle Verlangsamung hinaus Rückschläge erleiden; ein Rückfall in die Rezession („double-dip“) kann dann vor allem für Europa, Japan und die USA nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Die UN-Ökonomen halten deshalb nach wie vor konjunkturelle Stimulierungsmaßnahmen für erforderlich, plädieren allerdings für eine bessere Koordinierung mit der Währungspolitik und für ihren stärkeren Zuschnitt auf die Beschäftigungspolitik. Die Weltbank-Analysten sind dagegen voll auf die Linie der sog. fiskalischen Konsolidierung übergegangen, die die Gefahr einer erneuten Verstärkung rezessiver Tendenzen einschließt.

Verlangsamte globale Erholung


Entwicklungsländer führen die Erholung an


Unter den Industrieländern quält sich die USA mit der Überwindung ihrer längsten und tiefsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Im Vergleich mit früheren Erholungsphasen ist das Tempo der Erholung denkbar schwach: Nach 2,6% Wachstum in 2010 rechnet die UNO mit 2,2% in 2011 und einer leichten Verbesserung auf 2,8% in 2012. Am hohen Niveau der Arbeitslosigkeit wird sich damit nur langsam etwas ändern; man rechnet mit vier Jahren, bis die in der Krise verloren gegangenen Arbeitsplätze zurückgewonnen sein werden.

Die Wachstumsaussichten für Europa und Japan sind sogar noch düsterer. Selbst wenn die derzeit starke Aufwärtsentwicklung in Deutschland anhalten sollte, dürfte das BIP-Wachstum in der Eurozone mit 1,3% 2011 und 1,7% in 2012 faktisch stagnieren. Einige europäische Länder, wie Griechenland, Irland, Spanien und Portugal, werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in die Rezession zurückfallen oder dort verharren, vor allem wegen der drastischen Sparmaßnahmen in Verbindung mit der hohen Staatsverschuldung.

* Der Süden als Triebkraft

Ein gänzlich anderes Bild bietet nach wie vor die Konjunktur in den wichtigsten Entwicklungsländern, die sich einmal mehr als Triebkraft der globalen Erholung erweisen, auch wenn das Wachstum dort wegen der wirtschaftlichen Verlangsamung im Norden und dem Auslaufen der Konjunkturprogramme von durchschnittlich 7% in 2010 auf 6% in 2011/2012 zurückgeht:

* Angeführt von China und Indien weisen die asiatischen Entwicklungsländer weiterhin das stärkste Wachstum auf, auch wenn für 2011/2012 mit einer Mäßigung auf rund 7% gerechnet wird.
* Das Wachstum in Lateinamerika soll nicht mehr so robust ausfallen wie 2010 (5,6%), aber weiterhin bei etwa 4% liegen. Zugmaschine des regionalen Wachstums ist Brasilien, während die Region zugleich von den gestärkten Wirtschaftsbeziehungen nach Asien profitiert.
* Auch im Nahen Osten und anderen Ländern Westasiens rechnen die Ökonomen mit einer Mäßigung des Wachstums (von 5,5% in 2010 auf 4,4% in 2012), was dann weniger wäre als das Vorkrisenniveau.
* In den meisten Ländern Afrikas kann von einer soliden wirtschaftlichen Erholung gesprochen werden, die sich 2011/12 bei 5% Wachstum einpendeln dürfte. Besonders stark ist das Wachstum in Ostafrika, während etliche der ärmsten Länder, darunter in der Sahelzone, unter den Folgen der Dürre und mangelnder Sicherheit leiden, was vielerorts gleichbedeutend mit Hunger ist.

* Anhaltend hohe Arbeitslosigkeit

Als Achillesferse der konjunkturellen Erholung betrachten die UN-Ökonomen die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Zwischen 2007 und 2009 sind infolge der Krise weltweit mindestens 30 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen. In den USA wird für 2011 wieder mit einer Arbeitslosenrate von 10% gerechnet. In der Eurozone ist die Lage trotz der Verbesserungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht besser; hier erreichte die Arbeitslosenrate 2010 über 10% (gegenüber 7% vor der Krise).

Auch in den Entwicklungsländern konstatieren die Ökonomen Krisenauswirkungen, wenngleich die Jobverluste dort mit Verzögerung auftraten und kürzer waren als in den Industrieländern. In einer Reihe von Entwicklungsländern wurde das Vorkrisenniveau am Arbeitsmarkt bereits wieder erreicht.

* „Shifting Wealth“

Insgesamt ergibt sich nicht nur das Bild einer stark gespaltenen Weltkonjunktur mit zwei deutlich unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten. Anhaltend unterschiedliches Wachstum – relativ hohe Raten in den schwächeren und mäßige in den stärkeren Ökonomien – beinhaltet immer auch Aufholchancen für die Entwicklungsländer. Ein solches Bild des „Shifting Wealth“ (OECD) ist für die weltwirtschaftliche Entwicklung nunmehr schon länger prägend, mit beträchtlichen Konsequenzen auch für die weltpolitischen Konstellationen (s. z.B. den Aufstieg der G20). Diese Vorgänge sind allerdings alles andere als widerspruchsfrei.

Anhaltender Nettofinanztransfer von armen an reiche Länder

Die Entwicklungsländer transferieren weiterhin große Mengen an Finanzressourcen an die Industrieländer. 2010 belief sich dieser Nettotransfer auf schätzungsweise 557 Mrd. Dollar, ein leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Wie schon seit über einem Jahrzehnt reflektiert der Nettotransfer die zusätzliche Reservebildung seitens der Entwicklungsländer. Auch künftig dürfte der Nettoressorcentransfer aus den Entwicklungsländern - parellel zu der projektierten Zunahme von Leistungsungleichgewichten - leicht steigen.

Diese Fotsetzung des Vorkrisenmusters, in dem die armen Länder große Summen an die reichen Länder transferierten, ist auch Ausdruck des Bedarfs der Entwicklungsländer, weiterhin ausländische Devisenreserven als eine Form des Selbstschutzes gegenüber globalen ökonomischen Schocks anzuhäufen. Beispiele globaler Finanzmarktturbulenzen, zunehmende Wechselkursschwankungen unter den Hauptreservewährungen und der Anstieg kurzfristiger Kapitalflüsse haben zu einem Klima hochgradiger makroökonomischer Unsicherheit geführt und das Bedürfnis nach Selbstversicherung verstärkt.

Quelle: UN-DESA

Unter den aktuellen Risikofaktoren stechen vor allem die zunehmende Volatilität der Währungen, die starken Schwankungen der Rohstoffpreise (einschließlich der Gefahr einer neuen Nahrungsmittelkrise) und die zunehmende Welle von „hot money“ hervor, die die Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung und die internationale Konkurrenzfähigkeit der Schwellenländer bedroht. Zunehmende Interventionen in die Währungsentwicklung und Kapitalverkehrskontrollen, wie sie jüngst beobachtet werden, sind vor diesem Hintergrundgrund verständlich. Erstmals verteidigt jetzt auch die Weltbank derartige Interventionen.

Besser wäre jedoch ein multilateraler Ansatz. Als zentrale Herausforderung unterstreicht deshalb der UN-Report die Notwendigkeit, die Politikkoordinierung zwischen den wichtigsten Volkswirtschaften zu verbessern. Besonders dringend sei es, den Rahmen der G20 für ein nachhaltiges „global rebalancing“ zu konkretisieren. Zielzonen für die Leistungsbilanzen könnten da durchaus sinnvoll sein.

Hinweise:
* UN-DESA, World Economic Situation and Prospects 2011, 202 pp, United Nations: New York 2010. Bezug über: http://www.un.org/esa/policy/wess/wesp.html.
* World Bank, Global Economic Prospects 2011: Navigating Strong Currents, 129 pp, The World Bank: Washington DC 2011. Bezug: über www.worldbank.org.

Veröffentlicht: 18.1.2011

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Nord-Süd: Die gespaltene Weltkonjunktur, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E-Hintergrund Januar 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).