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Argentinien unter Geiern

Artikel-Nr.: DE20121123-Art.59-2012

Argentinien unter Geiern

Wie Hedgefonds ein Land in den Ruin treiben wollen

Vorab im Web – „Geierfonds“ ist seit einigen Jahren ein gängiger Begriff für Investoren, die am Sekundärmarkt Schuldtitel von zahlungsunfähigen oder ehemals zahlungsunfähigen Staaten kaufen, um dann vor Gerichten die volle Schuldsumme einzuklagen. Dass dieses Geschäftsmodell für praktisch jedes finanzschwache Land eine Bedrohung darstellen kann, erlebt derzeit das G20-Mitglied Argentinien, schreibt Jürgen Kaiser.

Im Oktober 2012 lief das argentinische Segelschulschiff Libertad auf einer regulären Ausbildungsfahrt den ghanaischen Hafen Tema an. Dort erwartete Kapitän und Besatzung des Schiffs eine böse Überraschung: Die örtliche Küstenwache hinderte die Libertad am erneuten Auslaufen. Hintergrund des Manövers war der Eilantrag eines Geierfonds namens NML Capital, der von Elliott Associates kontrolliert wird und Inhaber argentinischer Staatsanleihen aus der Zeit vor der Staatspleite Ende 2001 und dem danach von der argentinischen Regierung durchgesetzten Schuldenschnitt um rund 70% ist.

* Gerichtsvollzieher unter Palmen

NML hat vor verschiedenen Gerichten weltweit seinen Anspruch auf Zahlung der ursprünglichen, nicht umgetauschten Schuldtitel bestätigt bekommen, konnte aber bislang dieses Recht noch nirgendwo durchsetzen, da argentinische Gerichte mit den Geierfonds nicht kooperieren und argentinisches Staatseigentum im Ausland dünn gesät ist. Wo es überhaupt existiert, unterliegt es meist der diplomatischen Immunität. Auch der Zugriff auf ein Kriegsschiff – das ist der an sich sehr friedliche und eben unbewaffnete Dreimaster formell – ist juristisch fragwürdig. Gleichwohl entschied der ghanaische Richter dem Antrag von NML Capital entsprechend.

Derzeit befindet sich die Libertad noch immer mit einer Minimalbesatzung aus Kapitän und fünf Mann Wache in Tema. In Argentinien mussten der Marinechef und die Leiterin des Militärgeheimdienstes zurücktreten, da sie das Schiff offenbar sehenden Auges in die Falle hatten fahren lassen.

Argentiniens Problem besteht aber weniger in diesem spektakulären und sichtbaren Fall, sondern vielmehr in einem gleichgerichteten Urteil des New Yorker Richters Thomas Griesa vom Second Circuit in Manhattan, dem wichtigsten Finanzplatz der Welt. Griesa hatte – ebenfalls im Oktober 2012 – entschieden, dass der gleiche Fonds sowie einige Mitkläger Zugriff auf Mittel bekommen müssen, die Argentinien über einen New Yorker Treuhänder an die Inhaber derjenigen Anleihen zahlt, die sich 2005 bzw. 2010 an dem von der Regierung betriebenen Schuldenschnitt beteiligt haben. Das sind Gläubiger, an die Argentinien nicht nur zahlen muss, sondern unbedingt auch zahlen will, weil sie dem Land in seiner schweren Staatsschulden-Krise entgegen gekommen sind. Nach dem Urteil muss Argentinien nun aber seinen Treuhänder anweisen, Zahlungen an die Kläger in gleichem Umfang vorzunehmen, wie er auch an die regulären Inhaber der aus dem Umtausch hervorgegangenen Anleihen zahlt. Nach dem im November bekräftigten Richterspruch muss Argentinien diversen Hedgefonds, darunter auch der „aggressive“ (Financial Times) Elliott Associates, sogar bis zum 15. Dezember 1,3 Mrd. US-Dollar zahlen, noch bevor die nächsten Zinsen an seine regulären Bondholders fällig werden.

Während die Libertad ein wichtiges nationales Symbol darstellt, welches aber allenfalls einen geringen Millionenbetrag wert ist – mithin dem Geier dazu dienen würde, Argentinien zu demütigen, aber kaum dazu, an einen nennenswerten Teil seiner Forderungen zu kommen, geht es bei dem New Yorker Urteil also um richtig viel Geld.

* Ein weltweites Problem

Argentinien ist der spektakulärste und auch der vom Volumen her bedeutendste souveräne Schuldner, der im Moment von Geierfonds in Schwierigkeiten gebracht wird. Es ist aber keinesfalls der einzige. Seit 2006 veröffentlichen Weltbank und IWF in ihren jährlichen Berichten zur Umsetzung der HIPC-Entschuldungsinitiative eine Übersicht über Klagen gegen HIPC-Länder. Die Kläger sind entweder Altgläubiger, die sich weigern, wie von Weltbank, IWF und Pariser Club befohlen, auf einen größeren Teil (in der Regel 90%) ihrer Forderungen an die ärmsten Länder der Welt zu verzichten, sog. Holdouts; oder es sind Investment-Fonds, die diese Forderungen von solchen Altgläubigern mit einem hohen Abschlag auf dem Sekundärmarktgekauft haben. Im Umsetzungsbericht 2011 – dem letzten verfügbaren – berichten die Washingtoner Institutionen von insgesamt 17 Klagen gegen sechs Länder, die die Initiative bereits durchlaufen haben, und gegen zwei, denen sie (möglicherweise) noch bevorsteht.

Die Weltbank selbst, und Institutionen, wie die Afrikanische Entwicklungsbank und das Commonwealth-Sekretariat haben einige Anstrengungen unternommen, um die HIPC-Länder gegen diese Art von Störungen abzuschirmen – zum Beispiel durch Rechtsberatung. Keinesfalls kann allerdings ein Mitteleinkommens- und G20-Land wie Argentinien auf diese Art von internationaler Unterstützung bauen.

* Verschwiegene Geier

Geierfonds sind verschwiegene Veranstaltungen. Ihr Geschäftsmodell baut auf Informationsvorsprünge, hier eben die Information, wohin ein Segelschiff unterwegs ist, oder welcher Treuhänder wann welche Zahlungen auf welches Konto tätigen soll. Sie selbst sind aber keinesfalls auskunftsfreudig. Elliott Ass. hatte einmal ein Büro auf der vornehmen Washingtoner Pennsylvania Avenue, und so konnte Jubilee USA dort in Geierkostümen ein hübsches Tänzchen aufführen (s. Video).

Ansonsten sind die Investment-Fonds, die sich auf dieses Geschäftsmodell spezialisiert haben, kaum physisch greifbar. Elliott hat seinen Sitz auf den Cayman-Inseln. Zudem sind die Firmen in ihrem Aufbau sehr verschachtelt, so dass es schwer ist, innerhalb eines einzelnen Fonds, diejenige Tochterfirma, welche tatsächlich für ein juristisches Manöver verantwortlich ist, tatsächlich zu greifen, oder wenigstens zu identifizieren.

Es hat verschiedene Versuche gegeben, das Geschäftsmodell der Geierfonds zu unterbinden. Einer von diesen lief darauf hinaus, schon den Handel mit Schuldtiteln am Sekundärmarkt zu unterbinden. Das könnte etwa so funktionieren, dass Kreditverträge personalisiert würden; sie könnten dann nicht mehr – oder nur noch mit Zustimmung des Schuldners – weiterverkauft werden. Die Umsetzung dieses Vorschlags hätte verschiedene technische und juristische Probleme aufgeworfen, die aber vielleicht lösbar gewesen wären. Sie hätte allerdings auch einige durchaus positive und gewünschte Seiten dieses Sekundärmarkts unterbunden.

* Problem unvollständige Entschuldungsverfahren

Hätte Argentinien im Jahr 2001 Zugang zu einem Entschuldungsverfahren gehabt, welches alle Forderungen einbindet, hätte der Tätigkeit des Geiers die Grundlage gefehlt. Auch Verfahren im Pariser Club finden ja nicht unter Einschluss aller Forderungsinhaber statt. Deswegen bestand überhaupt erst die Möglichkeit, dass z.B. Rumänien seinerzeit eine Forderung gegenüber Sambia an Elliott Ass. verkaufte, mit der der Fonds wiederum letztendlich Sambia zur Zahlung eines Mehrfachen der ursprünglichen Schuldsumme zwingen konnte.

Hätten Sambia oder heute eben Argentinien die Möglichkeit zu einem Schuldenschiedsverfahren unter Beteiligung aller Gläubiger gehabt, wäre auf der Grundlage der New York Konvention über die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche alle Vertragsstaaten der Konvention verpflichtet gewesen, die im Verfahren ausgesprochene Umschuldung als für alle Gläubiger verbindlich anzuerkennen. In begrenztem Maße könnten Collective Action Clauses eine ähnliche Wirkung entfalten – wenn auch nur jeweils für die Umschuldung einer einzelnen Anleihe.

Einen etwas anderen Weg hat man in Großbritannien gewählt. Als Reaktion auf den Fall Elliott vs. Sambia hat die seinerzeitige Labour-Regierung unter Gordon Brown zunächst für ein Jahr ein Gesetz erlassen, welches es britischen Gerichten unmöglich macht, klagenden Forderungsinhabern Ansprüche zuzusprechen, die höher sind als das, was sie bekommen hätten, wenn sie Teil eines Umschuldungsprozesses gewesen wären. Auf Deutsch: Wenn der Pariser Club unter den sog. Cologne Terms einem armen Land eine Schuldenerleichterung von 90% zuspricht, dann kann auch kein anderer Gläubiger auf seine Forderung mehr als 10% bekommen. Das Gesetz ist leider nur auf die wenigen HIPC-Länder begrenzt; von daher nützt es Argentinien nichts.

* Unabhängige Justiz?

Auch in Schuldenfragen sind die Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz ein hohes Gut, auch wenn letztere im konkreten Fall den Geierfonds zu Gute kam. Die ghanaische Regierung hat nach einer entsprechenden Demarche aus Buenos Aires nämlich in einem Amicus Curiae-Brief an den zuständigen Richter deutlich gemacht, dass sie keinerlei Interesse daran hat, sich im Streit zwischen Argentinien und LMT Capital instrumentalisieren zu lassen. Man kann es positiv als Zeichen der (inzwischen) tatsächlich unabhängigen und selbstbewussten zweiten Gewalt in Afrika betrachten, dass der Richter sich davon nicht beeinflussen lassen.

Für Argentinien ist dies und das New Yorker Urteil allerdings eine kostspielige Enttäuschung. Kein Wunder, dass Argentiniens Wirtschaftsminister Hermán Lorenzino verärgert ist. Für ihn ist das schlicht „eine Art rechtlicher Kolonialismus“.

Jürgen Kaiser ist Koordinator von erlassjahr.de. Sein Beitrag erscheint in erweiterter Form Ende Februar 2013 im neuen Schuldenreport.

Veröffentlicht: 23.11.2012

Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Kaiser, Argentinien unter Geiern. Wie Hedgefonds Länder in den Ruin treiben wollen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 23. November 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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