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Zahme Leitlinien für Skandal-Konzerne

Artikel-Nr.: DE20110318-Art.17-2011

Zahme Leitlinien für Skandal-Konzerne

Ruggie, Multis und Menschenrechte

Am 7. März 2011 übergab der Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Wirtschaft und Menschenrechte, der Harvard-Professor John Ruggie, seine abschließenden Empfehlungen über Menschenrechte und Unternehmen an den UN-Menschenrechtsrat. Dieser wird sich im Juni mit Ruggies Bericht befassen. Von Seiten der Nichtregierungsorganisationen hagelte es schon vorher herbe Kritik, berichtet Hartwig Hummel.

Zur Vorgeschichte: Im April 2008 hatte Ruggie dem UN-Menschenrechtsrat ein Rahmenprogramm zum Schutz der Menschenrechte im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Wirtschaftsunternehmen vorgelegt. Darin konstatierte er unter dem Slogan “Protect, Respect and Remedy“ eine staatliche „Pflicht“ zum Menschenrechtsschutz, eine unternehmerische „Verantwortung“ zur Respektierung der Menschenrechte und die Notwendigkeit, wirksame Beschwerdemechanismen für die von Menschenrechtsverletzungen Betroffenen einzurichten. Der Menschenrechtsrat begrüßte dieses Programm, verlängerte das Mandat des Sonderbeauftragten um drei weitere Jahre und bat Ruggie, Umsetzungsempfehlungen auszuarbeiten. Der UN-Sonderbeauftragte veröffentlichte im November 2010 eine Entwurfsfassung der „Guiding Principles for the Implementation of the United Nations ‚Protect, Respect and Remedy‘ Framework“ (s. Hinweis) und lud Vertreter von Staaten, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu Kommentaren ein.

* Schutz vor Skandalisierung?

Hintergrund dieser UN-Initiative ist, dass das menschenrechtsverletzende Verhalten transnationaler Unternehmen immer wieder skandalisiert wird. Für Empörung sorgte in jüngster Zeit beispielsweise die Selbstzensur bei der Internetsuche in China durch Google oder die Kollaboration mit dem Mubarak-Regime in Ägypten durch Vodafone, das Anfang 2011 seine ägyptischen Kunden per SMS aufgerufen hatte, sich nicht an den Demokratieprotesten zu beteiligen. Coca Cola wurde beschuldigt, an der Verfolgung von Gewerkschaftern in Kolumbien beteiligt gewesen zu sein, und Konzernen wie Levi’s oder Apple wurde vorgeworfen, miese Arbeitsbedingungen bei ihren chinesischen Zulieferern in Kauf genommen zu haben.

Ruggies neuestem Papier zufolge haben Unternehmen unter den Bedingungen der Globalisierung mit dem Menschenrechtsschutz deswegen Probleme, weil widersprüchliche gesellschaftliche Erwartungen und unklare rechtlich-institutionelle Rahmenbedingungen sie nicht konsequent zu einem menschenrechtskonformen Verhalten anhielten. Die Frage stellt sich, warum die Staaten und die Unternehmen dies nun ändern sollten, warum also um ein gutes Investitionsklima besorgte Staaten Unternehmen jenseits der eigenen Grenzen für Menschenrechtsverletzungen haftbar machen und unter Wettbewerbsdruck stehende Unternehmen im Zweifelsfall zugunsten von Menschenrechten auf lukrative Geschäfte verzichten sollten. Ruggie argumentiert hier, dass für die Unternehmen die gesellschaftliche Legitimation, d.h. ihre „social licence to operate“ auf dem Spiel stehe. Somit liegt für ihn die Herausforderung darin, die gesellschaftlichen Kosten für Unternehmen im Hinblick auf die Menschenrechtsproblematik zu minimieren.

* Empfehlungen statt Verpflichtungen

Ruggie formuliert in seinem Papier insgesamt 29 Leitlinien („Guiding Principles“), die anschließend jeweils näher kommentiert werden. Sie betreffen in etwa gleichgewichtig die Staaten, die Unternehmen und die Beschwerdemechanismen. Staaten sieht der Sonderbeauftragte nur innerhalb ihres nationalen Herrschaftsgebiets in der Pflicht, Menschenrechtsverletzungen zu sanktionieren. Jenseits ihrer Grenzen sollten sie nur ermutigen und helfen, dass Menschenrechte von Unternehmen beachtet werden. Auch die Staatengemeinschaft nimmt Ruggie kaum in die Pflicht. Weder ein Follow-Up durch die UN-Menschenrechtsinstitutionen noch die in seinem früheren Report angedachte Einrichtung eines Globalen Ombudsmann taucht in den aktuellen Empfehlungen auf.

Den Unternehmen empfiehlt Ruggie ein kontinuierliches konzerninternes Monitoring der Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte, vergleichbar etwa der bereits von Unternehmen praktizierten Risikoabschätzung bezüglich etwaiger Umweltfolgen. Und bei den Beschwerdemechanismen setzt er vor allem auf außergerichtliche Streitschlichtungsverfahren, für die er Mindeststandards formuliert. Ruggie kalkuliert dabei, dass es die Unternehmen letztlich billiger zu stehen kommt, sich einem kontinuierlichen Monitoring und einer deeskalierende Streitschlichtung zu unterziehen als immer wieder teure Konflikte mit den Stakeholdern durchzustehen (s. Hinweis).

Während Ruggie aus dem Unternehmerlager zaghaften Beifall erhält, lehnt die NGO-Community - mit Amnesty International als Wortführer - seine neuesten Empfehlungen als „unzureichend“ und als „Rückschritt“ ab (s. Hinweis). Zum einen sehen die NGOs die Staaten in der Pflicht, die Einhaltung der Menschenrechte auch für transnationale Unternehmenstätigkeiten rechtsverbindlich zu machen und durchzusetzen. Zum anderen wehren sie sich gegen die Fokussierung auf wenige grundlegende Menschenrechtsdokumente und die Verhinderung „schwerer“ Menschenrechtsverletzungen, vor allem in Krisengebieten. Sie werfen Ruggie vor, dass er die Weiterentwicklung des internationalen Menschenrechtsregimes über die Grunddokumente der UNO und der Internationalen Arbeitsorganisation hinaus nicht berücksichtige. Außerdem gehe Ruggie in seinen Empfehlungen entgegen dem ausdrücklichen Mandatsbeschluss des Menschenrechtsrats nicht speziell auf die Frauenrechte und die Rechte besonders verwundbarer Gruppen ein. Von den Staaten verlange Ruggie selbst dann keine rechtsverbindliche Menschenrechtsdurchsetzung, wenn es um Unternehmen in Staatsbesitz gehe oder öffentliche Aufträge und Subventionen im Spiel seien. Schließlich vermissen die NGOs auch den üblichen Follow-Up-Prozess im Rahmen der UNO.

* Erneute Polarisierung der Debatte

Der Sonderbeauftragte betont bisher, dass sein „Protect, Respect and Remedy“-Programm bereits jetzt, vor der Entscheidung durch den UN Menschenrechtsrat über die Umsetzung, zu einem zentralen Bezugspunkt der vielfältigen Bemühungen um die Menschenrechtsverantwortung von Unternehmen geworden ist. Er dokumentiert auf seiner Webseite eine lange Liste von Fällen, in denen das „Protect, Respect and Remedy“-Rahmenprogramm bereits ganz oder teilweise Eingang in die Arbeit von internationalen Organisationen, Staaten, nationalen Menschenrechtsinstitutionen, NGOs, Unternehmen und Wirtschaftsverbänden und weiteren Akteuren gefunden habe.

Bei näherer Betrachtung handelt es sich dabei allerdings meist um eher unverbindliche Bezüge überwiegend aus dem europäischen Raum, Kanada und Australien. Und nur sehr wenige Unternehmen haben das Rahmenprogramm bereits aufgegriffen; die Wirtschaft scheint zunächst den Meinungsbildungsprozess zwischen den Staaten abzuwarten.

Der heftige Widerstand von Seiten der NGOs schmälert aber den politischen Stellenwert von Ruggies Ansatz wieder erheblich. Bisher jedenfalls konnte der UN-Sonderbeauftragte die Staatenvertreter in der UNO vor allem dadurch von seinem Ansatz überzeugen, dass seine Arbeit mit zum Abbau der früheren Polarisierung in dieser Debatte beigetragen habe. Dies scheint jetzt nicht mehr der Fall zu sein. Wie das anstehende Votum über Ruggies „Guiding Principles“ im Juni im UN Menschenrechtsrat ausfallen wird, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht voraussagen.

Hinweise:
* Guiding Principles for the Implementation of the United Nations ‚Protect, Respect and Remedy‘ Framework, Entwurf vom 22.11.2010. Web: www.reports-and-materials.org/Ruggie-UN-draft-Guiding-Principles-22-Nov-2010.pdf. Die endgültige Version wird als UN-Dokument veröffentlicht.
* OHCHR, Holding Business accountable for human rights abuses, Stellungnahme Ruggies vom 21.1.2011. Web: unter www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/HoldingbusinessaccountableHRabuses.aspx.
* Joint Civil Society Statement on the draft Guiding Principles on Business and Human Rights, NGO-Stellungnahme vom Januar 2011. Web: www.business-humanrights.org/Links/Repository/1003963/jump.

Veröffentlicht: 18.3.2011

Empfohlene Zitierweise: Hartwig Hummel, Zahme Leitlinien für Skandal-Konzerne. Ruggie, Multis und Menschenrechte, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 03-04/2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).