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Warum die Krise immer noch kein Ende findet

Artikel-Nr.: DE20110831-W&E08-2011

Warum die Krise immer noch kein Ende findet

Das neuerliche Beben an den Finanzmärkten

Vorab im Web – Wenn Worte irgendeine Bedeutung haben, dann ist die sich jetzt abzeichnende neuerliche Rezession die wohl am häufigsten vorhergesagte Krise der letzten Zeit. Kaum ein internationaler Wirtschaftsausblick, der ohne die Diagnose von der „fragilen Erholung“ oder der „gespaltenen Weltkonjunktur“ mit ihren vielen Abwärtsrisiken auskam. Einige dieser Risiken sind inzwischen offensichtlich so groß, dass sie das Gesamtbild prägen: Die Krise ist wieder da, wenn sie denn jemals überwunden war. Eine Analyse von Rainer Falk.

Wenn es stimmt, dass an den Börsen die Entwicklungen der realen Ökonomie ein Stück weit vorweggenommen werden, dann verheißen die letzten Turbulenzen nichts Gutes. Überall brachen die Aktienkurse so stark ein wie seit dem Höhepunkt der Krise im Jahr 2008 nicht mehr. Kursstabilisierungen erwiesen sich als kurzfristig und vorübergehend. Extreme Volatiliät kennzeichnete auch die Rohstoffmärkte. Mehr und mehr Wirtschaftsdaten deuteten auf die Verlangsamung des Wachstums und auf eine bevorstehende erneute Rezession.

* Welche Krise: Doppelrezession oder große Kontraktion?

Die Weltwirtschaft bzw. die weltwirtschaftlichen Zentren, allen voran die USA, rutschen zurück in die Rezession. Die Warner vor einer Doppelrezession („double-dip“) wie der Starökonom Nouriel Roubini („Dr. Doom“) können sich bestätigt fühlen. Die Industrieländer hatten nach der „Großen Rezession“ von 2008/2009 gerade mal das Wachstum von vor der Krise wieder erreicht, als es erneut bergab ging. Selbst wenn es bei dieser mäßigen Wiederbelebung geblieben wäre, hätte es weitere vier bis fünf Jahre gebraucht, um das Beschäftigungsniveau der Vorkrisenzeit zu erreichen.

Die jüngste wirtschaftliche Entwicklung zeigt indes, wie verkürzt es war, von einem Krisenablauf auszugehen, bei dem auf die Finanzkrise die Rezession folgte und danach eine Beschäftigungskrise übrig blieb, die dann auch irgendwann einmal der Vergangenheit angehören wird. Selbst die Rede von der „Großen Rezession“ war irritierend, denn sie suggerierte, dass es sich um eine besonders schwere Rezession handelte, deren Überwindung besonders schwierig und langwierig sein würde. Unbeachtet bleibt dabei, dass sich die Finanzkrise vielerorts in eine „Staatsschuldenkrise“ transformiert hat. Die Politik reagierte darauf mit einem Schwenk vom konjunkturpolitischen Stimulus zur fiskalischen „Konsolidierung“, d.h. mit harten Sparmaßnahmen und Ausgabenkürzungen, die den expansiven Tendenzen - wenn nicht die Luft abschnürten, so doch - deutlich entgegenwirkten.

Einiges spricht deshalb für die These des Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff, derzufolge wir es seit dem Ausbruch der Finanzkrise mit einer „zweiten großen Kontraktion“ zu tun haben (die erste große Kontraktion war natürlich die Große Depression der 1920er/30er Jahre). In einem gemeinsamen Buch mit Carmen Reinhart („This Time is Different“) zeigt Rogoff anhand zahlreicher empirischer Befunde, wie typische tiefe Finanzkrisen in der Geschichte stets länger als normale Rezessionen brauchten (gemeinhin mehr als vier Jahre), um das Pro-Kopf-Einkommen wieder auf Vorkrisenniveau zu bringen. Der Grund: Die Kontraktion bezieht sich nicht nur auf Produktion und Beschäftigung, sondern auch auf Schulden und Kredit und damit auch auf die Entschuldung – ein besonders langwieriger Vorgang, wie bereits ein kurzer Blick auf die Peripherie der Eurozone zeigt.

* Doppelpass von Spekulanten und Ratingagenturen

Nach dieser Lesart ist die Finanzkrise – man könnte auch sagen: die jüngste „Große, strukturelle Krise“ – bis heute noch nicht beendet, auch wenn es „den Märkten“ und den Banken trefflich gelungen ist, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und die Last der Krise auf die Staaten umzulenken bzw. abzuwälzen. Wie der Wiener Ökonom Stephan Schulmeister kürzlich in der Diskussion um die Ursachen der Eurokrise bemerkte, weiteten die Großbanken wie Goldman Sachs oder die Deutsche Bank die Spekulation mit Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps: CDS) nach dem Ausbruch der Finanzkrise gezielt auf Staaten aus. „In einer Art Doppelpass-Spiel mit den Ratingagenturen wurden die CDS-Prämien und damit die Zinsen in die Höhe getrieben.“ Als Begründung dienten durchaus reale Probleme; deshalb kamen zuerst Griechenland und Irland dran, dann Portugal und Spanien, und zuletzt Italien – deren Kreditkosten schossen ins Bodenlose.

Das Beispiel zeigt, dass die Faktoren, die zum Ausbruch der Krise beitrugen, nach wie vor virulent sind: CDS und CDOs, die einst für Privatgeschäfte kreiert wurden, feiern heute immer noch fröhliche Urständ‘ als Wettinstrumente auf Staatspleiten. Auch weite Teile des Schattenbankensystems – das betrifft den Derivatehandel, den Repo-Markt und anlagenbesicherte Verbriefungen – entziehen sich immer noch jeglicher Regulierung und Kontrolle. Und das Too-big-too-fail-Problem ist weitgehend ungelöst: Inzwischen sind die Banken größer als vor der Krise und können, falls nötig, jederzeit ihre Rettung durch die Staaten erzwingen.

* Bankenwachstum trotz Finanzkrise

Das rasante Wachstum der Großbanken wurde also durch die Finanzkrise nicht gestoppt. Wie eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zeigt, wird das Wachstum der Banken im Wesentlichen durch Fremdkapital finanziert. Mit dem Wachstum steigt die Zahl der systemisch relevanten Banken. Fremdkapitalgetriebenes Wachstum geht auf Kosten des Eigenkapitalanteils und erhöht damit das Risiko im Bankensektor.

„Es ist zu befürchten, dass auch Basel III die Entwicklung hin zu immer höheren Bilanzsummen nicht stoppen kann“, sagt die DIW-Expertin Dorothea Schäfer. „Das Baseler Regelwerk bezieht sich vor allen Dingen auf die risikogewichteten Aktiva. Diese sind jedoch immer nur ein kleiner Teil der Bilanzsumme. Zum
Beispiel muss man erstklassig bewertete Staatsanleihen nicht mit Eigenkapital unterlegen. Wenn man allerdings langfristig in eine solche Staatsanleihe investiert und sie kurzfristig finanziert, dann hat man – Risikogewicht hin oder her – noch immer dieses Refinanzierungsrisiko. Dieses Risiko bekommt man mit den risikogewichteten Eigenkapitalunterlegungen nicht in den Griff. Dafür will Basel III nun eine Leverage Ratio in Höhe von 3% einführen, was meines Erachtens viel zu niedrig ist.“ Die Vielzahl der gegenseitigen Kredit- und Anleihegeschäfte im Bankensektor macht also insbesondere die Insolvenz einer Großbank zum unkalkulierbaren Risiko.

Bleiben die Ratingagenturen, auf die die Politiker zwar gerne schimpfen, die aber bis heute weder in den USA noch in Europa einer wirklichen Kontrolle unterworfen wurden. Auch der Umstand, dass jetzt auch die USA ins Fadenkreuz dieser Agenturen geraten sind, dürfte daran kaum etwas ändern. Die Herabstufung der US-Anleihen von AAA auf AA+ deutet eher auf ein anderes Funktionsproblem des internationalen Finanzsystems hin. Für Mohamed En-Erian vom Investmentriesen PIMCO eröffnet sie eine „neue Ära“ im internationalen Finanzsystem. An deren Ende wird ein neuer Multi-Währungsstandard stehen, der die Vorherrschaft des Dollars beendet und neben der US-Währung den Euro, den Yen und den chinesischen Renminbi einbezieht – möglicherweise im Rahmen von kräftig aufgewerteten Sonderziehungsrechten des IWF.

* Das Pulver ist nicht vollständig verschossen

Da derartige Veränderungen aber nur schrittweise vorstellbar sind und nur in einer längerfristigen Perspektive denkbar sind, macht sich derzeit das Gefühl breit, dass es nach dem verschossenen Pulver der Konjunkturstimuli kaum noch ein weiteres Kaninchen gibt, das die Politiker aus dem Hut zaubern könnten. Das stimmt jedoch nur teilweise. Während derzeit die Zentralbanken die Untätigkeit der Politik ausbügeln, argumentieren Experten wie der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, für Länder wie die USA gäbe es immer noch die Möglichkeit, Kredite zu günstigen Zinssätzen aufzunehmen und das Geld in Investitionen mit hohem Ertrag zu stecken. Auch aus der langgezogenen Malaise kann man also noch etwas machen.

In der Eurozone käme hingegen der Ausgabe gemeinsamer Euro-Anleihen eine Schlüsselrolle zu. Statt das Spiel der Spekulanten durch immer neue Rettungspakete für einzelne Staaten mitzuspielen, würde dies diesem Spiel ein sofortiges Ende setzen und die Taktik des Gegeneinander-Ausspielens mit der Solidarität Europas kontern. Beide Handlungsoptionen hätten jedoch zur Voraussetzung, dass die Politiker aufhören, sich wie angeschossene Hasen von den Finanzmärkten vor sich hertreiben zu lassen.

Veröffentlicht: 12.8.2011

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Warum die Krise immer noch kein Ende findet. Das neuerliche Beben an den Finanzmärkten, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 12. August 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)