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Der Countdown läuft: Nachsitzen für Rio+20

Artikel-Nr.: DE20120511-Art.25-2012

Der Countdown läuft: Nachsitzen für Rio+20

Der Verhandlungsstand am Vorabend des Gipfels

Wenige Wochen vor der UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung (Rio+20), die vom 20. bis 22. Juni 2012 in Rio de Janeiro stattfindet, sind die Regierungen von einer Einigung noch weit entfernt. Bei den zentralen Themen, der Green Economy und der Reform der internationalen Umweltarchitektur, bestehen weiterhin erhebliche Kontroversen. In Bezug auf neue weltweit gültige Nachhaltigkeitsziele geht es allerdings nicht mehr um das „ob“, sondern nur noch um das „wie“. Den Verhandlungstand analysiert Jens Martens.

Fast schon flehentlich klang der Appell von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon am Ende des zweiwöchigen Verhandlungsmarathons in New York, die Rio+20-Konferenz böte eine Gelegenheit, wie es sie nur einmal in einer Generation gäbe. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Regierungen das Verhandlungsdokument für Rio gerade einmal von 278 auf 171 Seiten reduziert. Lediglich in 21 von mehr als 400 Punkten hatten sie eine Einigung erzielt. Um nach Rio nicht mit einer endlosen Liste ungelöster Konflikte zu fahren, müssen die Regierungen nun nachsitzen. Vom 29. Mai bis 2. Juni wurde kurzfristig eine dritte Verhandlungsrunde in New York anberaumt, bevor dann ab dem 12. Juni in Rio selbst weiterverhandelt wird.

* Skepsis gegenüber der Grünen Ökonomie

Grundsätzliche Differenzen gibt es weiterhin beim Thema Green Economy. Vor allem die Länder der G77 haben Schwierigkeiten mit der Forderung, die Wirtschaft „grüner“ zu gestalten. Vielen erscheint der gesamte Ansatz zu vage. Manche von ihnen fürchten Auswirkungen auf den Handel durch einen neuen ‚grünen’ Protektionismus. Sie warnen zudem davor, dass durch diese thematische Konzentration die soziale Dimension von Nachhaltigkeit zu kurz kommt. Andere, wie die Regierungen Boliviens und Ecuadors, sehen in der Ausrichtung auf die Green Economy vor allem den Versuch der Kommerzialisierung der noch nicht ‚vermarkteten’ Teile des Ökosystems.

Im Gegensatz dazu beharrt die EU auf ihrem Vorschlag einer Green Economy Roadmap mit konkreten Zielen und Maßnahmen, etwa zur Steigerung der Ressourceneffizienz. Die bisherigen Verhandlungen lassen erahnen, dass sich in Rio weder die Hoffnungen noch die Befürchtungen gegenüber dem Green Economy-Ansatz bestätigen werden. Die Regierungen werden sich vermutlich allenfalls auf einige unverbindliche Maßnahmen zur Förderung umweltgerechten Wirtschaftens einigen. Unter anderem wollen sie „Instrumentenkästen mit guten Beispielen“ („toolboxes of good practices“) einrichten, in denen sie Vorschläge für politische Maßnahmen zur Förderung grünen Wirtschaftens sammeln.

* Durchbruch beim UN-Nachhaltigkeitsrat?

Konkreter wird es möglicherweise bei der Aufwertung der UN in den Bereichen Umwelt und Nachhaltigkeit. In der Kritik an der politisch bedeutungslosen UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD) sind sich die Regierungen jedenfalls weitgehend einig. Als Alternative sind derzeit zwei Vorschläge in der Diskussion:
* Die Einrichtung eines UN-Rates für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Council) nach dem Vorbild des UN-Menschenrechtsrates. Dieser Vorschlag wird unter anderem von der EU unterstützt.
* Die Einrichtung eines hochrangigen Politischen Forums für nachhaltige Entwicklung (High Level Political Forum) im Umfeld der UN-Generalversammlung. Diese Idee wurde zunächst von der G77 in die Verhandlungen eingebracht.

Auf den ersten Blick scheinen die Unterschiede zwischen den beiden Vorschlägen unerheblich, aber der Teufel steckt im Detail: Der Nachhaltigkeitsrat hätte eine begrenzte Mitgliedschaft (der Menschenrechtsrat hat 47 Mitglieder, die für drei Jahre gewählt werden), dem Forum würden sämtliche 193 UN-Mitgliedsstaaten angehören. Eine Ansiedlung von Rat oder Forum im Umfeld der Generalversammlung würde dem neuen Gremium mehr politisches Gewicht verleihen als die Unterordnung unter den schwachen ECOSOC, wie sie einige EU-Mitglieder fordern. Unter dem ECOSOC bliebe eine zum Rat umetikettierte CSD irrelevant. Entscheidend wird aber letztlich das politische Mandat des neuen Gremiums sein. Erhält es Koordinations- und Monitoringaufgaben gegenüber Regierungen und UN-System (einschließlich IWF und Weltbank) oder wird es auf die Funktion eines Diskussionsforums beschränkt?

* Neue Konfliktlinien bei UNEP-Reform

Noch umstrittener ist die seit langem (auch von der Bundesregierung) geforderte Aufwertung des UN-Umweltprogramms (UNEP) zu einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Während sich die EU für diesen Vorschlag stark macht, wird er von den USA, Kanada, Japan und Russland prinzipiell abgelehnt. Auch zahlreiche Länder des globalen Südens haben sich gegen eine derartige Stärkung von UNEP ausgesprochen, weil sie eine politische (und finanzielle) Gewichtsverschiebung innerhalb des UN-Systems vom Entwicklungs- zum Umweltbereich befürchten (???042ae6a02b0fcde01???).

Die G77 ist in dieser Frage allerdings gespalten. Die afrikanische Gruppe hat sich unter der Führung Kenias dem Vorschlag der EU angeschlossen. China, Brasilien, Indien sowie eine Reihe weiterer asiatischer und lateinamerikanischer Länder wollen es bei einer Stärkung von UNEP im Rahmen der bestehenden Strukturen belassen. Ihre Vorbehalte spiegeln sich in einem internen Verhandlungspapier wider, in dem es u.a. heißt: “Jede Reform von UNEP, welche Form sie auch annehmen mag, sollte nicht zur Transformation in eine Aufsichtsbehörde, in einen Compliance-Mechanismus für Entwicklungsländer oder in eine normsetzende Institution führen, die Konditionalitäten, Handelsbarrieren oder zusätzliche finanzielle Lasten für Entwicklungsländer einführt.”

* Nachhaltigkeitsziele als Bindeglied zur Post-2015-Entwicklungsagenda

Breite Unterstützung zeichnet sich mittlerweile für den Vorschlag ab, globale Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals - SDGs) zu vereinbaren, die nach dem Jahr 2015 die bisherigen Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) ergänzen oder sogar ersetzen sollen. Allerdings besteht auch hier noch großer Verhandlungsbedarf über die Details. Deshalb wird erwartet, dass in Rio lediglich ein Prozess angestoßen wird, der gemeinsam mit den Diskussionen über die Zukunft der MDGs und die Post-2015-Entwicklungsagenda bis zum Herbst 2013 konkrete Vorschläge liefern soll.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon wird zu diesem Zweck unmittelbar nach Rio ein neues High-level Panel of Eminent Persons einsetzten, das unter dem gemeinsamen Vorsitz des britischen Premiers David Cameron, der liberianischen Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf und des indonesischen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono stehen wird. Nach den Erfahrungen mit dem jüngsten High-level Panel zu globaler Nachhaltigkeit sind die Erwartungen allerdings eher gering. Dessen Bericht („Resilient People, Resilient Planet: A Future Worth Choosing“) enthielt kaum neue Ideen und hatte keinen sichtbaren Einfluss auf die Rio+20-Verhandlungen. Von zivilgesellschaftlicher Seite wird die Reflection Group on Global Development Perspectives in ihrem Report „No Future Without Justice“, der in Rio präsentiert werden wird, erste Vorschläge zu globalen Nachhaltigkeitszielen machen.

Wie bei allen UN-Konferenzen wird die Bedeutung des Rio+20-Gipfels nicht allein nach seinem offiziellen Ergebnis zu beurteilen sein. Gleichermaßen wichtig sind die gesellschaftlichen Debatten, die durch ihn angestoßen werden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Rio+20 weltweit eine Vielzahl von Suchprozessen und Initiativen in Gang gesetzt hat, die sich mit der Gestaltung der Transformationsprozesse hin zu einer zukunftsgerechten globalen Entwicklung befassen. Sie spiegeln sich in all ihrer Vielfalt in den rund 1.000 Veranstaltungen wider, die in Rio parallel zum offiziellen Gipfel stattfinden werden, insbesondere im Rahmen des „Gipfels der Völker“.

Bundeskanzlerin Merkel lässt sich davon allerdings nicht beeindrucken. Sie hat, anders als ihr neuer französischer Kollege Francois Hollande und über 100 weitere Staats- und Regierungschefs, entschieden, dem Ruf „Boykottiert Rio+20“ zu folgen und dem Gipfel fern zu bleiben.

Veröffentlicht: 11.5.2012

Empfohlene Zitierweise:
Jens Martens, Der Countdown läuft: Nachsitzen für Rio+20, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 11. Mai 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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