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Geschlechtergleichheit im Prisma der Weltbank

Artikel-Nr.: DE20120221-Art.09-2012

Geschlechtergleichheit im Prisma der Weltbank

Der Weltentwicklungsbericht 2012

Vorab im Web – Der diesjährige Weltentwicklungsbericht (WDR) stellt einen Wendepunkt dar: Zum ersten Mal und noch unter ihrem scheidenden Präsidenten Bob Zoellick widmet die Weltbank, die weltgrößte und einflussreichste Entwicklungsorganisation, ihre Vorzeigepublikation dem Thema Gender. Für Kate Bedford von der Universität Kent zeigt der Bericht, dass die Bank nicht in der Lage ist, sich ihrer Rolle bei der Verfestigung frauenfeindlicher Politik bewusst zu werden.

Der WDR 2012 versucht, die Bedeutung des Genderkonzepts in der Entwicklungspolitik zu etablieren. Keine leichte Aufgabe, denn sogar Makroökonomen der Weltbank hegen den Verdacht, dass es sich dabei um eine Ablenkung von dem ernsthaften Geschäft des Wachstums handelt. Dies gelingt, indem man versichert, dass Geschlechtergleichheit einen Wert sui generis hat, der ebenso instrumentell ist: Diese ist selbst ein Entwicklungsgut und steht in engem Zusammenhang mit anderen Entwicklungsgütern wie steigender Produktivität, dem Wohl des Kindes und effektiveren politischen Institutionen.

* Positive Akzente bei Bildung und Gesundheit

Dem Report ist zu entnehmen, dass Entwicklung die Geschlechterkluft in Bezug auf Bildung, Lebenserwartung und Erwerbsquote verringert hat, dass diese Kluft aber in vier Bereichen bestehen bleibt: Sterblichkeit bei Frauen und Mädchen, fortwährende Nachteile bei der Bildung, ungleicher Zugang zu wirtschaftlichen Möglichkeiten und Unterschiede beim Mitspracherecht in Haushalten und formaler Politik.

Wer die Gleichstellungsarbeit der Weltbank verfolgt hat, wird einige Gründe finden, mit diesem WDR zufrieden zu sein. Die Bank beteuert wiederholt, dass Genderbelange von Bedeutung sind; zum Teil wird anerkannt, wie wichtig die unbezahlte Arbeit von Frauen für die Wirtschaft ist; die Notwendigkeit, Geschlechterungleichheit durch nationales und globales politisches Handeln zu bekämpfen, wird verteidigt. Dies beinhaltet sowohl rechtliche Reformen, die die Rechte geschiedener und verwitweter Frauen verbessern, als auch erhöhte Investitionen in grundlegende Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge. Zudem werden einige politische Leitlinien des Reports wahrscheinlich genderspezifischen Interessenvertretungen dabei helfen, Druck auf ihre eigenen Regierungen oder transnationale Institutionen auszuüben.

Meiner Meinung nach wird die größte und nachhaltigste Gelegenheit für transformative geschlechterpolitische Fürsprecher in Kapitel 3 – über Bildung und Gesundheit – geboten. Indem die Autoren eine wunderbare Datenanalyse zusammen mit einer entschiedenen Kritik an Privatisierungslösungen für Probleme im öffentlichen Gesundheitssektor nutzen, legen sie dar, dass öffentliche Investitionen in die Verbesserung der Basisgesundheit der Schlüssel dazu sind, die exzessive Sterblichkeit von Frauen auszumerzen (120-141; auch: 16; 67). Wenn dem Rat dieses Kapitels gefolgt wird, werden globale Entwicklungsinstitutionen ihren Schwerpunkt auf sauberes Wasser, sanitäre Anlagen und medizinische Gesundheit von Müttern in den ärmsten Ländern der Welt legen. Sogar die schärfsten Kritiker der Weltbank werden einräumen, dass damit Mikrokredite als wichtigste genderpolitische Maßnahme in den Schatten gestellt werden.

* Doch wo bleibt der Feminismus?

Obwohl der Bericht reichlich bekannte feministische Arbeiten zitiert, ist sein eigenes Verständnis von Feminismus als transnationaler sozialer Bewegung dürftig. Eine definitorische Infobox über Feminismus gibt es am Ende des WDR – aber diese ist wenig brauchbar, denn dargestellt ist ein eurozentristisches Modell feministischer Bewegungen, das irrelevant für den größten Teil der Welt ist (334). Die AutorInnen betonen außerdem, dass die Geschlechterkluft größer ist, wenn sie mit anderen Faktoren der Ausgrenzung wie Rasse, Kaste oder Behinderung kombiniert auftritt. Die komplexen ineinander verwobenen Ungerechtigkeiten, die hier eine Rolle spielen, werden ohne konzeptuelle oder empirische Tiefe untersucht. Schlüsselfiguren und wichtige akademische Literatur des feministischen Konzepts der Intersektionaltität werden bis Seite 336 nicht genannt, und auch danach beeinflusst es die Analyse des Reports inhaltlich nicht.

Interessant ist in dem Bericht darüber hinaus, dass die Weltbank selbst als Akteurin überhaupt nicht in Erscheinung tritt. Abgesehen davon, dass sie sich selbst lobt, indem sie sich an der Spitze der weltweiten Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit sieht (so geschehen im Engendering Development Report 2001), verschwindet die Bank im Hintergrund.

* Leerstelle Finanzkrise

Eine dritte entscheidende Leerstelle im WDR ist die fehlende Analyse von Gender und Finanzkrise. Die gegenwärtige Krise mag viele südliche Länder der Welt unversehrt gelassen haben, aber vorausgegangene Versionen in Ostasien, Russland und Lateinamerika haben es nicht, und diese zeugen von der Bedeutung der Auswertung von Finanzkrisen in Bezug auf Gender und Entwicklung. Der Bericht erwähnt, dass der genderpolitische Fortschritt durch externe Schocks behindert werden kann. Aber da diese Kategorie - neben widrigen Umständen in den ersten drei Lebensjahren (73) - ökonomische und politische Schocks beinhaltet, bietet der Bericht keine analytische Klarheit, weder um über die Finanzkrise, noch um über damit verbundene feministische Debatten über die Regulation von Finanzdienstleistungen zu diskutieren. Die einzige angeführte Untersuchung über die aktuelle Krise betont geschlechtsspezifische Strukturen beim Verlust von Arbeitsplätzen (87).

* Empowerment von Frauen durch freie Märkte?

Weltbank-Mitarbeiter betrachten das Genderkonzept im Wesentlichen unter dem Aspekt der Wachstumsförderung - als „smarte Ökonomie“ (Nr. 12/2006). Dies führt dazu, dass der freie Markt nicht durch Forschung oder Aktivismus hinterfragt wird. Der WDR betont insbesondere, dass „Geschlechterungleichheit für die meisten Länder in einer Welt des freien Handels kostspieliger geworden ist“ (5). Globalisierung führt zu verbesserter Geschlechtergleichheit, wenn man den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und die damit zusammen hängende steigende Nachfrage für Frauenarbeit bedenkt. Unternehmen werden als wichtigste Partner für Geschlechtergleichheit angeführt (349-345), und alle negativen Auswirkungen freier Märkte werden explizit als vorübergehend bezeichnet (z.B. 76).

Im Wesentlichen vermeidet der Bericht die entscheidende Auseinandersetzung damit, inwiefern marktwirtschaftliche Reformen Menschen grundlegend und fortwährend beeinträchtigen. Die Autoren übersehen, dass viele Menschen ihr Arbeitsverhältnis als unterdrückend empfinden; dass Diskriminierung ungemein profitabel sein kann; dass Ausbeutung innerhalb der Märkte erhebliche Vorteile gegenüber einem Ausschluss von den Märkten ist; und dass der private Sektor Maßnahmen zur Geschlechtergleichheit rigoros abwehrt, weil sie Kosten verursachen.

* Glückliche Haushalte als Schlüssel zur Entwicklung?

Darüber hinaus behandelt der Bericht das Thema Haushalte nur in deutlicher Verkürzung. Der WDR basiert auf der neoklassischen ökonomischen Annahme, dass Individuen handeln, um ihren Nutzen zu maximieren. Die Fähigkeit, dabei den Vorlieben entsprechend zu handeln, beruht auf der Verhandlungsmacht, welche wiederum von den Ressourcen abhängt. Haushalte spielen hier die entscheidende Rolle: In ihnen kumulieren sich die individuellen Präferenzen, und sie koppeln den Fortschritt der Märkte und Institutionen an die Gleichberechtigung der Geschlechter. Tatsächlich beschreibt der Report den Haushalt als einziges Rädchen im Getriebe, das Wachstum mit Politik zu einer Verbesserung der Geschlechtergleichheit verbindet (9).

Es gibt eine ausführliche feministische Kritik der neoklassischen Thesen über das Bargaining-Household-Modell. Sieht man von dieser Literatur ab, ist es verwunderlich, dass in Anbetracht der zentralen Rolle der Haushalte in der WDR-Analyse diese nicht einmal explizit definiert werden (im Gegensatz zu anderen Schlüsselbegriffen wie Märkte und Institutionen). Um die Bedeutung von Haushalten zu erfassen, bleiben einem nur Rückschlüsse aus der Art und Weise, wie die Bank den Begriff benutzt; und dabei lässt sich erkennen, dass Haushalt typischerweise eine Kernfamilie bezeichnet, die die verheirateten Eltern sowie ihre Kinder umfasst.

Die Kluft, die diese Sichtweise des Haushalts von der Realität so vieler Menschen trennt, ist enorm. Die Zusammensetzung von Haushalten im und jenseits des globalen Südens ist offensichtlich vielfältiger: In einigen lateinamerikanischen Ländern sind über 30% der Haushalte frauengeführt. Tatsächlich bestreiten auch für den Bericht befragte Frauen eine auf die Kernfamilie beschränkte Definition des Haushalts; Frauen im Westjordanland und Gaza sowie in Tansania erzählten den Weltbank-Forschern, dass sie bei Ratschlägen, Krediten und Unterstützung ausschließlich auf aus Frauen bestehende Freundes- und Familiennetzwerke vertrauen – und nicht auf männliche Partner (94-6).

Während der Bericht für soziale Frauennetzwerke und für eine unabhängige Einkommenskontrolle durch Frauen plädiert, sieht er Geschlechtergleichheit in gleichberechtigten Partnerschaften definiert und idealerweise erreicht. Dabei stützt er sich ausschließlich auf das o.g. Bild der Kernfamilie. Dies steht in einer beträchtlichen Spannung zur Bedeutung Geschlechteremanzipation.

Nehmen wir beispielsweise den Rat des WDR zur Familienplanung. Gelegentlich argumentiert der Report, dass Männer über Verhütungsmittel aufgeklärt werden sollten, weil das Verständnis größer ist, wenn die Ehemänner beteiligt werden (32). Aber andere Daten widerlegen dies und zeigen, dass Frauen eine selbstständige Kontrolle über ihre reproduktive Gesundheit brauchen, um Verhütungsmittel zu verwenden (157). Der politische Rat läuft letztlich darauf hinaus: Familienplanungsangebote „müssen in einer Weise angeboten werden, die sowohl die individuelle Privatsphäre als auch die des Paares schützt“ (32: auch: 156).

Diese Zweideutigkeit - Geschlechter-Empowerment als individuelle sexuelle Autonomie von Frauen bzw. von Paaren – ist eine unausweichliche Konsequenz, nachdem sich die Autoren auf Haushalte – sprich Kernfamilien – als Hauptakteure der Geschlechtergerechtigkeit festgelegt haben. Das auf Familien ausgerichtete politische Narrativ mag funktionieren, um konservative Gegner von Frauenrechten zu entwaffnen, doch zugleich stellt es feministische Organisationen und ihre Arbeit vor starre Grenzen, denn deren Vision von Geschlechter-Empowerment sieht anders aus.
Hinweis:
* World Bank, World Development Report 2012: Gender Equality and Development, 458 pp, Washington DC. Bezug: über www.worldbank.org. Die Kritik von Kate Bedford erschien zuerst im Bretton Woods Update. Übersetzung ins Deutsche: Sarah Hellmerichs.

Veröffentlicht: 21.2.2012

Empfohlene Zitierweise: Kate Bedford, Geschlechtergleichheit im Prisma der Weltbank. Der Weltentwicklungsbericht 2012, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 21. Februar 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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