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Die neue Landnahme der Bergbauindustrie

Artikel-Nr.: DE20120308-Art.11-2012

Die neue Landnahme der Bergbauindustrie

Raubzug gegen Mutter Erde

Nur im Web – Dass die Welt mit vielfältigen Umweltproblemen zu kämpfen hat, ist allgemein anerkannt. Prominente Beispiele sind der Klimawandel, die Abholzung von Wäldern und der Verlust von Biodiversität. Besorgniserregend sind aber auch die immensen ökologischen Schäden, die durch die Rohstoffindustrie, also Bergbau, Öl- und Gasförderung, bei der Ausbeutung der letzten Ressourcen entstehen. Und es gibt soziale Folgen, etwa wenn Böden vergiftet oder Menschen vertrieben werden, um der Industrie Platz zu machen. Von Martin Khor.

Soeben hat die in London ansässige Gaia-Stiftung (Gaia Foundation) einen neuen Bericht mit dem Titel "Die Büchse der Pandora wird geöffnet" vorgestellt (s. Hinweis). Er enthält eine Fülle an Informationen und Fallstudien über die Rohstoffindustrie, deren Wachstum und Auswirkungen in den letzten zehn Jahren atemberaubend waren. Der Wert von Metallen, Mineralien, Öl und Gas für die Wirtschaft ist unbestritten. Sie sind ein wesentlicher Faktor für das Wirtschaftswachstum sowohl in den Industrieländern als auch in aufsteigenden Entwicklungsländern. Aber diese Ressourcen sind endlich. Sie werden irgendwann erschöpft sein, daher ist ein Wechsel zu erneuerbaren Energien und Materialien nötig.

* Hohes Wachstum des Rohstoffabbaus

Das globale Wirtschaftswachstum hat zu einem starken Anstieg der Rohstoffförderung geführt. Er betrug in den letzten zehn Jahren z.B. beim Eisenerzabbau 180%, bei Kobalt 165%, bei Lithium 125% und bei Kohle 44%. Das massive Wachstum wird sich fortsetzen, wenn die Konzessionen weiterhin so großzügig wie heute vergeben werden.

Eine andere Dimension der Landnahme

Die Bergbauindustrie steht für eine neue Welle der Landnahme ("land grabbing") - Vertragsabschlüsse zwischen hungrigen Konzernen und Regierungen, die Vorteile aus den enormen Summen spekulativen Kapitals ziehen, das nach Anlagemöglichkeiten sucht. Was angeeignet wird, ist nicht nur das Land und Wasser enteigneter lokaler Gemeinschaften, sondern ganze Ökosysteme werden gewaltsam durch Extraktionstechnologien, die immer tiefer in den Erdboden eindringen.

Toxische chemische Cocktails vergiften Boden und Wasser weit über die Abbauanlagen hinaus. Die enorme Menge an Wasser, die diese neuen Technologien benötigen, hat in Australien zur Anzapfung alter Grundwasserschichten geführt, was zynisch als "neues Wasser" bezeichnet wird.

Quelle: Gaia Foundation

In den Industrieländern, deren Ressourcen schon länger zur Neige gehen, verspricht die Technik des "Frackings" der Bergbauindustrie neue Lebenszeit. Dabei werden giftige Chemikalien unter hohem Druck in Schichten von Schiefergestein gepresst, um das darin enthaltene Erdgas herauszulösen. Erschließungsunternehmen haben es nun auf die großen Schieferöl- und Schiefergasvorkommen in Nordamerika und Europa abgesehen. Nach dem Gaia-Report ist es unvermeidlich, dass die giftigen Chemikalien das Grundwasser und Gewässersysteme verunreinigen.
In den letzten Jahren haben die Vergabe von Abbaurechten und die damit einhergehenden Aktivitäten in den Entwicklungsländern enorm zugenommen. Beispielsweise wuchs der chinesische Bergbausektor von 2005-2010 um fast ein Drittel, und Perus Bergbau-Exporte nahmen allein 2011 um ein Drittel zu. In Südafrika haben internationale Investoren sich für einen großen Teil der Landesfläche um Bohrrechte beworben, um dort nach Schieferöl und -gas zu suchen.

* Ursachen und öko-soziale Konsequenzen

Der Bericht zeigt detailliert - auch mit Fallstudien über bestimmte Sektoren und Länder, wie Böden, Flüsse und Ökosysteme für Bergbauaktivitäten geplündert und verdrängt werden. Zu den Umweltauswirkungen gehören Mondlandschaften durch Tagebau und abgetragene Berge, übermäßige Nutzung und Vergiftung von Gewässern, Abholzung, Kontamination von wertvollem Mutterboden, Luftverschmutzung und Säureauslaugung.
Zu den sozialen Auswirkungen beinhalten Gesundheitsgefahren für die in den betroffenen Gebieten lebenden Menschen und deren Boden- und Wasserressourcen.

Das hohe Wachstum der Bergbauindustrie hat mehrere Ursachen: Steigende Preise für Metalle, Mineralien, Öl und Gas stellen Anreize dar, neue Gebiete und weniger zugängliche Lagerstätten auszubeuten. Durch neue Technologien wird die Förderung dieser Rohstoffe überhaupt erst möglich und wirtschaftlich. Dafür muss allerdings mehr Erdboden bewegt werden, daher werden immer größere Land- und Wassergebiete beseitigt.

Der treibende Faktor liegt jedoch tiefer: Der wachsende Konsum von energie- und rohstoffintensiven Produkten. Dieser übermäßige Konsum und der dazugehörige Lebensstil werden in reichen Ländern deutlich sichtbar. Ein heute geborener Amerikaner wird pro Jahr durchschnittlich fast 17 Tonnen Mineralien, Metalle und Kraftstoffe verbrauchen. Dies besagen Daten des Mineral Information Institute.

Mit steigendem Einkommen wird sich auch der Lebensstil in den Entwicklungsländern verändern und die Nachfrage nach denselben Materialien erhöhen. Das UN-Umweltprogramm (UNEP) sagt bis 2050 eine Verdreifachung der globalen jährlichen Rohstoffförderung voraus, sollten die aktuellen Nutzungs- und Wachstumsraten anhalten. Es wird klar, dass das dauerhaft nicht funktionieren kann.

* Auch grüne Technologie braucht mehr Rohstoffe

Die Förderung und Nutzung von Bodenschätzen macht innerhalb des aktuellen handelsgetriebenen Systems Sinn, aber nur solange die Ressourcen verfügbar sind. Die längerfristigen Kosten der Schäden an Umwelt und Gesellschaft wiegen die Vorteile jedoch auf. Der Bericht der Gaia-Stiftung konzediert, das Potenzial von grüner Energie, wie z.B. Elektroautos, Solar- und Windenergie. Allerdings weist er zugleich darauf hin, dass diese Technologien erhebliche Mengen an Rohstoffen benötigen, darunter auch Seltene Erden. Auch das Wachstum bei grünen Technologien und Produkten wird weiteres Wachstum der Rohstoffindustrie nach sich ziehen.
Mehrfachbenutzung, Recycling und effizientere Nutzung von Wertstoffen können dabei helfen, Abfälle und Rohstoffbedarf zu reduzieren. Aber dazukommen muss auch eine Änderung des Lebensstils. Werden wir aus unseren Erfahrungen rechtzeitig lernen? Oder erst, wenn Umwelt- und Gesellschaftskrisen über uns hereinstürzen?

Hinweis:
* Philippe Sibaud, Opening Pandora’s Box. The New Wave of Land Grabbing by the Extractive Industries and the Devastating Impact on Earth, 56 pp, Gaia Foundation: London 2012. Bezug: über www.gaiafoundation.org

Veröffentlicht: 8.3.2012

Empfohlene Zitierweise: Martin Khor, Die neue Landnahme der Bergbauindustrie: Raubzug gegen Mutter Erde, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 8. März 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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