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Giftmischer-Multis vor Gericht

Artikel-Nr.: DE20120102-Art.02-2012

Giftmischer-Multis vor Gericht

Ein Tribunal gegen die Pestizid-Konzerne der Welt

Vorab im Web – Das „Permanente Tribunal der Völker“ der Lelio- und Lisli-Basso-Stiftung mit Sitz in Rom hat in einer Verhandlung im indischen Bangalore sechs Multis der Agrochemie, nämlich Monsanto, Dow Chemicals und DuPont aus den USA, Syngenta aus der Schweiz, Bayer und BASF aus Deutschland, verurteilt, ihre Produktion von Umweltgiften sofort einzustellen. Denn diese gefährdet die Gesundheit der Menschen, die Biodiversität und daher die Evolution des Lebens, die Qualität des Wassers, die Luft, die Böden. Ein Bericht von Elmar Altvater.

Es gehört zu den Statuten des Tribunals, dass auch die Angeklagten, in diesem Fall die sechs Pestizidmultis sowie die Regierungen, auch die der Gastländer, geladen werden. Sie können aber nicht vorgeladen und dann, wenn sie nicht erscheinen, vorgeführt werden. Das Tribunal hat diese Macht nicht. Auch in Bangalore haben sich die angeklagten Multis nicht öffentlich zu den Anklagen geäußert. Sie können sich hinter ihrer Macht verschanzen.

* Inmitten des Pestizid-Desasters

Die Folgen des Pestizideinsatzes in der Welt, für den zu 70% die sechs angeklagten transnationalen Chemiekonzerne verantwortlich sind, waren das Thema auf dem "Meinungstribunal", das vom "Pesticide-Action Network International" angerufen worden ist. Von manchen wird nicht verstanden, warum der Pestizideinsatz auf dem Lande eingestellt werden muss. Unter den politisch Verantwortlichen, in der Wissenschaft und in den Medien herrscht immer noch die Vorstellung, dass mit hohem Pestizid- und massivem Maschineneinsatz, gepaart mit hohen Düngerzugaben, die Ernteerträge gesteigert werden könnten, zumal wenn das gentechnisch modifizierte Saatgut, über das die Multis das Monopol besitzen, verwendet wird. Mit diesen Elementen einer „Grünen Revolution“, so lautet das Versprechen seit den 1960er Jahren, lässt sich die Ernährung der Menschheit sichern. Da haben es diejenigen schwer, die die Gefahren der industrialisierten Landwirtschaft gerade für die Ernährung, aber auch für die Gesundheit der Landbevölkerung und der Konsumenten der Chemieprodukte oder für die Biodiversität schon erfahren haben und der inzwischen Jahrzehnte währenden Propaganda der „Green Revolution“ auf dem Lande misstrauen.

Dass dieses Misstrauen auf Erfahrungen gründet und dass diese durchaus verallgemeinert werden können, haben nicht nur die vielen Zeugenaussagen aus allen Kontinenten während des Hearings im indischen Bangalore bestätigt. Man kann Aussagen ähnlichen Inhalts auch im Weltagrarbericht von etwa 500 Wissenschaftlern finden, der im Auftrag von UN-Organisationen und Weltbank 2008 erstellt worden ist. Die Botschaft ist eindeutig: Mit Agrochemie und Agrotechnik lassen sich nur vorübergehend Steigerungen landwirtschaftlicher Erträge erzielen. Der seit Jahrzehnten verfolgte Weg der „Grünen Revolution“ auf dem Lande erweist sich als eine Sackgasse. Turbosaatgut plus Kunstdünger plus Pestizide zur Schädlingsbekämpfung plus sophistifizierte Agrotechnik führen, nachdem vorübergehend die Ernteerträge gesteigert werden, unweigerlich zum Kollaps der natürlichen Systeme, von denen letztlich trotz aller Technik die Bodenfruchtbarkeit und daher die Ernten abhängen.

* Der Blick aufs Ganze

Diese simple Erkenntnis geht schwer in die Köpfe von Agronomen, die seit Jahrzehnten an der technischen Verbesserung der agro-industriellen Wertschöpfungskette arbeiten. Sowchosen, Kolchosen und LPGs aus der Erfahrungswelt des real existierenden Sozialismus und heute die Agrofabriken von Agromultis scheinen das Gegenteil zu beweisen: die Produktivität in der Landwirtschaft kann mit Hilfe von mehr Chemie und Technik, die vorwiegend mit fossiler Energie in Bewegung gesetzt wird, gesteigert werden. Höhere Erträge bringen auch gesteigerte Profite.

Das Permanente Tribunal der Völker

Das "Permanente Tribunal der Völker" ist vom italienischen Sozialisten Lelio Basso in der Nachfolge der Russell-Tribunale 1978 gegründet worden. Gründungsdokument ist die Charta von Algier aus dem Jahre 1976, eine Erklärung, die neben den fundamentalen und sozialen Menschenrechten, die jedem Individuum zukommen, und dem zwischenstaatlichen internationalen Recht eine dritte Rechtsquelle für das Rechtssubjekt der Völker erschließt: das Recht auf Entwicklung und menschliche Sicherheit. Dieses schließt auch Rechte ein, wie die unbedingte Gleichberechtigung der Geschlechter, das Recht auf eine intakte Umwelt und nicht zuletzt das Recht auf Selbstbestimmung nicht nur gegenüber politischer Macht, sondern auch gegenüber ökonomischen Mächten, z. B. von transnationalen Konzernen.

Das Permanente Tribunal der Völker hat sich in den fast vier Jahrzehnten seiner Arbeit mit der Rolle der internationalen Organisationen wie IWF und Weltbank zum Beispiel beim Umgang mit den Schuldenkrisen der vergangenen Jahrzehnte befasst, es hat sich mit der Einflussnahme transnationaler Konzerne aus Europa in Lateinamerika und mit der verbreiteten Missachtung von Sozialstandards und Umweltrechten auseinandergesetzt (vgl. die Informationen über Sitzungen und Urteile auf der Website: http://www.internazionaleleliobasso.it/?page_id=215). Auch die Folgen der Auslagerung der Produktion von Textilien und Sportartikeln europäischer Multis in Länder der Dritten Welt wurden thematisiert, weil die "Kampagne für saubere Kleidung" das Tribunal zur Unterstützung ihrer Arbeit für Menschenrechte und für soziale und Umweltstandards angerufen hat. Die Entwaldung Amazoniens und deren Folgen für das empfindliche Ökosystem Regenwald und für indigene Bevölkerungsgruppen wurden aufgearbeitet. Wichtig waren auch die Sitzungen, die das Tribunal zu den Katastrophen von Bhopal im Jahre 1984 und von Tchernobyl im Jahre 1986 organisiert hatte.

Es waren immer Gruppen von direkt Betroffenen und von Nicht-Regierungsorganisationen, die das Tribunal angerufen haben, weil auf anderem Wege die Öffentlichkeit nicht zu politischen Reaktionen gegen die Nachlässigkeit, die Vergehen, ja die Verbrechen von zumeist mächtigen ökonomischen Akteuren zu mobilisieren war. Das ist die Tradition, in der sich auch das Tribunal von Bangalore verortet hat, als es die ökonomischen Schäden, die negativen Gesundheitsfolgen und die Gefahren für die Natur infolge der Produktion und Ausbringung von Pestiziden durch die sechs angeklagten transnationalen Agrokonzerne verhandelte. In einem dreitägigen Hearing kamen an die 40 geladene Zeugen und Sachverständige zu Wort. Neben einer etwa 400seitigen Anklageschrift sind deren Aussagen in das Urteil einer international zusammengesetzten Jury mit dem Inder Upendra Baxi als Präsident eingeflossen.

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