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Norwegen: Umwelt und Entwicklung unter einem Dach

Artikel-Nr.: DE20110804-Art.42-2011

Norwegen: Umwelt und Entwicklung unter einem Dach

Jenseits der Millenniumsziele

Nur im Web – Der Terroranschlag auf die Regierungsgebäude in Oslo und das Massaker in einem Jugendcamp der norwegischen Sozialisten galten einer der fortschrittlichsten Gesellschaften der Welt. Sprichwörtlich ist Norwegens Vorreiterrolle in der Entwicklungspolitik. Bereits heute sagt Erik Solheim, dessen Ministerium ungewöhnlicherweise die Zuständigkeit für Umwelt und Entwicklung unter einem Dach vereint: Was wirklich zählt, sind die 15 Jahre nach 2015, der Deadline der Millennium-Entwicklungsziele.

Kofi Annan sprach für viele, als er sagte, dass der Stichtag zur Erreichung der MDGs nicht verschoben werden darf. Die Ziele sind ehrgeizig, aber auf dem Gipfel der Vereinten Nationen (UN) im letzten Jahr wurde bekräftigt, dass die Politiker der internationalen Gemeinschaft nach wie vor entschlossen sind, sie zu erreichen. Niemand von uns will einen Gipfel 2015, auf dem wir sagen müssen: „Wir haben versagt, und deshalb müssen wir den Stichtag verschieben. Aber die Hoffnung bleibt, dass wir es irgendwann schaffen.“

* Die andere Hälfte der Armen

Allerdings werden wir, selbst wenn wir die MDGs erreicht haben, nur die Hälfte der extremen Armut und des Hungers beseitigt haben. Kinder- und Müttersterblichkeit werden weiterhin unnötig hoch sein, vermeidbare Krankheiten werden weiterhin millionenfach Menschen töten, und wir werden immer noch vor der großen Herausforderung stehen, allen bisher eingeschulten Kindern weiterhin den Schulbesuch zu ermöglichen – und sicherzustellen, dass ihre Ausbildung von akzeptabler Qualität ist. Das bedeutet, dass wir anfangen müssen zu überlegen, in welcher Form wir eine internationale gemeinsame Agenda für 2015-2030 beschließen wollen. Und wir dürfen uns nicht vormachen, dass die enorme Leistung, die zum Erreichen der MDGs von Nöten ist, durch den Aufwand in den Schatten gestellt werden wird, der erforderlich sein wird, um die verbleibende Hälfte der Ärmsten der Welt zu erreichen. Der Großteil dieser Menschen lebt nicht nur in Armut, sondern auch in vom Krieg verwüsteten Gebieten, so dass Geld allein ihre Probleme niemals lösen kann.

Mit anderen Worten: Armut bedeutet nicht nur, nicht genug Geld zu haben. Armut heißt auch Ausbeutung und Unterdrückung. Armut meint bewaffnete Konflikte und Kriege, die es unmöglich machen, ein Geschäft zu führen, einen Arzt zu besuchen oder Kinder in Schule zu schicken, weil die Straßen dorthin vermint sind. Ausländische Investoren, die ausschlaggebend für Wirtschaftswachstum sind, flüchten aus Konfliktgebieten. Armut ist auch Politik, und wir Politiker müssen auch für die zugrunde liegenden Ursachen politische Lösungen finden – und das wird deutlich schwerer sein, als genug Geld bereitzustellen.

Seit der Unterzeichnung der Millenniumserklärung 2000 hat sich die Welt bedeutend verändert. Es gab eine bedeutende Umgestaltung der geopolitischen Machtverhältnisse, so dass Länder, die ursprünglich als arm genug betrachtet wurden, um Empfänger von Entwicklungshilfe zu sein, heute als aufstrebende Märkte bezeichnet werden und zu Motoren der Weltwirtschaft wurden. Einen Machtwechsel auf weltpolitischer Ebene gab es zudem mit der Bildung der G20 und als Antwort auf die globale Finanzkrise. Sichtbar wird dies auch in der Reorganisation der Weltbank sowie im heute wichtigsten internationalen Forum, den Klimaverhandlungen.

* Keine Entwicklung ohne Umwelt – Keine Umwelt ohne Entwicklung

Umwelt und Entwicklung sind ausschlaggebende und interdependente Aspekte. Den Klimawandel zu bekämpfen bedeutet CO2-Emissionen zu reduzieren, während Armutsbekämpfung durch Wirtschaftswachstum im Allgemeinen zu einer Erhöhung der CO2-Ausstöße führt. Wenn beide Probleme nicht in enger Kooperation gelöst werden, werden wir bei beiden den Kürzeren ziehen.

Wenn der Kampf gegen Armut auf dem traditionellen CO2-intensiven Wachstum basiert, werden die Klimafolgen verheerend sein, sogar wenn die reicheren Teile der Welt heute noch alle Emissionen einstellen. Die Resultate daraus würden Fluten, Dürren, eine dramatisch reduzierte Lebensmittelproduktion und ein weitreichender Verlust unserer kostbaren Biodiversität sein. All dies würde offensichtlich zu einem dramatischen Anstieg der weltweiten Armut führen und wie immer würden die ärmeren Länder am schlimmsten getroffen.

Doch die Armut nicht zu bekämpfen, ist wohl trotzdem die schlechtere Option. Keinen geeigneten Zugang zu Energie bereitzustellen bedeutet, dass mehr Wälder für Feuerholz gerodet werden und so Entwaldung und Desertifikation fortschreiten.

Kostspielige und umweltschädliche Dieselgeneratoren sind Energiequellen für Firmen und wohlhabende Haushalte. Ältere Autos verschmutzen die Umwelt weit mehr als neue. Armut steht eng in Verbindung mit hohen Geburtenraten, aber wir wissen auch, dass der einzige Weg Geburtenraten zu senken über Wirtschaftswachstum führt.

Das Engagement der reichen Welt im Kampf gegen weltweite Armut basiert schon immer auf Gerechtigkeit und einem moralischen Imperativ. Aber unsere Erfahrung während der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts hat klar gemacht, dass ein zusätzlicher Bedarf besteht, unsere eigene Zukunft zu sichern.

* Schockierende Scheuklappen

Als Norwegens Minister für Umwelt und Entwicklung habe ich mich seit 2007 mit beiden Gruppen von Ministern aus anderen Ländern getroffen. Und ich muss zugeben, dass ich geschockt war, welch getrennte Wege diese beiden Gruppen gehen. Jede hat ihre eigene wichtige Agenda, ihre eigene Analyse bevorstehender Herausforderungen, ihre eigenen Strategien und buchstäblich ihre eigene Sprache, und es ist nicht so, dass sie nicht gegenseitig die Bedeutung der anderen Agenda anerkennen würden. Aber wenn sie nicht beginnen miteinander zu sprechen und zusammenzuarbeiten, wird keine der Gruppen ihre Ziele erreichen.

Unterdessen sind die Klimaverhandlungen, auf denen sich Entwicklungs- und Umweltexperten sowie Entscheidungsträger treffen, das wichtigste Forum und der ultimative Beweis dafür geworden, dass die Ära der westlichen globalen Hegemonie vorbei ist. Die sog. Dritte Welt hat etwas, das wir wollen: Riesige unberührte Regenwälder, die entscheidend für unsere Zukunft sind. Zudem sind sie in der Lage, einen anderen technologischen Weg als wir zu gehen, einen Weg, der auf CO2-armen Strategien und einer auf grünen Prinzipien beruhenden Wirtschaft basiert. Wir haben es dringend nötig, dass sie diesen Weg gehen, aber gleichzeitig bedeutet es, dass die ärmeren Teile der Welt wesentlich mehr Macht bei Verhandlungen haben werden, und zwar so viel wie noch nie. Das wird uns vor Herausforderungen stellen, aber möglicherweise wird es darüber hinaus unserer gemeinsamen Zukunft zuträglich sein.

Also wird alles in Ordnung sein, wenn wir die aktuellen bewaffneten Konflikte überwunden und die Klimaproblematik bewältigt haben? Wird das ausreichen, um die globale Armut zu bekämpfen? Natürlich nicht. Finanzierung wird weiterhin der ausschlaggebende Punkt sein. Die Beträge, die für Entwicklung, Frieden und Klima benötigt werden, werden enorm sein. Seit Jahren diskutieren wir über ein angemessenes Hilfsniveau, aber obwohl Entwicklungshilfe wichtig ist, können öffentliche Gelder aus den Industrienationen niemals ausreichen – auch wenn wir alle unsere Versprechen halten.

* Innovative Finanzierung und Kampf gegen Steueroasen

Während der letzten Dekade ist innovative Finanzierung das neue Schlagwort geworden, nicht nur für Entwicklung. Als Teil der Klimaverhandlungen wurden neue Mechanismen zur Mobilisierung von Geldmitteln vorgeschlagen. Abgaben auf Flugpreise und Finanztransaktionssteuern sind vermutlich die bekanntesten. Ein interessanter Aspekt dabei ist, dass es die reichsten Menschen sein werden, die zahlen, ungeachtet der wirtschaftlichen Position ihrer Herkunftsländer. In einer Welt, in der wir eine wachsende Anzahl reicher Menschen in armen Ländern vorfinden, und arme Menschen in Ländern, die wir als entwickelt bezeichnen, ist dies ein innovativer Ansatz, um eine Finanzierung zu finden, die sicherstellt, dass die finanzielle Bürde auf personeller Basis geteilt wird.

Aber die wichtigsten aller Finanzflüsse sind die illegalen Gelder, die aus so vielen Entwicklungsländern fließen. Das Netzwerk für Steuergerechtigkeit schätzt diese auf etwa zehnmal so hoch wie die Entwicklungshilfe, die dieselben Länder erreicht. Einen großen Teil dieser Gelder machen grenzüberschreitende Finanztransaktionen aus, die mit illegalen Aktivitäten, Profiten aus organisiertem Verbrechen und Drogen-, Waffen- und Menschenhandel in Verbindung stehen. Aber obwohl hohe Summen Geld durch Betrug, Korruption, Bestechung, Schmuggel und Geldwäsche verschwinden, hängt der größte Anteil illegaler Finanzflüsse mit kommerziellen Transaktionen zur Steuerflucht zusammen, oftmals innerhalb multinationaler Unternehmen.

Diese Flüsse werden hauptsächlich durch Steueroasen ermöglicht, so dass sich auch der Kampf gegen weltweite Armut vor allem auch gegen Steueroasen richten sollte. Steueroasen machen Wirtschaftsverbrechen profitabler, und der einzige Weg, sie zu bekämpfen führt über globale Transparenzabkommen für Finanztransfers, die nicht nur das Problem der Steueroasen abdecken, sondern auch das der länderübergreifenden Transaktionen multinationaler Konzerne.

Das Konzept der Millennium-Entwicklungsziele muss auch nach 2015 fortbestehen, nicht unbedingt, weil diese möglicherweise noch nicht erreicht sein werden, sondern weil die MDGs weit entfernt vom Ende des Kampfes gegen Armut sind. Wir müssen darauf acht geben, dass wir uns nicht etwas vormachen, wenn wir glauben, dass die MDGs allein durch Entwicklungshilfe erreicht werden können. Eine umfassendere Politik in Sachen Armut muss an die Spitze der internationalen Agenda gesetzt werden, einhergehend mit den drei entscheidenden Entwicklungsfaktoren: Klima, Konflikte und Kapital.

Erik Solheim ist norwegischer Minister für Umwelt und Entwicklung. Sein Beitrag erschien zuerst auf www.europesworld.org.

Veröffentlicht: 4.8.2011

Empfohlene Zitierweise: Erik Solheim, Norwegen: Umwelt und Entwicklung unter einem Dach, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 4. August 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)