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Doha-Gateway: Tor zur 4-Grad-Welt

Artikel-Nr.: DE20121213-Art.63-2012

Doha-Gateway: Tor zur 4-Grad-Welt

Die Ergebnisse der jüngsten UN-Klimakonferenz

Nur im Web – Trotz der Verabschiedung einer zweiten Runde des Kyoto-Protokolls und eines Verhandlungsfahrplans für ein neues Klima-Abkommen ab 2020 ist die Klimakonferenz von Doha eine herbe Enttäuschung. Sie bringt weder mehr Klimaschutz noch das versprochene Ansteigen der finanziellen Hilfen für die armen Länder. Allenfalls einige prozedurale Fortschritte halten die Klimadiplomatie am Laufen. Zurück aus Doha, analysiert Jan Kowalzig die wichtigsten der 39 Entscheidungen, die blumig als Doha-Gateway bezeichnet werden.

Sieben Jahre lang haben die Regierungen die zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls verhandelt. In der nun in Doha beschlossenen zweiten Runde verpflichten sich die EU und zehn weitere Industrieländer zur Reduktion von Treibhausgasen bis 2020. Jedes Land hat dafür individuelle Emissionsobergrenzen für den Zeitraum 2013-2020 festgelegt, auf der Basis extrem schwacher Reduktionsziele bis 2020. Für ambitionierten Klimaschutz steht das Kyoto-Protokoll damit nicht; allerdings könnte es in seinen Grundzügen – verbindliche Reduktionsziele, flexible Marktmechanismen und ein allgemeingültiges, regelbasiertes Berechnungs- und Berichtswesen – als Vorlage für das Abkommen ab 2020 gelten.

* Kyoto-Protokoll: Viel heiße Luft

Ein wichtiger Konstruktionsfehler des Kyoto-Protokolls wurde in Doha nur teilweise behoben: Länder wie Polen, Russland oder die Ukraine dürfen nun Milliarden überschüssiger Emissionsgutschriften aus der ersten Periode des Kyoto-Protokolls in die zweite Runde transferieren. Andere Länder können diese Gutschriften anstelle eigener Reduktionsanstrengungen (eingeschränkt) kaufen. Die EU und einige weitere Länder gaben aber bereits in Doha bekannt, dass sie dies nicht tun werden. Zusätzliche, geldwerte Emissionsgutschriften wollten einige zentral- und osteuropäische Länder ins Kyoto-System durch derart schwache Ziele für 2020 bringen, dass diese Ziele selbst bei ungebremstem Emissionswachstum nicht zu verfehlen sind. Ein in Doha neu eingefügter Passus des Kyoto-Protokolls verhindert dies weitgehend (und hätte in den letzten Stunden die Konferenz noch fast zum Scheitern gebracht), legt aber nicht fest, was nach 2020 passiert. Bleibt die „heiße Luft“ im neuen Abkommen ab 2020 erhalten, würde dies seine Wirksamkeit erheblich beeinträchtigen.

* LCA-Track: Das Prinzip der kleinen Schritte

Seit 2007 verhandelte die Ad-Hoc Working Group on Long-Term Co-operative Action (AWG-LCA), damals aufgesetzt mit dem Ziel, 2009 ein globales neues Abkommen zu beschließen – was auf dem UN-Klimagipfel von Kopenhagen gründlich misslang. Seither hat die AWG-LCA zahlreiche Beschlüsse hervorgebracht, darunter insbesondere die Einrichtung des Green Climate Fund. In Doha wollten insbesondere die Industrieländer die Arbeit der AWG-LCA abschließen – nach offizieller Lesart, um sich ganz auf die Verhandlungen zum neuen Abkommen ab 2020 zu widmen, tatsächlich aber auch, um einige schwierigen Themen – Klimafinanzierung zum Beispiel – loszuwerden oder in die technischen Nebenorgane der UN-Klimarahmenkonvention zu verlagern. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das Abschließen der Arbeit der AWG-LCA bis zum Schluss ein wichtiges Faustpfand der Entwicklungsländer bei den noch offenen bzw. nicht zu ihrer Zufriedenheit bearbeiteten Themen war.

* Neuer Klima-Vertrag ab 2020: Klimagerechtigkeit?

Bis 2015 soll ein neues Klima-Abkommen verhandelt werden, das ab 2020 gilt und alle Länder zu Klimaschutz verpflichten soll – so beschlossen auf der UN-Klimakonferenz in Durban Ende 2011. Zu ernsthaften Verhandlungen kam es in Doha nicht, auch weil weder die Industrieländer noch die Entwicklungs- und Schwellenländer jeweils (wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen) nicht bereit waren, die eigentlichen Verhandlungen vor dem Abschluss der AWG-LCA und der Verabschiedung der zweiten Kyoto-Runde zu beginnen.

Mehr als ein Fahrplan für die kommenden Verhandlungen kam in Doha nicht zustande, nur einige Eckdaten sind jetzt festgelegt, darunter 2014 ein Treffen der Staats- und Regierungschefs auf Einladung des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moons. Ende 2014 soll der Vertragsentwurf vorliegen. Die wenigen inhaltlichen Diskussionen in Doha haben schon vorgezeichnet, dass es in den kommenden drei Jahren vor allem darum gehen wird, wie aus dem allgemeinen Gerechtigkeitsprinzip der Klimarahmenkonvention (dem Prinzip der „gemeinsamen aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten“) abzuleiten sein wird, wer nach 2020 über welche Art der Verpflichtung wie viel Klimaschutz beizusteuern haben wird und wie die angemessene Unterstützung für die Entwicklungs- und Schwellenländer aussehen wird.

* Klimaschutz bis 2020: Das eigentliche Problem wird nicht angepackt

Neben den Kyoto-Staaten haben auch die Industriestaaten ohne künftige Kyoto-Verpflichtung (USA, Kanada, Neuseeland, Russland und Japan) sowie viele der Entwicklungs- und Schwellenländer Klimaschutz-Ziele bzw. -maßnahmen zugesagt. Vor allem wegen der schwachen Reduktionsziele der Industrieländer reichen die geplanten Anstrengungen bei weitem nicht aus. Schlupflöcher bei den Emissionsrechenregeln schwächen die Ziele weiter ab.

Im kommenden Jahr sollen weitere Optionen beleuchtet werden, darunter z.B. die Reduktion von Emissionen aus dem internationalen Schiffsverkehr, die keinem Land direkt zugeordnet sind und damit unter kein Reduktionsziel fallen, oder die Reduktion der extrem klimawirksamen F-Gase unter dem Montreal-Protokoll. Wie auch für das Abkommen ab 2020 wurde auch für den Klimaschutz bis 2020 in Doha aber nur ein vager Fahrplan für die weiteren Gespräche beschlossen.

Nur drei Länder haben in Doha neue Klimaschutz-Ziele verkündet: Monaco, Libanon und die Dominikanische Republik, die ihre Emissionen bis 2030 um 25 Prozent unter das Niveau von 2010 drücken will – für ein Entwicklungsland ein ehrgeiziges Ziel.

Dabei tritt das eigentliche Problem in den Hintergrund: die Unzulänglichkeit der bisherigen Klimaschutz-Ziele insbesondere der Industrieländer. Der Zynismus ist kaum zu übertreffen: Für die kleinen Inselstaaten und gegenüber dem Klimawandel extrem verwundbare Staaten ist eine Anhebung der Ziele überlebenswichtig; für die USA mit ihrem bescheidenen Reduktionsziel von nur 3% bis 2020 gegenüber 1990 (ausgedrückt als Reduktion um 17% gegenüber 2005) ist dies weiter eine „red line“. Die großen Schwellenländer halten still, weil sie sich im Gegenzug selbst mit Forderungen nach mehr Klimaschutz konfrontiert sehen könnten. Die Europäische Union verweigert weiterhin die Anhebung ihres Reduktionsziels von 20 auf 30% bis 2020.

Doha hat hier also fast nichts erreicht – das Abschlussdokument der Konferenz fordert zwar alle Industrieländer auf, den Ehrgeiz im Klimaschutz zu erhöhen; außerdem sieht eine Revisionsklausel vor, dass die Kyoto-Staaten bis spätestens 2014 ihre Klimaschutz-Ziele zumindest einmal überprüfen sollen. Ob die Ziele dann verschärft werden, ist aber ungewiss. Auch nach Doha steuert die Welt auf eine gefährliche Erwärmung von 4 Grad zu.

* Klimafinanzierung: Industrieländer blockieren Fortschritte

Besonders enttäuschend ist das Doha-Ergebnis hinsichtlich der finanziellen Hilfen der Industrieländer für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel in den armen Ländern. 2009 hatten die Industrieländer versprochen, für die Jahre 2010-2012 insgesamt 30 Mrd. US-Dollar als Schnell-Start-Finanzierung zur Verfügung zu stellen und diese Hilfen bis 2020 auf 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr zu steigern. 2012 läuft diese Zusage aus. Entwicklungsländer hatten daher darauf gedrängt, dass die Industrieländer sich mit größerer Verbindlichkeit und insbesondere mehr Klarheit über die anschließende Entwicklung der Klimafinanzierung bekennen würden – und für die Jahre 2013-2015 ein Niveau eingefordert, dass das Zweifache der Schnell-Start-Zusage umfassen würde.

Nichts dergleichen ist erreicht worden. Nur einige Länder haben die geplante Höhe ihrer jeweiligen künftigen Klimafinanzierung bekannt gegeben, darunter Deutschland (1,8 Mrd. € für 2013) oder Großbritannien (2,2 Mrd. € für 2013 und 2014). Wegen des Widerstands der Industrieländer, aber vor allem wegen der Totalblockade der USA enthält das Doha-Ergebnis keine Vereinbarungen über das Anwachsen der Mittel insgesamt. Die armen Länder verlassen Doha also ohne die Zusicherung, dass die finanzielle Unterstützung nach 2012 nicht absinkt, sondern wie versprochen weiter anwächst. Nicht nur wissen die Länder nun nicht, mit welcher Unterstützung sie rechnen können, um sich gegen den Klimawandel zu wehren. Die Entwicklungsländer sehen darin auch einen Vertrauensbruch, der die Verhandlungen für ein künftiges Abkommen erheblich beeinträchtigen könnte.

Eine wichtige Entscheidung von Doha fiel kaum auf: Südkorea ist Sitzstaat des Green Climate Fund (GCF). Der Beschluss war zu erwarten, denn das GCF-Direktoriums hatte seine Empfehlung bereits vor einigen Wochen ausgesprochen. Damit kann Südkorea dem GCF die Rechtspersönlichkeit zuerkennen, die der Fonds benötigt, etwa um den direkten Zugang zu seinen späteren Mitteln für die Entwicklungsländer zu ermöglichen. Der Fonds ist damit allerdings noch nicht arbeitsfähig – dafür sind noch weitere Vorarbeiten des Direktoriums nötig, etwa die operativen Finanzierungsrichtlinien. Zudem ist der Fonds bislang noch eine leere Hülle. Zusagen der Industrieländer für eine Erstausstattung des Fonds fehlen bislang.

* Loss and damage: Paradigmenwechsel?

Seit Jahren fordern die kleinen Inselstaaten und die Least Developed Countries (LDCs) einen globalen Mechanismus, der dort greifen soll, wo Anpassungsbemühungen nicht mehr ausreichen, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Das ist etwa dann der Fall, wenn der steigende Meeresspiegel wegen wiederkehrender Überschwemmungen Böden und Grundwasser versalzt, gleich ganze Inselstaaten dauerhaft unbewohnbar macht oder wenn das Land so sehr austrocknet, dass es keine Lebensgrundlagen für die Menschen mehr bietet. Vor zwei Jahren wurde das Thema in einem Arbeitsprogramm geparkt, stand aber in Doha wieder auf der Agenda. Die Industrieländer, wieder einmal allen voran die USA, wehren sich gegen einen solchen Mechanismus, der letztlich auch Rehabilitierung und Kompensation für entstandene Schäden oder den Verlust von Lebensgrundlagen und Heimat vorsehen könnte.

Das Doha-Ergebnis sieht nun vor, dass ein weiteres Jahr auf Expertenebene gearbeitet und erst dann über eine mögliche Weiterentwicklung der weltweiten Klima-Architektur entschieden wird. Auf den ersten Augenschein nicht mehr als ein Verzögern; bei genauerem Hinsehen aber ein winziger Schritt vorwärts, denn dass am Ende ein solcher Mechanismus stehen
könnte, ist explizit festgehalten. Damit könnte sich der Umgang mit Verlusten und Schäden durch den Klimawandel zu einer dritten Säule der Bewältigung des Klimawandels etablieren – die dann greift, wenn nicht ausreichend Treibhausgase reduziert werden und die Grenzen der Anpassung an den Klimawandel überschritten werden.

* Fazit: Fahr- und Arbeitspläne ohne politischen Willen

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele der an den UN-Klimakonferenzen teilnehmenden Regierungen weniger den Klimawandel als den Klimaschutz vermeiden wollen – jedenfalls für sich selbst. Hinzu kommt die fehlende Bereitschaft der Industrieländer, in angemessener und verlässlicher Weise ihren finanziellen Verpflichtungen aus der UN-Klimarahmenkonvention nachzukommen. So ist es kein Wunder, dass seit dem Kopenhagener Klimagipfel bei den Verhandlungen zahlreiche Institutionen, Arbeitsprogramme und weitere Prozesse auf den Weg gebracht wurden, sich der klimapolitische Wille seither aber nicht fortentwickelt hat.

Das wurde auch in Doha wieder deutlich. Zwar ist es ein wichtiger Schritt, dass es jetzt zumindest einen groben Fahrplan für die Verhandlungen gibt. Allerdings dürften die kommenden Klimakonferenzen (Warschau 2013, Lateinamerika 2014 und Paris 2015) erheblich von der Unverträglichkeit der gegenwärtigen Klimaschutz-Ziele der Industrieländer mit der 2-Grad-Grenze sowie von der Ungewissheit bei der Klimafinanzierung überschattet werden – ein Start unter keinem guten Stern.

Jan Kowalzig ist der Klimaexperte von Oxfam Deutschland.

Veröffentlicht: 13.12.2012

Empfohlene Zitierweise:
Jan Kowalzig, Doha-Gateway: Tor zur 4-Grad-Welt. Die Ergebnisse der jüngsten UN-Klimakonferenz, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 13. Dezember 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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