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Wie die Eurokrise auf den Süden übergreifen kann

Artikel-Nr.: DE20111128-Art.63-2011

Wie die Eurokrise auf den Süden übergreifen kann

Krise mit globaler Dimension

Vorab im Web - Die europäische Krise wird zumeist als regionales Phänomen diskutiert. Doch spätestens wenn sie zur Bankenkrise eskaliert und die Kredite an die südeuropäischen Krisenstaaten ausfallen, wird die globale Dimension sichtbar werden. Angesichts der grenzüberschreitenden Integration des Finanzsektors werden auch die Schwellenländer betroffen sein, jene Märkte, deren hohes Wachstum ein entscheidender Pfeiler der Weltkonjunktur ist, schreibt C.P. Chandrasekhar.

Eine der Konsequenzen der Finanzmarktglobalisierung ist die zunehmende Präsenz globaler Banken und ihre wachsende Gläubigerrolle in Entwicklungsländern. Zum Ende des zweiten Quartals 2011 hatten die Banken nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Außenstände im Ausland in Höhe von 27,3 Billionen Dollar. Obwohl der größte Teil dieser Ansprüche in Industrieländern bestand (20,1 Billionen Dollar), war der Anteil der Entwicklungsländer (mit 5,1 Billionen Dollar) keineswegs geringfügig.

* Europas Banken in Schwellenländern

Und was besonders bemerkenswert ist: Die involvierten internationalen Banken waren vor allem europäisch. Rund 70% der ausländischen Ansprüche des globalen Bankensystems entfallen auf europäische Banken. Ein offensichtlicher Grund dafür ist die vergleichsweise starke finanzielle Integration in Europa. Von den ausländischen Ansprüchen von insgesamt 20,1 Billionen Dollar in Industrieländern entfallen 12,3 Billionen auf europäische Industrieländer, auf die USA dagegen gerade mal 5,6 Billionen.

Ein anderer Grund besteht darin, dass die europäischen Banken angesichts der wachsenden heimischen Konkurrenz in die Entwicklungsländer auswichen, um zu expandieren und ihre Profitabilität zu sichern. Nahezu 19% der ausländischen Außenstände der Banken liegen in Entwicklungsländer; bei den europäischen Banken ist der Anteil genauso hoch. Angesichts der größeren Rolle der europäischen Banken in der internationalen Finanzierung und der Bedeutung einiger weniger Schwellenländer als Empfänger von Kapital, ist dies durchaus bezeichnend. Die Konzentration der Bankaußenstände einer Region auf die Schwellenländer verstärkt die Verwundbarkeit dieser Banken und ihrer Kunden.

Im aktuellen Kontext ergibt sich die Verwundbarkeit der Entwicklungsländer vor allem aus der Konzentration der Verschuldung auf wenige Quellen, wie die Erfahrung während der Krise 2008/09 gezeigt hat. Angesichts der Notwendigkeit, die heimischen Verluste abzudecken, sich zu rekapitalisieren und das Risikoprofil ihrer Kredite zu verbessern, werden die europäischen Banken wahrscheinlich ihre globalen Anlageoperationen einschränken. Die Schwellenländer wären als erste davon betroffen.

* Besondere Gefahren für Asien

Die wirklichen Auswirkungen werden wahrscheinlich darüber hinaus gehen, weil die ausländischen Bankansprüche in Schwellenländern ein beunruhigendes Merkmal aufweisen. Sie wurden offensichtlich zu einem erheblichen Grad durch kurzfristige Angebotsentwicklungen in den Industrieländern angetrieben. Diese Entwicklungen haben auch in der asiatisch-pazifischen Region die ausländischen Ansprüche erheblich in die Höhe getrieben, die als eine Art Puffer der Weltwirtschaft betrachtet wurde.

Die Ansprüche gegenüber den Entwicklungsländern der Region wuchsen zwischen 2000 und 2006 um 547 Mrd. Dollar – im Zuge eines angebotsgetriebenen Booms von Kapitalflüssen überall auf der Welt. Selbst in der Krisenphase zwischen 2007 und Mitte 2009 stiegen die ausländischen Bankansprüche gegenüber der Region um 290 Mrd. Dollar. Und als im Zuge der wachsenden Liquidität nach der Krise billiges Kapital in großen Mengen für das Bankensystem verfügbar wurde, waren die asiatisch-pazifischen Entwicklungsländer die bevorzugten Ziele für die Expansion des Engagements der Auslandsbanken, das in nur zwei Jahren auf 596 Mrd. Dollar anschwoll.

Abhängigkeit der Entwicklungsländer von Europa

Gesamtverschuldung gegenüber Banken in Mrd. $Gegenüber europäischen Banken in Mrd. $Anteil der Exporte in die Eurozone in %
Europ. Schwellenländer 1.4111.30548,1
Schwellenländer Asiens1.77893613,1
Lateinamerika1.29585611,0
Afrika und Nahost60249316,5
Quelle: BIZ/FT

Eine Woge von Kapital in dieser Größenordnung, die zusätzliche Gründe für eine alternative „Entkoppelungsperspektive“ liefert, macht die Region sogar noch anfälliger gegenüber Kapitalabflüssen oder einer bloßen Kürzung von Krediten aus dem Ausland.

* Weltweite Kollateralschäden

Diese Verwundbarkeit muss im Kontext der Kollateralschäden gesehen werden, die eine Bankenkrise in Europa nach sich ziehen kann. Diese würde die Rezession in Europa verschlimmern – einer wichtigen Destination für die asiatischen Exporte. Würde die Rezession in Europa ihrerseits einen „Double-dip“ in der Weltwirtschaft auslösen, würde das den ausländischen Deviseneinkünften und dem Wachstum Asiens umso mehr schaden. Und schließlich könnte eine europäische Bankenkrise – berücksichtigt man die vielfältigen Institutionen und Instrumente, über die die Finanzmärkte heute miteinander verflochten sind – eine globale Krise auslösen, nicht nur im Banken-, sondern im Finanzsektor generell. Wenn dies geschieht, kommt es darauf an, wie stark die Schwellenländer insgesamt gegenüber dem globalen Kapital exponiert sind, und dies ist in der Tat substanziell. Zusammengefasst sind wir mit einem Problem konfrontiert, das nicht nur für die G7, sondern auch für die G20 und darüber hinaus beängstigend sein sollte und ist.

C.P. Chandrasekhar ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi/Indien. Der Beitrag erschien ursprünglich auf triplecrisis.com.

Veröffentlicht: 28.11.2011

Empfohlene Zitierweise: C.P. Chandrasekhar, Wie die Eurokrise auf den Süden übergreifen kann, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 28. November 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)