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Rekapitalisierung und die Schlacht um Basel III

Artikel-Nr.: DE20111009-W&E10-2011

Rekapitalisierung und die Schlacht um Basel III

Neue Welle der Bankenrettung

Vorab im Web - Durch die Eurokrise und die Altlasten der Finanzkrise könnte es bald zu einer neuen Welle an Bankpleiten und Bankrettungen kommen. Währenddessen läuft die Umsetzung neuer Eigenkapitalregeln auf internationaler und EU-Ebene, doch sie begegnet heftigem Widerstand. Es ist also in mehrfacher Hinsicht ungewiss, welche Banken Basel III tatsächlich erleben werden, schreibt Markus Henn.

Die Eurokrise hält Bankenwelt und Weltwirtschaft in Atem. Bankaktien brechen schon seit Monaten ein, besonders in den westlichen Staaten. Die Ratingagenturen stufen jede Woche mehr und mehr Banken herunter. Besonders schlecht sieht es für die europäischen Banken aus. Anfang Oktober rief die belgisch-französische Dexia, die schon vor drei Jahren mit Staatsgeld gerettet worden war, erneut den Staat um Hilfe – dabei hatte sie den letzten EU-Stresstest noch locker überstanden.

* Rekapitalisierung auf wessen Kosten?

Auch andere europäische Banken in Frankreich, Italien oder Deutschland waren stark unter Druck. Das wiederum ließ Zweifel an der Solvenz der US-Bank Morgan Stanley aufkommen, weil diese viele französische Bankanleihen hält. Für globale Unruhe sorgt auch, dass viele Risiken aus Kreditausfallversicherungen für europäische Banken in den USA liegen sollen. Wieder einmal erweist sich damit die lange Zeit gepriesene Vernetzung der globalen Finanzmärkte als krisenverschärfend.

Nun rätseln alle, wie schlimm es wird. Schon Ende August war eine Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) durchgesickert, die europäischen Banken hätten einen zusätzlichen Kapitalbedarf von 200 Mrd. €. Nachdem sich europäische Politiker und die Europäische Zentralbank unisono über diese Zahl mokierten, beschwichtigte IWF-Chefin Lagarde. Doch andere Beobachter sehen den Bedarf sogar noch deutlich höher als der IWF. Die Europäische Zentralbank reagierte auch prompt und gab den Banken Anfang Oktober 40 Mrd. € frisches Geld. Und Frankreich plant angeblich sogar, den neuen EU-Rettungsfonds EFSF anzuzapfen, für den es bisher noch Garant ist. Damit würde nicht nur die Eurokrise, sondern auch die gläubigerfreundliche Art der Bankenrettung in eine neue Phase treten.

Wenig deutet darauf hin, dass es zu einer echten Verlustbeteiligung der Gläubiger, z.B. mit Forderungsabschlägen weit über den ohnehin eingetretenen Marktwertverlusten, oder zumindest zu einer angemessenen zukünftigen Gewinnbeteiligung für die öffentliche Hand kommen wird. Wenn bei der Rekapitalisierung der europäischen Banken die Gläubiger so sehr auf Kosten der Steuerzahler geschont werden wie im Fall Griechenlands, wird es böse enden.

* Basel III: Tummelfeld der Lobbyisten

Vor diesem düsteren Hintergrund entbrennt ein immer heftigerer Streit über die neuen globalen Eigenkapitalregeln Basel III. Doch zunächst das Erreichte: Nachdem die wesentlichen Regeln 2010 international beschlossen worden waren, präsentierte die EU-Kommission im Juli 2011 ihren Entwurf zur Umsetzung der neuen Regeln, der nun von Parlament und Rat verhandelt wird. Ohnehin würden die Kernbestimmungen aber erst 2019 volle Anwendung finden – viel Zeit für alte und neue riskante Geschäfte. Die wichtigsten Regeln sollen jedenfalls in der EU in einer Verordnung stehen, also direkt EU-weit gültig sein. Dazu gehören eine engere Definition und Erhöhung des harten Kernkapitals auf 4,5% (dafür aber weniger Ergänzungskapital), 2,5% Risikopuffer, ausreichend hochliquide Reserven und eine verschärfte Risikobewertung, insbesondere für außerbörsliche (OTC) Derivate und Verbriefungen.

Weitere Vorgaben sollen in eine EU-Richtlinie eingehen, die anschließend noch in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müsste: Diese umfassen zusätzliche Eigenkapitalvorgaben, vor allem für systemisch wichtige Banken, zusätzliche interne Prozesse unter anderem als Ersatz für externe Ratings, und schließlich eine Hebelgrenze („leverage ratio“) für das Verhältnis des Eigenkapitals zu den gesamten Geschäftspositionen.

Doch während Europa schon eifrig an der Umsetzung bastelt, wetterte kürzlich in den USA Jamie Dimon, Chef der US-Großbank J.P. Morgan, Basel III sei wegen Benachteiligungen von US-Banken „unamerikanisch“ und er sei „kurz davor zu denken, die Vereinigten Staaten sollten sich dem Basel-Abkommen nicht mehr unterwerfen“. Nicht ausgeschlossen, dass die USA dies tatsächlich wie schon bei Basel II tun werden. Dimons Äußerungen erinnern zugleich an ähnliche Kritik aus Deutschland. Auch dort glauben einige, dass Basel III die Besonderheiten des deutschen Systems nicht berücksichtige, z.B. beim Eigenkapital der Landesbanken. Entsprechend hatten sich die deutschen Vertreter schon bei den Verhandlungen für Basel III eher wie Bankenlobbyisten verhalten als wie Vertreter der Bankenaufsicht. Aber auch Sparkassen-Präsident Haasis wünscht sich eine Ausnahme für seine Institute.

* Wie viel Eigenkapital?

Befürchtungen wie die der krisenfesten Sparkassen sind sicherlich ernst zu nehmen. Doch es entbehrt nicht der Ironie, dass mit den USA und Deutschland zwei Länder so laut gegen strengere Eigenkapitalregeln aufbegehren, deren Banken besonders stark versagt haben. Zwei andere Hauptversager, die Schweiz und Großbritannien, haben dagegen zumindest in diesem Punkt dazugelernt und wollen ihren Großbanken deutlich mehr Eigenkapital aufbürden als in Basel III mit 13% maximal vorgesehen: Die Schweiz fordert schon jetzt 19%, Großbritannien hat mit dem gerade veröffentlichten Vickers-Bericht 18-20% ins Spiel gebracht. Auch immer mehr Ökonomen sehen Quoten von 20 oder gar 30% als möglich und sinnvoll an, was historisch gesehen gar nicht außergewöhnlich wäre. Auch sind Studien der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich oder der Europäischen Union zu dem klaren Ergebnis gekommen, dass das erhöhte Eigenkapital von Basel III keinen Einbruch bei Krediten bewirken muss, wenn die Banken ihr Geschäft nur nachhaltig organisieren.

* Neue Pleiten vorprogrammiert

Ein Thema im Rahmen von Basel III, das weiterhin international verhandelt wird, ist der Umgang mit systemisch wichtigen Banken („systemically important financial institutions“ - SIFIs). Mehrere öffentliche und geheime Vorlagen des Finanzstabilitätsrats und des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zu Eigenkapital und Insolvenz dieser Banken liegen vor. Schon vor einiger Zeit war geschätzt worden, dass 28 Banken von der G20 als systemwichtig eingestuft und besonderen Regeln unterworfen werden könnten. Ende September hat der Baseler Ausschuss nun konkrete Vorschläge für das zusätzliche Eigenkapital systemisch wichtiger Banken veröffentlicht, das bis zu 2,5% mehr betragen soll. Auch dagegen hatte J.P.-Morgan-Chef Dimon heftig gewettert. Die G20 wird beim Gipfel im November in Cannes beraten und entscheiden, welchen Bankkolossen sie noch weitere Auflagen gemacht werden sollen.

Dass diesen wohl 28 Banken am Ende über etwas mehr Eigenkapital hinaus allzu viel passieren wird, ist angesichts der oft divergierenden oder gar konkurrierenden Interessen in der G20 nicht sehr wahrscheinlich. Vor allem wird die Zerschlagung weiterhin nur eine Notmaßnahme für den Fall bleiben, dass eine Bank schon zusammenbricht und dann mit öffentlichen Geldern gerettet werden muss. Aktive Maßnahmen unterbleiben jedoch. Gerade erst wurden in Großbritannien entsprechende Überlegungen der Vickers-Kommission abgeblockt; auch in den USA kam es letztlich nur zur rechtlichen Abtrennung des Eigenhandels. Solange aber die Großbanken und ihr riskantes Geschäft mit Derivaten weiter wachsen dürfen und solange auch jeder Staat nur auf die Wettbewerbsvorteile und Größe seiner Banken sieht, wird es trotz Basel III und mit oder ohne Eurokrise zu einer neuen Welle von Bankpleiten kommen.

Markus Henn ist Politikwissenschaftler und Referent für Finanzmärkte bei WEED.

Veröffentlicht: 9.10.2011

Empfohlene Zitierweise: Markus Henn, Rekapitalisierung und die Schlacht um Basel III. Neue Welle der Bankenrettung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 9. Oktober 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)