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Wie der Euro (nicht) zu retten wäre

Artikel-Nr.: DE20110608-Art.33-2011

Wie der Euro (nicht) zu retten wäre

Sieben Szenarien

Vorab im Web - Die Staatsbankrotte klopfen an die Tür. Während immer mehr Beobachter mit kräftigen Schuldenschnitten rechnen, tun die Eliten so, als sei die Verhinderung einer Insolvenz Griechenlands noch möglich. Die offiziellen Strategien führen jedoch alle in Richtung Gesamtinsolvenz der Eurozone. Alternative Rettungsstrategien werden aus kurzfristiger Besitzstandwahrung ignoriert. Das könnte das baldige Ende von Euro oder EU bedeuten. Eine Übersicht über mögliche Szenarien von Christian Felber.

1. Vergrößerung des Rettungsschirms

Eine weitere Vergrößerung des Rettungsschirms ist schon allein deshalb prekär, weil die „European Financial Stability Facility“ (EFSF) und der "European Financial Stabilisation Mechanism" (EFSM) rechtswidrig sind: Der Lissabon-Vertrag verbietet ausdrücklich das Retten von Staaten durch andere (was nicht der einzige Vertragsbruch durch die Regierungen ist: Staatshilfen für Großunternehmen, Wettbewerbsverzerrung durch Bankenrettung, Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB), Krisenbudget der EU-Kommission… Was ist der Lissabon-Vertrag noch wert?).

Nach der aktuellen Erweiterung ist der Rettungsschirm nun netto 500 Mrd. € „weit aufgespannt“. Das reicht vorläufig für Griechenland, Irland und Portugal (je ca. 100 Mrd.), aber für kein größeres Land wie Spanien oder Italien. Würde Spanien ein – gemessen an seiner Wirtschaftsleistung – gleich großes Rettungspaket in Anspruch nehmen, wären das 700-800 Mrd. €, im Falle Italiens gegen 900 Mrd. €. Der Schirm wäre überspannt und müsste erneut vergrößert werden. Das geht nicht ewig: Die „starken“ Länder können die Schwachen bis zu einer gewissen Grenze mittragen, irgendwann versinken alle gemeinsam. Der Rettungsschirm führt tendenziell in die Gesamtinsolvenz der Eurozone.

2. Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone

Ein Hinauswurf wäre EU-vertragswidrig, allerdings wäre das nur ein Vertragsbruch mehr. Verlässt Griechenland die Eurozone freiwillig, stellt sich zudem die Frage, ob es dann noch EU-Mitglied wäre. Die ökonomischen Konsequenzen wären folgende: 1. Griechenland würde von den internationalen Finanzmärkten geschmäht, was seine Außenfinanzierung unterbinden würde. Russland musste nach dem Crash 1998 bis zum Jahr 2000 warten, bis es von den internationalen Märkten wieder Geld bekam. Möglich wäre noch Innenverschuldung („Modell Japan“). 2. Die Frage ist allerdings bei wem: Ein „Haircut“ bei Staatsanleihen um z.B. 50% würde das gesamte griechische Bankensystem in den Bankrott treiben – es müsste verstaatlicht werden. Ob das die Spareinlagen der GriechInnen schadlos überstehen, ist fraglich. Wer wird aber dann Gläubiger Griechenlands? 3. Bei einer Rückkehr Griechenlands zur Drachme würde der Wechselkurs aller Voraussicht nach abstürzen. Eine Abwertung um 50% würde die Euro-Schuld jedoch gleich groß belassen. Deshalb wäre eine Streichung der Euro-Schulden von nahezu 100 Prozent nötig, um auf ein tragfähiges Schuldenniveau zu kommen. Ein Kahlschnitt bei griechischen Staatsanleihen wäre für deutsche, französische und andere Gläubigerbanken bzw. die sie auffangenden nationalen Rettungsschirme vielleicht noch verkraftbar, jedoch der Ausfall von spanischen oder italienischen Staatsanleihen... Auch dieser Weg weist in Richtung Gesamtinsolvenz der Eurozone. 4. Genau ein solcher Dominoeffekt droht: Denn scheidet ein Land aus der Eurozone aus, beginnt eine mörderische Hetzjagd der Finanzmärkte auf den nächsten Austrittskandidaten mit drei Angriffswaffen: Ratingagenturen, Zinskeule, Handel mit Kreditausfallversicherungen (CDS).

3. Geregelte Insolvenz

Eine weitere Möglichkeit wäre die Einführung von Insolvenzregeln für Staaten innerhalb der Eurozone – mit „Insolvenzkriterien“: Ab wie viel Prozent Staatschuldenquote oder Schuldendienst/BIP darf ein Land in die Insolvenz gehen und wie tief geht der Erlass („Cut“)? Dadurch, dass Griechenland in der Eurozone bleibt, könnte ein 50%iger „Haircut“ in diesem Fall ausreichen: Die Staatsschuld würde zunächst auf 75% des BIP zurückgehen, der Schuldendienst und die damit einhergehende Budgetbelastung würden sich mehr als halbieren. Durch diesen geringeren „Haircut“ wäre die Gefahr für die Gläubigerbanken nicht so groß.

Dennoch ist es fraglich, ob ein 50%iger „Haircut“ Spaniens oder Italiens von den Gläubigerbanken verdaut werden könnte. Denn so viel ist auch hier gewiss: Sobald das erste Land vor den Konkursrichter tritt, geht die Wette los, wer der nächste Kandidat ist. Und mit ihrem diversifizierten Waffenarsenal können die Finanzmärkte „mitentscheiden“, wer fällt und wer nicht. Auch hier ist also letztendlich die Richtung: Gesamtinsolvenz der Eurozone. Diese geht zwingend mit der Totalverstaatlichung des Bankensektors einher, weil es niemanden mehr gibt, der die Banken auffangen könnte.

4. Sanfte Entschuldung: Zins-/Tilgungsmoratorium

Eine erste Alternative bestünde darin, die Verzinsung auf griechische und andere Staatsanleihen gegen 0% zu senken und die Laufzeit z. B. bis 2030 zu verlängern. Der Vorteil: Die betreffenden Länder müssten weder aus der Eurozone ausscheiden noch in die Insolvenz gehen. Der Schuldendienst betrüge Null, nur die Substanz müsste bedient werden. So könnten die betreffenden Staaten mit Budgetüberschüssen oder Wirtschaftswachstum den Schuldenberg langsam abbauen. Die Gläubigerbanken würden um kalkulierte Zinserträge gebracht, aber nicht um die Tilgungssubstanz, kämen also vergleichsweise glimpflich davon. Entscheidender Nachteil: Griechenland erhielte im Bedarfsfall keinen Kredit mehr von den Märkten. Deshalb müsste ein Zins- und Tilgungsmoratorium von weiteren Maßnahmen begleitet werden.

5. Ausgabe von Eurobonds

Um Problemländer vom Zinswucher der Märkte unabhängig zu machen, könnte die EZB Euro-Staatsanleihen („Eurobonds“) ausgeben, für die alle Eurostaaten gemeinsam haften. Dadurch würde sich die Verschuldung von Staaten mit hoher Bonität – wie Deutschland – relativ verteuern und diejenige Griechenlands stark verbilligen: ein aufgelegter Elfmeter für nationalistische Parolen aus Deutschland, die bereits bis zur Regierungsspitze skandiert werden. Außerdem ist ungewiss, ob die Märkte „mitspielen“ und der Eurozone als ganzer vertrauen oder ob sie nicht den Generalangriff versuchen und auch „Eurobonds“ als „Junk“ einstufen. Die Strategien der Regierungen würden diese Reaktion geradezu provozieren.

6. Ankauf/Garantie von Staatsanleihen durch EZB

Viel wirkungsvoller wäre deshalb der Ankauf oder die Garantie von Staatsanleihen durch die EZB, womit sie (vertragswidrigerweise) bereits begonnen hat. Da die Zentralbank Geld in unendlicher Menge drucken oder ihre Bilanz unendlich ausweiten kann, könnte sie problemlos die Staatsanleihen aller Euro-Mitgliedsstaaten aufkaufen. Vorteil: Die Spekulation auf Staatsbankrotte würde unmittelbar verebben, das Zinsniveau drastisch sinken. Das Problem: Diese Praxis würde die Staaten zur hemmungslosen Schuldenaufnahme einladen, und das würde früher oder später zu Inflation führen. Deshalb müsste die Garantie der Staatsanleihen an eine Bedingung geknüpft werden:

7. Steuerkooperation

Der Vorschlag ist: Die EZB garantiert nur die Staatsanleihen jener Euro-Staaten, die sich an einer partiellen Koordinierung der Steuerpolitik beteiligen: Vermögens-, Vermögenszuwachs-, Finanztransaktions- und Körperschaftssteuern. Allein eine Finanztransaktionssteuer im Ausmaß von 0,1% würde laut Institut für Höhere Studien (IHS) in der EU 270 Mrd. € an Mehreinnahmen bringen. In Summe brächten diese vier Steuerkategorien zwischen 500 und 1000 Mrd. € – damit ließen sich selbst die Staatsschulden Spaniens und Italiens in wenigen Jahren auf ein tragfähiges Niveau abbauen.

Weitere Vorteile wären: Alle Staatsanleihen würden zurückgezahlt, kein Staat und keine Gläubigerbank würden insolvent, Euro und EU wären gerettet, die Sparprogramme könnten gestoppt werden, der gewonnene soziale Zusammenhalt würde die EU bei den Menschen beliebt machen. Die vermögende Oberschicht, rund zehn Prozent der EU-Bevölkerung, könnten dies mit dem einen oder anderen Prozent ihrer Vermögen leisten: Die Privatvermögen sind rund fünfmal so groß wie die Staatsschulden. Wenn zehn Jahre lang jährlich 1-2% davon zur Bewältigung der Krise abgegeben werden, wachsen die Vermögen der Oberschicht vorübergehend weniger schnell, dafür könnten alle Staatsschulden halbiert werden.

Noch ignorieren die Eliten diese auch für sie schmerzärmste Alternative. Was dazu führen wird, das sie einen größeren Teil ihrer Vermögen verlieren werden. Denn Staatsbankrotte, Inflation, Deflation oder Währungsreformen nagen stärker an den Vermögen als moderate Steuern.

Christian Felber ist freier Publizist und Mitbegründer von Attac Österreich. Als Buch erschien von ihm zuletzt: Die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft.

Veröffentlicht: 8.6.2011

Empfohlene Zitierweise: Christian Felber, Wie der Euro (nicht) zu retten wäre, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 8. Juni 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)