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Weltwirtschaft am Abgrund einer neuen Rezession?

Artikel-Nr.: DE20111210-Art.67-2011

Weltwirtschaft am Abgrund einer neuen Rezession?

Triste Aussichten zum Jahreswechsel

Vorab im Web – Vielerorts sind die Wirtschaftsaussichten für 2012 drastisch nach unten korrigiert worden. Die UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (UN-DESA) rechnet nur noch mit einem Szenario des „Durchwurschtelns“ – mit 2,6% weltwirtschaftlichem Wachstum für 2012 (gegenüber 4% 2010). Und das auch nur dann, wenn es gelingt, die Schuldenkrise in der Eurozone einzudämmen, und wenn keine weitere Verschärfung der Austeritätspolitik in den Industrieländern hinzu kommt. Sogar die OECD sagt eine „milde Rezession“ für die Eurozone voraus und fordert energisches Gegensteuern (???042ae69fb60e31007???). Von Rainer Falk.

„Die Industrieländer stehen am Rande einer Abwärtsspirale, die durch vier Risikofaktoren angetrieben wird, die sich gegenseitig verstärken: die staatliche Überschuldung, den fragilen Banksektor, die schwache aggregierte Nachfrage (in Verbindung mit hoher Arbeitslosigkeit und fiskalischen Austeritätsmaßnahmen) und die Lähmung der Politik, die durch politischen Stillstand und institutionelle Defizite verursacht ist. Alle diese Schwächen sind jetzt schon vorhanden, aber jede weitere Verschlechterung könnte einen Teufelskreis auslösen, der zu ernsthaften finanziellen Unruhen und einem wirtschaftlichen Abschwung führen würde.“

* Auch die Entwicklungsländer sind betroffen

Es wird erwartet, dass die Entwicklungs- und Transitionsländer weiterhin die Weltwirtschaft antreiben werden, im Basisszenario der UN-Ökonomen wird für 2012 in diesen Ländern ein durchschnittliches Wachstum von 5,4% und für 2013 von 5,8% erwartet. Dies liegt zwar deutlich unter dem Tempo von 7,1% im Jahre 2010, als das Wachstum vor allem in den größeren Schwellenländern wie Brasilien, China und Indien besonders robust war. Doch auch wenn sich die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen den Entwicklungsländern verstärken, bleiben diese doch verwundbar durch die wirtschaftlichen Entwicklungen im Norden. Schon seit dem zweiten Quartal des Jahres 2011 begann sich das Wirtschaftswachstum in den meisten Entwicklungs- und Transitionsländern zu verlangsamen.

Globaler Output, in % gegenüber Vorjahr


Nach Auffassung des WESP 2012 dämpfen die hohe Arbeitslosigkeit in den USA von über 9% und die schwache Lohnentwicklung die gesamtwirtschaftliche Nachfrage; zusammen mit der anhaltenden Depression der Immobilienpreise verstärkt dies das Risiko einer neuen Welle von Zwangsversteigerungen von Häusern.

In der Eurozone hat sich das Wachstum schon seit Anfang 2011 beträchtlich verlangsamt, und der Vertrauenseinbruch, wie er sich in verschiedenen Stimmungsbarometern widerspiegelt, dürfte zu einer weiteren Verlangsamung und zum Jahreswechsel 2011/12 zur Stagnation führen. Selbst unter der optimistischen Annahme, dass die Schuldenkrise auf wenige Länder begrenzt werden kann, dürfte das Wachstum in der Eurozone 2012 bestenfalls minimal im Plus liegen, wobei die größten regionalen Ökonomien wie Deutschland und Frankreich gefährlich nah an einem erneuten Abschwung stehen und sich die Rezession in den schuldengeplagten Ökonomien an der Peripherie fortsetzen dürfte.

Gleichwohl ist für die wichtigsten Entwicklungsländer wie China und Indien trotz Rückgängen weiterhin robustes Wachstum zu erwarten. In China ging dies schon 2010/11 von 10,3 auf 9,3% zurück und dürfte 2012/13 weiter unter 9% fallen. Die indische Wirtschaft dürfte 2012/13 noch zwischen 7,7 und 7,9% expandieren (gegenüber 8,5% in 2010).

In Brasilien und Mexiko wird es wahrscheinlich einen deutlich spürbaren Abschwung geben. Brasiliens Output hat sich schon 2011 auf 3,7% halbiert (gegenüber der starken Erholung um 7,5% in 2010). Das Wachstum in Mexiko hat sich von 5,5 (2010) auf 3,8% verlangsamt und dürfte 2012 weiter auf 2,5% fallen.

Die Länder mit niedrigem Wachstum haben dagegen nur einen milden Rückgang zu verzeichnen. Pro Kopf der Bevölkerung hat sich das Einkommenswachstum von 3,8 (2010) auf 3,5% (2011) verlangsamt. Trotz des globalen Abschwungs dürfte dies auch 2012/13 so bleiben. Gleiches gilt auch für die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs).

* Ein globales Manko von 64 Millionen Arbeitsplätzen

Die Rate der Arbeitslosigkeit belief sich in den Industrieländern 2011 auf 8,3% - weit über dem Vorkrisenniveau von 5,8% (2007). Fast ein Drittel der Arbeitslosen in den Industrieländern waren schon länger als ein Jahr ohne Arbeit; das betrifft rund 15 Millionen Beschäftigte. Diese Langzeitarbeitslosigkeit hat meistens lang anhaltende und schädliche Konsequenzen für die betroffenen Arbeiter wie für die Volkswirtschaft insgesamt, da die Qualifikation mit der Dauer der Arbeitslosigkeit absinkt und dies zu niedrigeren Einkommen der Betroffenen und niedrigerer Produktivität in der Gesamtwirtschaft führt.

In den Entwicklungsländern verlief die Erholung der Beschäftigung viel stärker als in den Industrieländern. So sind die Arbeitslosigkeitsraten in den meisten Ländern Asiens und Lateinamerika wieder auf das Vorkrisenniveau zurück gegangen oder liegen inzwischen sogar darunter. Dennoch sehen sich die Entwicklungsländer anderen Herausforderungen in diesem Bereich gegenüber, etwa einem hohen Anteil von Arbeitskräften, die unterbeschäftigt sind, schlecht bezahlt werden, prekäre Arbeitsbedingungen haben und keinen Zugang zu sozialer Sicherung. Zugleich bleibt die offene Arbeitslosigkeit hoch, bei gut 10% in den Städten, wobei die Situation in vielen Ländern Afrikas und Westasiens besonders akut ist.

Die Vereinten Nationen schätzen, dass es im Jahre 2011 ein weltweites Beschäftigungsdefizit von 64 Millionen Arbeitsplätzen gab. Diese müssten zusätzlich geschaffen werden, um das Beschäftigungsniveau von vor der Krise wiederherzustellen und die neu in den Arbeitsmarkt Eintretenden zu absorbieren. Die UN-Ökonomen gehen davon aus, dass dies bis weit über 2015 hinaus nicht der Fall sein wird, wenn das Wachstum in den Industrieländern so kraftlos bleibt wie vorausgesagt.

* Austeritätspolitik ist Teil des Problems

Die harschen fiskalischen Austeritätsmaßnahmen, die in den Industrieländern und andernorts in Reaktion auf das relativ hohe Niveau der Haushaltsdefizite und der Schulden umgesetzt wurden, dürften die Aussichten für Wachstum und Beschäftigung weiter verschlechtern und zugleich den Ausgleich der Haushalte und die Konsolidierung der Bilanzen im Finanzsektor schwieriger machen. Die Schuldenkrise hat sich in der zweiten Hälfte von 2011 in einer Reihe von europäischen Ländern weiter verschlechtert, ebenso die Bilanzen der Banken, die diese Schuldtitel halten.

Die Möglichkeit, dass der Versuch im US-Kongress, sich parteiübergreifend über mittelfristige Haushaltkürzungen zu einigen, scheitern würde, hatten die UN-Ökonomen in ihren Prognosen bereits „eingepreist“. Weitere Verschlechterungen erwarten sie, wenn am 1. Januar 2012 zwei Stimulierungsmaßnahmen auslaufen: die Nothilfemaßnahmen für Arbeitslose und die Steuerbegünstigungen bei Neueinstellungen. Wenn diese nicht verlängert werden, rechnen sie 2012 mit einer weiteren Verlangsamung der US-Konjunktur um 0,6%.

Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten sind die beiden größten Ökonomien der Welt und tief untereinander verflochten, fasst der UN-Report in einer Vorabveröffentlichung zusammen. Ihre Probleme können sich daher leicht gegenseitig verstärken und in eine erneute globale Rezession münden. Die Entwicklungsländer, die nach der globalen Rezession von 2009 eine rasante Erholung hingelegt hatten, würden dann über die Mechanismen des Welthandels und die globale finanzielle Verflechtung ebenfalls betroffen. Als besondere Abwärtsrisiken für die Entwicklungsländer nennt der Bericht wie bisher die zunehmende Volatilität der privaten Kapitalflüsse und die fortwährenden Schwankungen der Rohstoffpreise.

Hinweise:
* UN-DESA, World Economic Situation and Prospects 2012. Global economic outlook (pre-release), 44 pp, United Nations: New York 2011. Bezug: über www.un.org/desa
* OECD, OECD Economic Outlook, Vol. 2011/2 (Chapter 1: General Assessment of the Macro-Economic Situation), 59 pp, Paris 2011. Bezug: über www.oecd.org
Veröffentlicht: 15.12.2011

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Weltwirtschaft am Abgrund einer neuen Rezession?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 15. Dezember 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)